seien von Raubthieren verschleppt oder von Bächen in die Höhlen hinabgeführt und unter die Diluvialreste gespült worden. Seitdem aber die Alterthumserforscher die neuen Wahrheiten willig aner- kannt hatten, folgten sich ausserhalb Belgiens rasch die Ent- deckungen solcher Knochenhöhlen. Bisweilen wurden die Ueber- reste der diluvialen Erdbewohner erst unter einem Estrich von Kalk- sinter und unzweifelhafte Kunstgeräthe aus Feuerstein unter der Schicht mit Knochen vorweltlicher Thiere hervorgezogen. Die Unter- suchung einer solchen Höhle bei Brixham durch einen so vertrauens- würdigen Geologen wie Dr. Falconer erweckte schon 1858 in Gross- britannien bei allen Sachverständigen die Ueberzeugung, dass der Mensch ein Zeitgenosse des Mammuth, des wollhaarigen Nashorn, des Höhlenbären, der Höhlenhyäne, des Höhlenlöwen, also von Säugethieren der nächsten geologischen Vorzeit gewesen sei.
Zu diesen ebengenannten Geschöpfen gesellte sich auch das Renthier, welches, wie ja bekannt, nicht zu den ausgestorbnen, sondern nur zu den verdrängten Arten gehört. Es streifte vormals im westlichen Frankreich, wo seine Spuren im Thale der Vezere bedeutsam geworden sind. Dort nämlich, wo die Eisenbahn zwi- schen Orleans und Agen die Landschaft Perigord im Departement Dordogne durchzieht, sind nach und nach sechs Höhlen aufgefunden worden. Sie enthalten in ihrem Schutt Reste künstlich bearbeiteter Rengeweihe, aber auch Steingeräthe. In einem dieser ehemaligen Schlupfwinkel bei Cro-Magnon wurden auch die Schädel und Ske- lette von zwei Männern und zwei Frauen neben Resten des Höhlen- tigers (Felis spelaea), eines riesenhaften Bären, des Aurochsen, dann hochnordischer Thiere wie des Ziesel (Spermophilus erythrogenus) und des Steinbocks gefunden. Diese Höhlenfranzosen ernährten sich vom Jagdbetriebe und vorzüglich wurde dem Rosse als Wild- pret nachgestellt. Da die Knochen der Thiere keine Brandspuren zeigen, so wurde das Fleisch entweder roh genossen, oder viel- leicht in wasserdicht geflochtnen Körben gesotten, wie es noch jetzt von Stämmen in Nordamerika geschieht, welche keine irdne Geschirre kennen und in hölzernen Gefässen das Wasser durch Einschütten glühender Steine erhitzen. In der That nämlich findet man bei den Aschenresten der Cro-Magnon-Höhle Geschiebe, die einen derartigen Gebrauch errathen lassen.
Die alten Bewohner der Dordogne versuchten bereits durch Schnitzereien in Horn und auf dem Elfenbein von Mammuth-
Das Alter des Menschengeschlechtes.
seien von Raubthieren verschleppt oder von Bächen in die Höhlen hinabgeführt und unter die Diluvialreste gespült worden. Seitdem aber die Alterthumserforscher die neuen Wahrheiten willig aner- kannt hatten, folgten sich ausserhalb Belgiens rasch die Ent- deckungen solcher Knochenhöhlen. Bisweilen wurden die Ueber- reste der diluvialen Erdbewohner erst unter einem Estrich von Kalk- sinter und unzweifelhafte Kunstgeräthe aus Feuerstein unter der Schicht mit Knochen vorweltlicher Thiere hervorgezogen. Die Unter- suchung einer solchen Höhle bei Brixham durch einen so vertrauens- würdigen Geologen wie Dr. Falconer erweckte schon 1858 in Gross- britannien bei allen Sachverständigen die Ueberzeugung, dass der Mensch ein Zeitgenosse des Mammuth, des wollhaarigen Nashorn, des Höhlenbären, der Höhlenhyäne, des Höhlenlöwen, also von Säugethieren der nächsten geologischen Vorzeit gewesen sei.
Zu diesen ebengenannten Geschöpfen gesellte sich auch das Renthier, welches, wie ja bekannt, nicht zu den ausgestorbnen, sondern nur zu den verdrängten Arten gehört. Es streifte vormals im westlichen Frankreich, wo seine Spuren im Thale der Vezère bedeutsam geworden sind. Dort nämlich, wo die Eisenbahn zwi- schen Orleans und Agen die Landschaft Périgord im Departement Dordogne durchzieht, sind nach und nach sechs Höhlen aufgefunden worden. Sie enthalten in ihrem Schutt Reste künstlich bearbeiteter Rengeweihe, aber auch Steingeräthe. In einem dieser ehemaligen Schlupfwinkel bei Cro-Magnon wurden auch die Schädel und Ske- lette von zwei Männern und zwei Frauen neben Resten des Höhlen- tigers (Felis spelaea), eines riesenhaften Bären, des Aurochsen, dann hochnordischer Thiere wie des Ziesel (Spermophilus erythrogenus) und des Steinbocks gefunden. Diese Höhlenfranzosen ernährten sich vom Jagdbetriebe und vorzüglich wurde dem Rosse als Wild- pret nachgestellt. Da die Knochen der Thiere keine Brandspuren zeigen, so wurde das Fleisch entweder roh genossen, oder viel- leicht in wasserdicht geflochtnen Körben gesotten, wie es noch jetzt von Stämmen in Nordamerika geschieht, welche keine irdne Geschirre kennen und in hölzernen Gefässen das Wasser durch Einschütten glühender Steine erhitzen. In der That nämlich findet man bei den Aschenresten der Cro-Magnon-Höhle Geschiebe, die einen derartigen Gebrauch errathen lassen.
Die alten Bewohner der Dordogne versuchten bereits durch Schnitzereien in Horn und auf dem Elfenbein von Mammuth-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0057"n="39"/><fwplace="top"type="header">Das Alter des Menschengeschlechtes.</fw><lb/>
seien von Raubthieren verschleppt oder von Bächen in die Höhlen<lb/>
hinabgeführt und unter die Diluvialreste gespült worden. Seitdem<lb/>
aber die Alterthumserforscher die neuen Wahrheiten willig aner-<lb/>
kannt hatten, folgten sich ausserhalb Belgiens rasch die Ent-<lb/>
deckungen solcher Knochenhöhlen. Bisweilen wurden die Ueber-<lb/>
reste der diluvialen Erdbewohner erst unter einem Estrich von Kalk-<lb/>
sinter und unzweifelhafte Kunstgeräthe aus Feuerstein unter der<lb/>
Schicht mit Knochen vorweltlicher Thiere hervorgezogen. Die Unter-<lb/>
suchung einer solchen Höhle bei Brixham durch einen so vertrauens-<lb/>
würdigen Geologen wie Dr. Falconer erweckte schon 1858 in Gross-<lb/>
britannien bei allen Sachverständigen die Ueberzeugung, dass der<lb/>
Mensch ein Zeitgenosse des Mammuth, des wollhaarigen Nashorn,<lb/>
des Höhlenbären, der Höhlenhyäne, des Höhlenlöwen, also von<lb/>
Säugethieren der nächsten geologischen Vorzeit gewesen sei.</p><lb/><p>Zu diesen ebengenannten Geschöpfen gesellte sich auch das<lb/>
Renthier, welches, wie ja bekannt, nicht zu den ausgestorbnen,<lb/>
sondern nur zu den verdrängten Arten gehört. Es streifte vormals<lb/>
im westlichen Frankreich, wo seine Spuren im Thale der Vezère<lb/>
bedeutsam geworden sind. Dort nämlich, wo die Eisenbahn zwi-<lb/>
schen Orleans und Agen die Landschaft Périgord im Departement<lb/>
Dordogne durchzieht, sind nach und nach sechs Höhlen aufgefunden<lb/>
worden. Sie enthalten in ihrem Schutt Reste künstlich bearbeiteter<lb/>
Rengeweihe, aber auch Steingeräthe. In einem dieser ehemaligen<lb/>
Schlupfwinkel bei Cro-Magnon wurden auch die Schädel und Ske-<lb/>
lette von zwei Männern und zwei Frauen neben Resten des Höhlen-<lb/>
tigers (Felis spelaea), eines riesenhaften Bären, des Aurochsen, dann<lb/>
hochnordischer Thiere wie des Ziesel (Spermophilus erythrogenus)<lb/>
und des Steinbocks gefunden. Diese Höhlenfranzosen ernährten<lb/>
sich vom Jagdbetriebe und vorzüglich wurde dem Rosse als Wild-<lb/>
pret nachgestellt. Da die Knochen der Thiere keine Brandspuren<lb/>
zeigen, so wurde das Fleisch entweder roh genossen, oder viel-<lb/>
leicht in wasserdicht geflochtnen Körben gesotten, wie es noch<lb/>
jetzt von Stämmen in Nordamerika geschieht, welche keine irdne<lb/>
Geschirre kennen und in hölzernen Gefässen das Wasser durch<lb/>
Einschütten glühender Steine erhitzen. In der That nämlich findet<lb/>
man bei den Aschenresten der Cro-Magnon-Höhle Geschiebe, die<lb/>
einen derartigen Gebrauch errathen lassen.</p><lb/><p>Die alten Bewohner der Dordogne versuchten bereits durch<lb/>
Schnitzereien in Horn und auf dem Elfenbein von Mammuth-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[39/0057]
Das Alter des Menschengeschlechtes.
seien von Raubthieren verschleppt oder von Bächen in die Höhlen
hinabgeführt und unter die Diluvialreste gespült worden. Seitdem
aber die Alterthumserforscher die neuen Wahrheiten willig aner-
kannt hatten, folgten sich ausserhalb Belgiens rasch die Ent-
deckungen solcher Knochenhöhlen. Bisweilen wurden die Ueber-
reste der diluvialen Erdbewohner erst unter einem Estrich von Kalk-
sinter und unzweifelhafte Kunstgeräthe aus Feuerstein unter der
Schicht mit Knochen vorweltlicher Thiere hervorgezogen. Die Unter-
suchung einer solchen Höhle bei Brixham durch einen so vertrauens-
würdigen Geologen wie Dr. Falconer erweckte schon 1858 in Gross-
britannien bei allen Sachverständigen die Ueberzeugung, dass der
Mensch ein Zeitgenosse des Mammuth, des wollhaarigen Nashorn,
des Höhlenbären, der Höhlenhyäne, des Höhlenlöwen, also von
Säugethieren der nächsten geologischen Vorzeit gewesen sei.
Zu diesen ebengenannten Geschöpfen gesellte sich auch das
Renthier, welches, wie ja bekannt, nicht zu den ausgestorbnen,
sondern nur zu den verdrängten Arten gehört. Es streifte vormals
im westlichen Frankreich, wo seine Spuren im Thale der Vezère
bedeutsam geworden sind. Dort nämlich, wo die Eisenbahn zwi-
schen Orleans und Agen die Landschaft Périgord im Departement
Dordogne durchzieht, sind nach und nach sechs Höhlen aufgefunden
worden. Sie enthalten in ihrem Schutt Reste künstlich bearbeiteter
Rengeweihe, aber auch Steingeräthe. In einem dieser ehemaligen
Schlupfwinkel bei Cro-Magnon wurden auch die Schädel und Ske-
lette von zwei Männern und zwei Frauen neben Resten des Höhlen-
tigers (Felis spelaea), eines riesenhaften Bären, des Aurochsen, dann
hochnordischer Thiere wie des Ziesel (Spermophilus erythrogenus)
und des Steinbocks gefunden. Diese Höhlenfranzosen ernährten
sich vom Jagdbetriebe und vorzüglich wurde dem Rosse als Wild-
pret nachgestellt. Da die Knochen der Thiere keine Brandspuren
zeigen, so wurde das Fleisch entweder roh genossen, oder viel-
leicht in wasserdicht geflochtnen Körben gesotten, wie es noch
jetzt von Stämmen in Nordamerika geschieht, welche keine irdne
Geschirre kennen und in hölzernen Gefässen das Wasser durch
Einschütten glühender Steine erhitzen. In der That nämlich findet
man bei den Aschenresten der Cro-Magnon-Höhle Geschiebe, die
einen derartigen Gebrauch errathen lassen.
Die alten Bewohner der Dordogne versuchten bereits durch
Schnitzereien in Horn und auf dem Elfenbein von Mammuth-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/57>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.