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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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sagt noch einmal: Du wirst mich doch nicht an-
führen wollen?

Behüte mich Gott davor! Was denkst du auch,
Vogt? antwortete Joseph -- geht, zählt ausser der
Thüre noch einmal seine drey Thaler, und sagt
zu sich selbst:

Nun ist mein Lohn zwischen den Fingern, und
da ist er sicherer, als in des Vogts Kisten. Er ist
ein alter Schelm, und ich will nicht sein Narr
seyn. Nehm jezt meinethalben der Meister Kiesel-
oder Blaustein.

Die Vögtinn heulete vor Zorn auf der Herd-
stätte in der Küche; und gieng nicht mehr in die
Stube bis nach Mitternacht.

Auch dem Vogt ahndete, so bald er fort war,
daß er sich übereilt hätte; aber er vergaß es bald
wieder bey der Gesellschaft. Der Gräuel der San-
fenden dauerte bis nach Mitternacht.

Endlich kam die Vögtinn aus der Küche, und
sagte: Es ist Zeit, es ist einmal Zeit aufzubrechen,
es geht gegen dem Morgen, und ist heiliger Abend.

Heiliger Abend! sagten die Kerls, streckten sich,
gähnten, soffen aus, und stuhnden nach und nach
auf.

Jezt taumelten, wankten sie allenthalben um-
her, hielten sich an Tischen und Wänden, und
kamen mit Mühe zum Hause hinaus.

Gehe

ſagt noch einmal: Du wirſt mich doch nicht an-
fuͤhren wollen?

Behuͤte mich Gott davor! Was denkſt du auch,
Vogt? antwortete Joſeph — geht, zaͤhlt auſſer der
Thuͤre noch einmal ſeine drey Thaler, und ſagt
zu ſich ſelbſt:

Nun iſt mein Lohn zwiſchen den Fingern, und
da iſt er ſicherer, als in des Vogts Kiſten. Er iſt
ein alter Schelm, und ich will nicht ſein Narr
ſeyn. Nehm jezt meinethalben der Meiſter Kieſel-
oder Blauſtein.

Die Voͤgtinn heulete vor Zorn auf der Herd-
ſtaͤtte in der Kuͤche; und gieng nicht mehr in die
Stube bis nach Mitternacht.

Auch dem Vogt ahndete, ſo bald er fort war,
daß er ſich uͤbereilt haͤtte; aber er vergaß es bald
wieder bey der Geſellſchaft. Der Graͤuel der San-
fenden dauerte bis nach Mitternacht.

Endlich kam die Voͤgtinn aus der Kuͤche, und
ſagte: Es iſt Zeit, es iſt einmal Zeit aufzubrechen,
es geht gegen dem Morgen, und iſt heiliger Abend.

Heiliger Abend! ſagten die Kerls, ſtreckten ſich,
gaͤhnten, ſoffen aus, und ſtuhnden nach und nach
auf.

Jezt taumelten, wankten ſie allenthalben um-
her, hielten ſich an Tiſchen und Waͤnden, und
kamen mit Muͤhe zum Hauſe hinaus.

Gehe
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[162/0187] ſagt noch einmal: Du wirſt mich doch nicht an- fuͤhren wollen? Behuͤte mich Gott davor! Was denkſt du auch, Vogt? antwortete Joſeph — geht, zaͤhlt auſſer der Thuͤre noch einmal ſeine drey Thaler, und ſagt zu ſich ſelbſt: Nun iſt mein Lohn zwiſchen den Fingern, und da iſt er ſicherer, als in des Vogts Kiſten. Er iſt ein alter Schelm, und ich will nicht ſein Narr ſeyn. Nehm jezt meinethalben der Meiſter Kieſel- oder Blauſtein. Die Voͤgtinn heulete vor Zorn auf der Herd- ſtaͤtte in der Kuͤche; und gieng nicht mehr in die Stube bis nach Mitternacht. Auch dem Vogt ahndete, ſo bald er fort war, daß er ſich uͤbereilt haͤtte; aber er vergaß es bald wieder bey der Geſellſchaft. Der Graͤuel der San- fenden dauerte bis nach Mitternacht. Endlich kam die Voͤgtinn aus der Kuͤche, und ſagte: Es iſt Zeit, es iſt einmal Zeit aufzubrechen, es geht gegen dem Morgen, und iſt heiliger Abend. Heiliger Abend! ſagten die Kerls, ſtreckten ſich, gaͤhnten, ſoffen aus, und ſtuhnden nach und nach auf. Jezt taumelten, wankten ſie allenthalben um- her, hielten ſich an Tiſchen und Waͤnden, und kamen mit Muͤhe zum Hauſe hinaus. Gehe

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/187>, abgerufen am 04.05.2024.