theilung der Bevölkerung Europa's es offenbart hat, in unserem Fest- lande mit Ausnahme der Landes, der Maremmen und der "eisernen Küste" Jütlands stets die Bewohnerzahl am Meeresgestade im Ver- gleich zu den rückwärts liegenden Binnenstrichen. Jene Karte lehrt uns weiter, dass jede Bodenerhebung der Bevölkerungsdichtigkeit entgegenwirkt oder sie gleichsam auflockert. Es ist demnach von tiefer Bedeutung, dass von allen Welttheilen Europa wiederum die geringste mittlere Höhe besitzt1). Eine räumliche Annäherung der Menschen an die Menschen ist aber die unerlässliche Vorbedingung zur Erhöhung der Culturstufen.
Zu unsern glücklichen Uferumrissen gesellen sich meteoro- logische Begünstigungen, wie sie von Sachverständigen kaum besser hätten ausbedungen werden können. Durch das tiefe Eindringen des Meeres werden alle schroffen Gegensätze abgestumpft und die Wärme über die Jahreszeiten so gleichmässig vertheilt, dass er- trägliche Sommer auf milde Winter folgen, und noch im Süden Irlands Myrten, Lorbeeren, Camellien und Orangen das ganze Jahr im Freien ausharren. Die rasche Musterung von Weltkarten mit Dove'schen Isanomalen genügt auch vollständig, um uns zu über- zeugen, dass von allen Welttheilen Europa allein wärmere Sommer und mildere Winter geniesst, als den jeweilig entsprechenden Erdräumen unter gleicher Polhöhe zukommen. Auch einer gleich- mässigen Vertheilung der Niederschläge ist die peninsulare Schlank- heit und die Richtung der grossen Axe unsres Welttheils auf's höchste förderlich. Wo sich Küsten von Süden nach Norden er- strecken und die regenbringenden Seewinde unmittelbar an den Abhängen hoher Gebirge wie an der Ostküste Australiens oder an der Westküste Nordamerika's ihre Feuchtigkeit absetzen, da folgt hinter ihren Kämmen ein regenarmer Gürtel wie in den an- gegebenen Fällen. Nichts derartiges kann sich in Europa zu- tragen, wo die atlantischen Regenwolken oft zu unserm Verdruss ganz Nordeuropa bis nach Russland einhüllen, ohne dass quer vorliegende Bodenerhebungen die gleichmässige Vertheilung zum Schaden der Binnenräume störten. Unsere Hauptgebirgszüge, die Alpen mit ihren östlichen Verlängerungen, verschärfen vielmehr die Absonderung unsres Welttheiles in zwei klimatische Hälften: in Nordeuropa und in Südeuropa, in einen Gürtel, wo im Herbste
1) A. v. Humboldt, Kleine Schriften. Bd. 1. S. 438.
Die mittelländische Race.
theilung der Bevölkerung Europa’s es offenbart hat, in unserem Fest- lande mit Ausnahme der Landes, der Maremmen und der „eisernen Küste“ Jütlands stets die Bewohnerzahl am Meeresgestade im Ver- gleich zu den rückwärts liegenden Binnenstrichen. Jene Karte lehrt uns weiter, dass jede Bodenerhebung der Bevölkerungsdichtigkeit entgegenwirkt oder sie gleichsam auflockert. Es ist demnach von tiefer Bedeutung, dass von allen Welttheilen Europa wiederum die geringste mittlere Höhe besitzt1). Eine räumliche Annäherung der Menschen an die Menschen ist aber die unerlässliche Vorbedingung zur Erhöhung der Culturstufen.
Zu unsern glücklichen Uferumrissen gesellen sich meteoro- logische Begünstigungen, wie sie von Sachverständigen kaum besser hätten ausbedungen werden können. Durch das tiefe Eindringen des Meeres werden alle schroffen Gegensätze abgestumpft und die Wärme über die Jahreszeiten so gleichmässig vertheilt, dass er- trägliche Sommer auf milde Winter folgen, und noch im Süden Irlands Myrten, Lorbeeren, Camellien und Orangen das ganze Jahr im Freien ausharren. Die rasche Musterung von Weltkarten mit Dove’schen Isanomalen genügt auch vollständig, um uns zu über- zeugen, dass von allen Welttheilen Europa allein wärmere Sommer und mildere Winter geniesst, als den jeweilig entsprechenden Erdräumen unter gleicher Polhöhe zukommen. Auch einer gleich- mässigen Vertheilung der Niederschläge ist die peninsulare Schlank- heit und die Richtung der grossen Axe unsres Welttheils auf’s höchste förderlich. Wo sich Küsten von Süden nach Norden er- strecken und die regenbringenden Seewinde unmittelbar an den Abhängen hoher Gebirge wie an der Ostküste Australiens oder an der Westküste Nordamerika’s ihre Feuchtigkeit absetzen, da folgt hinter ihren Kämmen ein regenarmer Gürtel wie in den an- gegebenen Fällen. Nichts derartiges kann sich in Europa zu- tragen, wo die atlantischen Regenwolken oft zu unserm Verdruss ganz Nordeuropa bis nach Russland einhüllen, ohne dass quer vorliegende Bodenerhebungen die gleichmässige Vertheilung zum Schaden der Binnenräume störten. Unsere Hauptgebirgszüge, die Alpen mit ihren östlichen Verlängerungen, verschärfen vielmehr die Absonderung unsres Welttheiles in zwei klimatische Hälften: in Nordeuropa und in Südeuropa, in einen Gürtel, wo im Herbste
1) A. v. Humboldt, Kleine Schriften. Bd. 1. S. 438.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0566"n="548"/><fwplace="top"type="header">Die mittelländische Race.</fw><lb/>
theilung der Bevölkerung Europa’s es offenbart hat, in unserem Fest-<lb/>
lande mit Ausnahme der Landes, der Maremmen und der „eisernen<lb/>
Küste“ Jütlands stets die Bewohnerzahl am Meeresgestade im Ver-<lb/>
gleich zu den rückwärts liegenden Binnenstrichen. Jene Karte lehrt<lb/>
uns weiter, dass jede Bodenerhebung der Bevölkerungsdichtigkeit<lb/>
entgegenwirkt oder sie gleichsam auflockert. Es ist demnach von<lb/>
tiefer Bedeutung, dass von allen Welttheilen Europa wiederum die<lb/>
geringste mittlere Höhe besitzt<noteplace="foot"n="1)">A. v. <hirendition="#g">Humboldt</hi>, Kleine Schriften. Bd. 1. S. 438.</note>. Eine räumliche Annäherung der<lb/>
Menschen an die Menschen ist aber die unerlässliche Vorbedingung<lb/>
zur Erhöhung der Culturstufen.</p><lb/><p>Zu unsern glücklichen Uferumrissen gesellen sich meteoro-<lb/>
logische Begünstigungen, wie sie von Sachverständigen kaum besser<lb/>
hätten ausbedungen werden können. Durch das tiefe Eindringen<lb/>
des Meeres werden alle schroffen Gegensätze abgestumpft und die<lb/>
Wärme über die Jahreszeiten so gleichmässig vertheilt, dass er-<lb/>
trägliche Sommer auf milde Winter folgen, und noch im Süden<lb/>
Irlands Myrten, Lorbeeren, Camellien und Orangen das ganze Jahr<lb/>
im Freien ausharren. Die rasche Musterung von Weltkarten mit<lb/>
Dove’schen Isanomalen genügt auch vollständig, um uns zu über-<lb/>
zeugen, dass von allen Welttheilen Europa allein wärmere Sommer<lb/>
und mildere Winter geniesst, als den jeweilig entsprechenden<lb/>
Erdräumen unter gleicher Polhöhe zukommen. Auch einer gleich-<lb/>
mässigen Vertheilung der Niederschläge ist die peninsulare Schlank-<lb/>
heit und die Richtung der grossen Axe unsres Welttheils auf’s<lb/>
höchste förderlich. Wo sich Küsten von Süden nach Norden er-<lb/>
strecken und die regenbringenden Seewinde unmittelbar an den<lb/>
Abhängen hoher Gebirge wie an der Ostküste Australiens oder<lb/>
an der Westküste Nordamerika’s ihre Feuchtigkeit absetzen, da<lb/>
folgt hinter ihren Kämmen ein regenarmer Gürtel wie in den an-<lb/>
gegebenen Fällen. Nichts derartiges kann sich in Europa zu-<lb/>
tragen, wo die atlantischen Regenwolken oft zu unserm Verdruss<lb/>
ganz Nordeuropa bis nach Russland einhüllen, ohne dass quer<lb/>
vorliegende Bodenerhebungen die gleichmässige Vertheilung zum<lb/>
Schaden der Binnenräume störten. Unsere Hauptgebirgszüge, die<lb/>
Alpen mit ihren östlichen Verlängerungen, verschärfen vielmehr<lb/>
die Absonderung unsres Welttheiles in zwei klimatische Hälften:<lb/>
in Nordeuropa und in Südeuropa, in einen Gürtel, wo im Herbste<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[548/0566]
Die mittelländische Race.
theilung der Bevölkerung Europa’s es offenbart hat, in unserem Fest-
lande mit Ausnahme der Landes, der Maremmen und der „eisernen
Küste“ Jütlands stets die Bewohnerzahl am Meeresgestade im Ver-
gleich zu den rückwärts liegenden Binnenstrichen. Jene Karte lehrt
uns weiter, dass jede Bodenerhebung der Bevölkerungsdichtigkeit
entgegenwirkt oder sie gleichsam auflockert. Es ist demnach von
tiefer Bedeutung, dass von allen Welttheilen Europa wiederum die
geringste mittlere Höhe besitzt 1). Eine räumliche Annäherung der
Menschen an die Menschen ist aber die unerlässliche Vorbedingung
zur Erhöhung der Culturstufen.
Zu unsern glücklichen Uferumrissen gesellen sich meteoro-
logische Begünstigungen, wie sie von Sachverständigen kaum besser
hätten ausbedungen werden können. Durch das tiefe Eindringen
des Meeres werden alle schroffen Gegensätze abgestumpft und die
Wärme über die Jahreszeiten so gleichmässig vertheilt, dass er-
trägliche Sommer auf milde Winter folgen, und noch im Süden
Irlands Myrten, Lorbeeren, Camellien und Orangen das ganze Jahr
im Freien ausharren. Die rasche Musterung von Weltkarten mit
Dove’schen Isanomalen genügt auch vollständig, um uns zu über-
zeugen, dass von allen Welttheilen Europa allein wärmere Sommer
und mildere Winter geniesst, als den jeweilig entsprechenden
Erdräumen unter gleicher Polhöhe zukommen. Auch einer gleich-
mässigen Vertheilung der Niederschläge ist die peninsulare Schlank-
heit und die Richtung der grossen Axe unsres Welttheils auf’s
höchste förderlich. Wo sich Küsten von Süden nach Norden er-
strecken und die regenbringenden Seewinde unmittelbar an den
Abhängen hoher Gebirge wie an der Ostküste Australiens oder
an der Westküste Nordamerika’s ihre Feuchtigkeit absetzen, da
folgt hinter ihren Kämmen ein regenarmer Gürtel wie in den an-
gegebenen Fällen. Nichts derartiges kann sich in Europa zu-
tragen, wo die atlantischen Regenwolken oft zu unserm Verdruss
ganz Nordeuropa bis nach Russland einhüllen, ohne dass quer
vorliegende Bodenerhebungen die gleichmässige Vertheilung zum
Schaden der Binnenräume störten. Unsere Hauptgebirgszüge, die
Alpen mit ihren östlichen Verlängerungen, verschärfen vielmehr
die Absonderung unsres Welttheiles in zwei klimatische Hälften:
in Nordeuropa und in Südeuropa, in einen Gürtel, wo im Herbste
1) A. v. Humboldt, Kleine Schriften. Bd. 1. S. 438.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/566>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.