Andre Beobachter wollen sich überzeugt haben, dass Schädel, welche der Zeit des Diluvium angehören, seltner dieses günstige Merkmal an sich tragen 1). Bleibt die Stirn offen, so schliesst sich auch die Pfeilnaht gewöhnlich später und nicht ganz unberechtigt dürfen wir das Raumsuchen des Gehirns als Ursache dieser Er- scheinung uns denken 2), nur sollten wir nicht vergessen, dass die Kreuzköpfe bisweilen auch bei Blödsinnigen vorkommen 3). Um- gekehrt kann aber auch durch ein vorzeitiges Verwachsen der Knochen, wenn es mit Überwältigung des Gegendruckes vorwärts schreitet, die volle Entwickelung des Gehirns gehemmt werden 4), und es ist gewiss sehr wichtig, in welcher Reihenfolge die ein- zelnen Knochen des menschlichen Schädels sich schliessen und das Wachsthum der innern Theile beendigen. Bei den minder be- gabten Menschenstämmen sollen die vorderen, bei höher begabten die hinteren Nähte früher verwischt werden 5). Bei Negerschädeln wollte Pruner Bey einen frühzeitigen Zusammenschluss der Stirn- naht wahrgenommen haben, gefolgt von einem Verwachsen der Kronnaht am mittlern Theil und der Pfeilnaht, während die Lambda- naht um den Gipfel sich am längsten offen erhielt. Bisweilen ver- schmilzt nicht einmal gänzlich die Basilosphenoidal-Naht und selbst bei Erwachsenen sei noch die Incisivnaht zu unterscheiden 6). Der Werth solcher Wahrnehmungen lässt sich aber nur durch die sta-
1) Canestrini bei Darwin, Abstammung des Menschen. Bd. 1. S. 107.
2)Hermann Welcker, Wachsthum und Bau des menschlichen Schä- dels. Leipzig 1862. S. 97. S. 102.
3)Virchow, Entwickelung des Schädelgrundes. Berlin 1857. S. 87.
4)Virchow, 1. c. S. 113.
5) Gratiolet bei Quatrefages, Rapport. p. 302.
6)Pruner Bey, Memoire sur les Negres. 1861. p. 328--329.
4*
Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels.
[Tabelle]
Andre Beobachter wollen sich überzeugt haben, dass Schädel, welche der Zeit des Diluvium angehören, seltner dieses günstige Merkmal an sich tragen 1). Bleibt die Stirn offen, so schliesst sich auch die Pfeilnaht gewöhnlich später und nicht ganz unberechtigt dürfen wir das Raumsuchen des Gehirns als Ursache dieser Er- scheinung uns denken 2), nur sollten wir nicht vergessen, dass die Kreuzköpfe bisweilen auch bei Blödsinnigen vorkommen 3). Um- gekehrt kann aber auch durch ein vorzeitiges Verwachsen der Knochen, wenn es mit Überwältigung des Gegendruckes vorwärts schreitet, die volle Entwickelung des Gehirns gehemmt werden 4), und es ist gewiss sehr wichtig, in welcher Reihenfolge die ein- zelnen Knochen des menschlichen Schädels sich schliessen und das Wachsthum der innern Theile beendigen. Bei den minder be- gabten Menschenstämmen sollen die vorderen, bei höher begabten die hinteren Nähte früher verwischt werden 5). Bei Negerschädeln wollte Pruner Bey einen frühzeitigen Zusammenschluss der Stirn- naht wahrgenommen haben, gefolgt von einem Verwachsen der Kronnaht am mittlern Theil und der Pfeilnaht, während die Lambda- naht um den Gipfel sich am längsten offen erhielt. Bisweilen ver- schmilzt nicht einmal gänzlich die Basilosphenoidal-Naht und selbst bei Erwachsenen sei noch die Incisivnaht zu unterscheiden 6). Der Werth solcher Wahrnehmungen lässt sich aber nur durch die sta-
1) Canestrini bei Darwin, Abstammung des Menschen. Bd. 1. S. 107.
2)Hermann Welcker, Wachsthum und Bau des menschlichen Schä- dels. Leipzig 1862. S. 97. S. 102.
3)Virchow, Entwickelung des Schädelgrundes. Berlin 1857. S. 87.
4)Virchow, 1. c. S. 113.
5) Gratiolet bei Quatrefages, Rapport. p. 302.
6)Pruner Bey, Mémoire sur les Nègres. 1861. p. 328—329.
4*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0069"n="51"/><fwplace="top"type="header">Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels.</fw><lb/><table><row><cell/></row></table></p><p>Andre Beobachter wollen sich überzeugt haben, dass Schädel,<lb/>
welche der Zeit des Diluvium angehören, seltner dieses günstige<lb/>
Merkmal an sich tragen <noteplace="foot"n="1)">Canestrini bei <hirendition="#g">Darwin</hi>, Abstammung des Menschen. Bd. 1. S. 107.</note>. Bleibt die Stirn offen, so schliesst sich<lb/>
auch die Pfeilnaht gewöhnlich später und nicht ganz unberechtigt<lb/>
dürfen wir das Raumsuchen des Gehirns als Ursache dieser Er-<lb/>
scheinung uns denken <noteplace="foot"n="2)"><hirendition="#g">Hermann Welcker</hi>, Wachsthum und Bau des menschlichen Schä-<lb/>
dels. Leipzig 1862. S. 97. S. 102.</note>, nur sollten wir nicht vergessen, dass die<lb/>
Kreuzköpfe bisweilen auch bei Blödsinnigen vorkommen <noteplace="foot"n="3)"><hirendition="#g">Virchow</hi>, Entwickelung des Schädelgrundes. Berlin 1857. S. 87.</note>. Um-<lb/>
gekehrt kann aber auch durch ein vorzeitiges Verwachsen der<lb/>
Knochen, wenn es mit Überwältigung des Gegendruckes vorwärts<lb/>
schreitet, die volle Entwickelung des Gehirns gehemmt werden <noteplace="foot"n="4)"><hirendition="#g">Virchow</hi>, 1. c. S. 113.</note>,<lb/>
und es ist gewiss sehr wichtig, in welcher Reihenfolge die ein-<lb/>
zelnen Knochen des menschlichen Schädels sich schliessen und das<lb/>
Wachsthum der innern Theile beendigen. Bei den minder be-<lb/>
gabten Menschenstämmen sollen die vorderen, bei höher begabten<lb/>
die hinteren Nähte früher verwischt werden <noteplace="foot"n="5)">Gratiolet bei <hirendition="#g">Quatrefages</hi>, Rapport. p. 302.</note>. Bei Negerschädeln<lb/>
wollte Pruner Bey einen frühzeitigen Zusammenschluss der Stirn-<lb/>
naht wahrgenommen haben, gefolgt von einem Verwachsen der<lb/>
Kronnaht am mittlern Theil und der Pfeilnaht, während die Lambda-<lb/>
naht um den Gipfel sich am längsten offen erhielt. Bisweilen ver-<lb/>
schmilzt nicht einmal gänzlich die Basilosphenoidal-Naht und selbst<lb/>
bei Erwachsenen sei noch die Incisivnaht zu unterscheiden <noteplace="foot"n="6)"><hirendition="#g">Pruner Bey</hi>, Mémoire sur les Nègres. 1861. p. 328—329.</note>. Der<lb/>
Werth solcher Wahrnehmungen lässt sich aber nur durch die sta-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">4*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[51/0069]
Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels.
Andre Beobachter wollen sich überzeugt haben, dass Schädel,
welche der Zeit des Diluvium angehören, seltner dieses günstige
Merkmal an sich tragen 1). Bleibt die Stirn offen, so schliesst sich
auch die Pfeilnaht gewöhnlich später und nicht ganz unberechtigt
dürfen wir das Raumsuchen des Gehirns als Ursache dieser Er-
scheinung uns denken 2), nur sollten wir nicht vergessen, dass die
Kreuzköpfe bisweilen auch bei Blödsinnigen vorkommen 3). Um-
gekehrt kann aber auch durch ein vorzeitiges Verwachsen der
Knochen, wenn es mit Überwältigung des Gegendruckes vorwärts
schreitet, die volle Entwickelung des Gehirns gehemmt werden 4),
und es ist gewiss sehr wichtig, in welcher Reihenfolge die ein-
zelnen Knochen des menschlichen Schädels sich schliessen und das
Wachsthum der innern Theile beendigen. Bei den minder be-
gabten Menschenstämmen sollen die vorderen, bei höher begabten
die hinteren Nähte früher verwischt werden 5). Bei Negerschädeln
wollte Pruner Bey einen frühzeitigen Zusammenschluss der Stirn-
naht wahrgenommen haben, gefolgt von einem Verwachsen der
Kronnaht am mittlern Theil und der Pfeilnaht, während die Lambda-
naht um den Gipfel sich am längsten offen erhielt. Bisweilen ver-
schmilzt nicht einmal gänzlich die Basilosphenoidal-Naht und selbst
bei Erwachsenen sei noch die Incisivnaht zu unterscheiden 6). Der
Werth solcher Wahrnehmungen lässt sich aber nur durch die sta-
1) Canestrini bei Darwin, Abstammung des Menschen. Bd. 1. S. 107.
2) Hermann Welcker, Wachsthum und Bau des menschlichen Schä-
dels. Leipzig 1862. S. 97. S. 102.
3) Virchow, Entwickelung des Schädelgrundes. Berlin 1857. S. 87.
4) Virchow, 1. c. S. 113.
5) Gratiolet bei Quatrefages, Rapport. p. 302.
6) Pruner Bey, Mémoire sur les Nègres. 1861. p. 328—329.
4*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/69>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.