tistischen Mittel aus einer grossen Zahl von Beobachtungen fest- stellen und grosse Zahlen werden erst durch fortgesetztes Sammeln erworben werden. Vorläufig ergibt sich nur, dass Schädel mit vor- zeitig oder nicht rechtzeitig verschmolzenen Nähten bei den Mes- sungen ausgeschieden und nicht mit den übrigen verglichen werden sollten.
In grössere Verlegenheit versetzt uns die Geschlechtsbestim- mung der Schädel. Welcker hatte sich überzeugt, dass bei den deutschen Schädeln, deren Geschlecht bekannt war, die weiblichen zwischen die kindlichen und männlichen in allen messbaren Verhält- nissen sich einschalten lassen. Unsre Anatomen haben sich daher angestrengt, Wahrzeichen aufzufinden, nach welchen sich das Ge- schlecht des Schädels bestimmen lasse. Die craniologische Sta- tistik hat bis jetzt wenigstens so viel ermittelt, dass bei den hoch- gesitteten Völkerschaften alle Geschlechtsunterschiede zweiter Ord- nung viel stärker entwickelt sind, als bei den roh gebliebenen Menschenstämmen. Bei ersteren ist der männliche Hirnschädel merklich geräumiger als der weibliche. Ungewiss dagegen bleibt vorläufig, ob sich der letztere mehr als der männliche zur Schmal- heit neige. Fand Welcker die Frauenschädel bei fast allen Racen dolichocephaler als die männlichen, so hat Weisbach für österreichi- sche Frauen einen mittleren Breitenindex von 82,5 erhalten und bei ihnen eher eine Hinneigung zu Brachycephalie wahrgenommen 1). Die geringere Höhe des Schädels beim weiblichen Geschlecht ist andrerseits von Alexander Ecker betont worden, der auch daran den Frauenschä- del erkennen will, dass der flache Scheitel ziemlich plötzlich in die senkrechte Stirnlinie übergehe 2). Grössere Zartheit der Knochen- vorsprünge, verminderte Gesichtslänge bei grössern Augenhöhlen, ge- ringere Unterkieferbreite sollen ebenfalls den weiblichen Schädel aus- zeichnen. Doch sind wir noch weit entfernt das Geschlecht eines un- bekannten Schädels mit Sicherheit bestimmen zu können. Der britische Craniolog Barnard Davis schrieb vor etlichen Jahren an A. Ecker, dass er einen Schädel aus Bengalen nach den angenommenen Ge- schlechtsmerkmalen für männlich hätte erklären müssen und doch wisse er genau, dass er von einer Frau abstamme 3). Bei Schä-
1) Archiv für Anthropologie. Braunschweig 1868. Bd. 3. S. 61.
2) Archiv für Anthropologie 1866. Bd. 1. S. 85.
3) Archiv für Anthropologie 1867. Bd. 2. S. 25.
Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels.
tistischen Mittel aus einer grossen Zahl von Beobachtungen fest- stellen und grosse Zahlen werden erst durch fortgesetztes Sammeln erworben werden. Vorläufig ergibt sich nur, dass Schädel mit vor- zeitig oder nicht rechtzeitig verschmolzenen Nähten bei den Mes- sungen ausgeschieden und nicht mit den übrigen verglichen werden sollten.
In grössere Verlegenheit versetzt uns die Geschlechtsbestim- mung der Schädel. Welcker hatte sich überzeugt, dass bei den deutschen Schädeln, deren Geschlecht bekannt war, die weiblichen zwischen die kindlichen und männlichen in allen messbaren Verhält- nissen sich einschalten lassen. Unsre Anatomen haben sich daher angestrengt, Wahrzeichen aufzufinden, nach welchen sich das Ge- schlecht des Schädels bestimmen lasse. Die craniologische Sta- tistik hat bis jetzt wenigstens so viel ermittelt, dass bei den hoch- gesitteten Völkerschaften alle Geschlechtsunterschiede zweiter Ord- nung viel stärker entwickelt sind, als bei den roh gebliebenen Menschenstämmen. Bei ersteren ist der männliche Hirnschädel merklich geräumiger als der weibliche. Ungewiss dagegen bleibt vorläufig, ob sich der letztere mehr als der männliche zur Schmal- heit neige. Fand Welcker die Frauenschädel bei fast allen Racen dolichocephaler als die männlichen, so hat Weisbach für österreichi- sche Frauen einen mittleren Breitenindex von 82,5 erhalten und bei ihnen eher eine Hinneigung zu Brachycephalie wahrgenommen 1). Die geringere Höhe des Schädels beim weiblichen Geschlecht ist andrerseits von Alexander Ecker betont worden, der auch daran den Frauenschä- del erkennen will, dass der flache Scheitel ziemlich plötzlich in die senkrechte Stirnlinie übergehe 2). Grössere Zartheit der Knochen- vorsprünge, verminderte Gesichtslänge bei grössern Augenhöhlen, ge- ringere Unterkieferbreite sollen ebenfalls den weiblichen Schädel aus- zeichnen. Doch sind wir noch weit entfernt das Geschlecht eines un- bekannten Schädels mit Sicherheit bestimmen zu können. Der britische Craniolog Barnard Davis schrieb vor etlichen Jahren an A. Ecker, dass er einen Schädel aus Bengalen nach den angenommenen Ge- schlechtsmerkmalen für männlich hätte erklären müssen und doch wisse er genau, dass er von einer Frau abstamme 3). Bei Schä-
1) Archiv für Anthropologie. Braunschweig 1868. Bd. 3. S. 61.
2) Archiv für Anthropologie 1866. Bd. 1. S. 85.
3) Archiv für Anthropologie 1867. Bd. 2. S. 25.
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[52/0070]
Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels.
tistischen Mittel aus einer grossen Zahl von Beobachtungen fest-
stellen und grosse Zahlen werden erst durch fortgesetztes Sammeln
erworben werden. Vorläufig ergibt sich nur, dass Schädel mit vor-
zeitig oder nicht rechtzeitig verschmolzenen Nähten bei den Mes-
sungen ausgeschieden und nicht mit den übrigen verglichen werden
sollten.
In grössere Verlegenheit versetzt uns die Geschlechtsbestim-
mung der Schädel. Welcker hatte sich überzeugt, dass bei den
deutschen Schädeln, deren Geschlecht bekannt war, die weiblichen
zwischen die kindlichen und männlichen in allen messbaren Verhält-
nissen sich einschalten lassen. Unsre Anatomen haben sich daher
angestrengt, Wahrzeichen aufzufinden, nach welchen sich das Ge-
schlecht des Schädels bestimmen lasse. Die craniologische Sta-
tistik hat bis jetzt wenigstens so viel ermittelt, dass bei den hoch-
gesitteten Völkerschaften alle Geschlechtsunterschiede zweiter Ord-
nung viel stärker entwickelt sind, als bei den roh gebliebenen
Menschenstämmen. Bei ersteren ist der männliche Hirnschädel
merklich geräumiger als der weibliche. Ungewiss dagegen bleibt
vorläufig, ob sich der letztere mehr als der männliche zur Schmal-
heit neige. Fand Welcker die Frauenschädel bei fast allen Racen
dolichocephaler als die männlichen, so hat Weisbach für österreichi-
sche Frauen einen mittleren Breitenindex von 82,5 erhalten und bei
ihnen eher eine Hinneigung zu Brachycephalie wahrgenommen 1). Die
geringere Höhe des Schädels beim weiblichen Geschlecht ist andrerseits
von Alexander Ecker betont worden, der auch daran den Frauenschä-
del erkennen will, dass der flache Scheitel ziemlich plötzlich in die
senkrechte Stirnlinie übergehe 2). Grössere Zartheit der Knochen-
vorsprünge, verminderte Gesichtslänge bei grössern Augenhöhlen, ge-
ringere Unterkieferbreite sollen ebenfalls den weiblichen Schädel aus-
zeichnen. Doch sind wir noch weit entfernt das Geschlecht eines un-
bekannten Schädels mit Sicherheit bestimmen zu können. Der britische
Craniolog Barnard Davis schrieb vor etlichen Jahren an A. Ecker,
dass er einen Schädel aus Bengalen nach den angenommenen Ge-
schlechtsmerkmalen für männlich hätte erklären müssen und doch
wisse er genau, dass er von einer Frau abstamme 3). Bei Schä-
1) Archiv für Anthropologie. Braunschweig 1868. Bd. 3. S. 61.
2) Archiv für Anthropologie 1866. Bd. 1. S. 85.
3) Archiv für Anthropologie 1867. Bd. 2. S. 25.
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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/70>, abgerufen am 22.12.2024.
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