Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.Die mittelländische Race. das Schaf suchen wir vergebens auf den Denkmälern des altenReiches, und das Pferd fehlt sogar in den "steinernen Bilder- büchern" vor dem Einfall der Hirtenkönige1). Das Ross bezähmt zu haben, ist nämlich das Verdienst eines weit von Aegypten ent- legenen Völkerkreises. Ausserhalb Aegyptens vollzog sich auch die Erfindung des Wagens, eine hohe Verbesserung der Walzen- bewegung, die ihrer Zeit einen ebenso entscheidenden Vortheil gewährte, wie in unserm Jahrhundert die Eröffnung von Eisen- bahnen. Da der aegyptische Name für Wagen semitischen Sprachen entlehnt ist2), so wissen wir, aus welchen Händen jenes Cultur- geräth nach dem Nil gelangte. Das Reiten der Pferde war in Altaegypten nicht gebräuchlich, wenn auch griechische Gelehrte dorthin den Ursprung dieser Kunst verlegen3). Ehrfurchtvolles Staunen erregen noch jetzt die Bauwerke des Nilvolkes, seine Tempel, seine Sphinxalleen, seine steinernen Riesenbilder, seine Pyramiden. Letztere betrachten wir als gute Denksteine für die frühe Reife gesellschaftlicher Zustände, denn sie setzen einen Ueberschuss von Arbeitskräften, Anhäufung grosser Mundvorräthe an der Baustelle, bequeme Verkehrsmittel, Frohndgesetze und ge- regelte Besteuerungen voraus. Dies wird mittelbar noch dadurch bestätigt, dass im neuen Reiche der Rechtsstaat verwirklicht wurde durch die Unabhängigkeit des Richterstandes, der eidlich gebunden war, das Gesetz gegen Despotenlaune zu schützen4). Der Bau der ersten Pyramiden wird dem dritten Nachfolger des Menes, des Gründers von Memphis zugeschrieben. Sie standen noch zur griechischen Zeit und Lepsius5) glaubt, dass ihre Schuttreste noch immer vorhanden sind. Die schüchternste Zeitberechnung führt Menes zurück bis auf 3892 v. Chr.6) und unter ihm waren die 1) H. Brugsch, Histoire d'Egypte. tom. 1. p. 25. 2) G. Ebers, Aegypten und Mose. Bd. 1. S. 222. 3) Nach dem Scholiasten zu Apollon. Rhod. 4, 272. 276. (Argonautica ed. Schaefer. Leipzig 1813. tom. II. p. 289.) soll König Sesonchosis zuerst das Reiten erfunden haben. 4) G. Ebers, Durch Gosen zum Sinai. S. 543--544. 5) Zeitschrift für ägypt. Sprache u. Alterthumskunde. 1870. S. 91. 6) Nach dem Canon bei Heinrich Brugsch (Histoire d'Egypte, tom
I, p. 287) würde vielmehr seine Regierungszeit in die Jahre 4455--4395 fallen. Die mittelländische Race. das Schaf suchen wir vergebens auf den Denkmälern des altenReiches, und das Pferd fehlt sogar in den „steinernen Bilder- büchern“ vor dem Einfall der Hirtenkönige1). Das Ross bezähmt zu haben, ist nämlich das Verdienst eines weit von Aegypten ent- legenen Völkerkreises. Ausserhalb Aegyptens vollzog sich auch die Erfindung des Wagens, eine hohe Verbesserung der Walzen- bewegung, die ihrer Zeit einen ebenso entscheidenden Vortheil gewährte, wie in unserm Jahrhundert die Eröffnung von Eisen- bahnen. Da der aegyptische Name für Wagen semitischen Sprachen entlehnt ist2), so wissen wir, aus welchen Händen jenes Cultur- geräth nach dem Nil gelangte. Das Reiten der Pferde war in Altaegypten nicht gebräuchlich, wenn auch griechische Gelehrte dorthin den Ursprung dieser Kunst verlegen3). Ehrfurchtvolles Staunen erregen noch jetzt die Bauwerke des Nilvolkes, seine Tempel, seine Sphinxalleen, seine steinernen Riesenbilder, seine Pyramiden. Letztere betrachten wir als gute Denksteine für die frühe Reife gesellschaftlicher Zustände, denn sie setzen einen Ueberschuss von Arbeitskräften, Anhäufung grosser Mundvorräthe an der Baustelle, bequeme Verkehrsmittel, Frohndgesetze und ge- regelte Besteuerungen voraus. Dies wird mittelbar noch dadurch bestätigt, dass im neuen Reiche der Rechtsstaat verwirklicht wurde durch die Unabhängigkeit des Richterstandes, der eidlich gebunden war, das Gesetz gegen Despotenlaune zu schützen4). Der Bau der ersten Pyramiden wird dem dritten Nachfolger des Menes, des Gründers von Memphis zugeschrieben. Sie standen noch zur griechischen Zeit und Lepsius5) glaubt, dass ihre Schuttreste noch immer vorhanden sind. Die schüchternste Zeitberechnung führt Menes zurück bis auf 3892 v. Chr.6) und unter ihm waren die 1) H. Brugsch, Histoire d’Egypte. tom. 1. p. 25. 2) G. Ebers, Aegypten und Mose. Bd. 1. S. 222. 3) Nach dem Scholiasten zu Apollon. Rhod. 4, 272. 276. (Argonautica ed. Schaefer. Leipzig 1813. tom. II. p. 289.) soll König Sesonchosis zuerst das Reiten erfunden haben. 4) G. Ebers, Durch Gosen zum Sinai. S. 543—544. 5) Zeitschrift für ägypt. Sprache u. Alterthumskunde. 1870. S. 91. 6) Nach dem Canon bei Heinrich Brugsch (Histoire d’Égypte, tom
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Die mittelländische Race.
das Schaf suchen wir vergebens auf den Denkmälern des alten
Reiches, und das Pferd fehlt sogar in den „steinernen Bilder-
büchern“ vor dem Einfall der Hirtenkönige 1). Das Ross bezähmt
zu haben, ist nämlich das Verdienst eines weit von Aegypten ent-
legenen Völkerkreises. Ausserhalb Aegyptens vollzog sich auch
die Erfindung des Wagens, eine hohe Verbesserung der Walzen-
bewegung, die ihrer Zeit einen ebenso entscheidenden Vortheil
gewährte, wie in unserm Jahrhundert die Eröffnung von Eisen-
bahnen. Da der aegyptische Name für Wagen semitischen Sprachen
entlehnt ist 2), so wissen wir, aus welchen Händen jenes Cultur-
geräth nach dem Nil gelangte. Das Reiten der Pferde war in
Altaegypten nicht gebräuchlich, wenn auch griechische Gelehrte
dorthin den Ursprung dieser Kunst verlegen 3). Ehrfurchtvolles
Staunen erregen noch jetzt die Bauwerke des Nilvolkes, seine
Tempel, seine Sphinxalleen, seine steinernen Riesenbilder, seine
Pyramiden. Letztere betrachten wir als gute Denksteine für die
frühe Reife gesellschaftlicher Zustände, denn sie setzen einen
Ueberschuss von Arbeitskräften, Anhäufung grosser Mundvorräthe
an der Baustelle, bequeme Verkehrsmittel, Frohndgesetze und ge-
regelte Besteuerungen voraus. Dies wird mittelbar noch dadurch
bestätigt, dass im neuen Reiche der Rechtsstaat verwirklicht wurde
durch die Unabhängigkeit des Richterstandes, der eidlich gebunden
war, das Gesetz gegen Despotenlaune zu schützen 4). Der Bau
der ersten Pyramiden wird dem dritten Nachfolger des Menes, des
Gründers von Memphis zugeschrieben. Sie standen noch zur
griechischen Zeit und Lepsius 5) glaubt, dass ihre Schuttreste noch
immer vorhanden sind. Die schüchternste Zeitberechnung führt
Menes zurück bis auf 3892 v. Chr. 6) und unter ihm waren die
1) H. Brugsch, Histoire d’Egypte. tom. 1. p. 25.
2) G. Ebers, Aegypten und Mose. Bd. 1. S. 222.
3) Nach dem Scholiasten zu Apollon. Rhod. 4, 272. 276. (Argonautica
ed. Schaefer. Leipzig 1813. tom. II. p. 289.) soll König Sesonchosis zuerst
das Reiten erfunden haben.
4) G. Ebers, Durch Gosen zum Sinai. S. 543—544.
5) Zeitschrift für ägypt. Sprache u. Alterthumskunde. 1870. S. 91.
6) Nach dem Canon bei Heinrich Brugsch (Histoire d’Égypte, tom
I, p. 287) würde vielmehr seine Regierungszeit in die Jahre 4455—4395
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