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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die mittelländische Race.
Franzosen, eine Wortverstümmelung aus qabail, was die "Stämme"
bedeutet. In Tunis führen die Berber den Namen Suawua, zu
denen auch noch im Südosten dieses Gebietes die Stämme hinzu-
zuzählen sind, welche Dschebaliya heissen1). Berberischer
Abkunft sind ferner die Bewohner von Siwah, der Jupiter-Ammons-
oase, also die Garamanten der alten Erdkunde. Endlich werden
wir ihnen auch noch die Teda oder Tibbu der östlichen Sahara
beizuzählen haben2). Alle diese libyschen Völker führen auf den
hieroglyphischen Inschriften den Namen Temhu und sind auf den
ägyptischen Denkmälern kenntlich an Tätowirungen in Form eines
Kreuzes, die noch jetzt bei Kabylenfrauen gebräuchlich sein sollen3).

Die Altägypter, hieroglyphisch Retu genannt, werden noch
jetzt mehr oder weniger rein von der Bauernbevölkerung am un-
tern Nil, den Fellahein, am reinsten von den städtebewohnenden
christlichen Kopten vertreten4).

Von den ostafrikanischen Hamiten nähern sich den Alt-
ägyptern am meisten die Bewohner der nubischen Nilländer, die
sich Berabra also Berbern nennen5). Sie waren vormals Christen
bis zum Falle des berberischen Nilreiches Dongola im Jahre 1320.
Zwischen dem nubischen Nil und dem rothen Meere sitzen Stämme,
die von den alten Geographen Blemmyer6), von den axumitischen
Inschriften und arabischen Geographen Bedscha geheissen werden.
Am reinsten vertreten werden sie von den Bischarin, Hadendoa
und theilweis den Beni Amer, die neben einem verdorbenen Ara-
bisch noch eine ältere hamitische Sprache mit drei grammatischen Ge-
schlechtsformen, das Tobedauie, reden7). Zwischen dem blauen
Nil und dem Atbara bis nach Sennar nomadisiren die Awlad Abau
Simbil und die Schukurieh, welche letztere, obgleich sie ein ver-
derbtes Arabisch reden, nicht von Arabern abstammen8) Zwischen

1) v. Maltzan, Tunis und Tripolis. Leipzig, 1870. Bd. 1. S. 106.
2) S. oben S. 503.
3) Recherches sur l'origine des Kabyles. Le Globe. Geneve. 1871.
tom X, p. 48.
4) R. Hartmann, Nilländer. S. 215. S. 235.
5) Hartmann, l. c. S. 238.
6) Lepsius, Standard Alphabet. 2. ed. p. 203.
7) Werner Munzinger, Ostafrikanische Studien. Schaffhausen. 1864.
S. 341. S. 344.
8) Hartmann, l. c. S. 263 ff.

Die mittelländische Race.
Franzosen, eine Wortverstümmelung aus qabâil, was die „Stämme“
bedeutet. In Tunis führen die Berber den Namen Suawua, zu
denen auch noch im Südosten dieses Gebietes die Stämme hinzu-
zuzählen sind, welche Dschebaliya heissen1). Berberischer
Abkunft sind ferner die Bewohner von Siwah, der Jupiter-Ammons-
oase, also die Garamanten der alten Erdkunde. Endlich werden
wir ihnen auch noch die Téda oder Tibbu der östlichen Sahara
beizuzählen haben2). Alle diese libyschen Völker führen auf den
hieroglyphischen Inschriften den Namen Temhu und sind auf den
ägyptischen Denkmälern kenntlich an Tätowirungen in Form eines
Kreuzes, die noch jetzt bei Kabylenfrauen gebräuchlich sein sollen3).

Die Altägypter, hieroglyphisch Retu genannt, werden noch
jetzt mehr oder weniger rein von der Bauernbevölkerung am un-
tern Nil, den Fellâhîn, am reinsten von den städtebewohnenden
christlichen Kopten vertreten4).

Von den ostafrikanischen Hamiten nähern sich den Alt-
ägyptern am meisten die Bewohner der nubischen Nilländer, die
sich Berâbra also Berbern nennen5). Sie waren vormals Christen
bis zum Falle des berberischen Nilreiches Dongola im Jahre 1320.
Zwischen dem nubischen Nil und dem rothen Meere sitzen Stämme,
die von den alten Geographen Blemmyer6), von den axumitischen
Inschriften und arabischen Geographen Bedscha geheissen werden.
Am reinsten vertreten werden sie von den Bischarin, Hadendoa
und theilweis den Beni Amer, die neben einem verdorbenen Ara-
bisch noch eine ältere hamitische Sprache mit drei grammatischen Ge-
schlechtsformen, das Tobedauie, reden7). Zwischen dem blauen
Nil und dem Atbara bis nach Sennâr nomadisiren die Awlâd Abû
Simbil und die Schukuriêh, welche letztere, obgleich sie ein ver-
derbtes Arabisch reden, nicht von Arabern abstammen8) Zwischen

1) v. Maltzan, Tunis und Tripolis. Leipzig, 1870. Bd. 1. S. 106.
2) S. oben S. 503.
3) Recherches sur l’origine des Kabyles. Le Globe. Genève. 1871.
tom X, p. 48.
4) R. Hartmann, Nilländer. S. 215. S. 235.
5) Hartmann, l. c. S. 238.
6) Lepsius, Standard Alphabet. 2. ed. p. 203.
7) Werner Munzinger, Ostafrikanische Studien. Schaffhausen. 1864.
S. 341. S. 344.
8) Hartmann, l. c. S. 263 ff.
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[519/0537] Die mittelländische Race. Franzosen, eine Wortverstümmelung aus qabâil, was die „Stämme“ bedeutet. In Tunis führen die Berber den Namen Suawua, zu denen auch noch im Südosten dieses Gebietes die Stämme hinzu- zuzählen sind, welche Dschebaliya heissen 1). Berberischer Abkunft sind ferner die Bewohner von Siwah, der Jupiter-Ammons- oase, also die Garamanten der alten Erdkunde. Endlich werden wir ihnen auch noch die Téda oder Tibbu der östlichen Sahara beizuzählen haben 2). Alle diese libyschen Völker führen auf den hieroglyphischen Inschriften den Namen Temhu und sind auf den ägyptischen Denkmälern kenntlich an Tätowirungen in Form eines Kreuzes, die noch jetzt bei Kabylenfrauen gebräuchlich sein sollen 3). Die Altägypter, hieroglyphisch Retu genannt, werden noch jetzt mehr oder weniger rein von der Bauernbevölkerung am un- tern Nil, den Fellâhîn, am reinsten von den städtebewohnenden christlichen Kopten vertreten 4). Von den ostafrikanischen Hamiten nähern sich den Alt- ägyptern am meisten die Bewohner der nubischen Nilländer, die sich Berâbra also Berbern nennen 5). Sie waren vormals Christen bis zum Falle des berberischen Nilreiches Dongola im Jahre 1320. Zwischen dem nubischen Nil und dem rothen Meere sitzen Stämme, die von den alten Geographen Blemmyer 6), von den axumitischen Inschriften und arabischen Geographen Bedscha geheissen werden. Am reinsten vertreten werden sie von den Bischarin, Hadendoa und theilweis den Beni Amer, die neben einem verdorbenen Ara- bisch noch eine ältere hamitische Sprache mit drei grammatischen Ge- schlechtsformen, das Tobedauie, reden 7). Zwischen dem blauen Nil und dem Atbara bis nach Sennâr nomadisiren die Awlâd Abû Simbil und die Schukuriêh, welche letztere, obgleich sie ein ver- derbtes Arabisch reden, nicht von Arabern abstammen 8) Zwischen 1) v. Maltzan, Tunis und Tripolis. Leipzig, 1870. Bd. 1. S. 106. 2) S. oben S. 503. 3) Recherches sur l’origine des Kabyles. Le Globe. Genève. 1871. tom X, p. 48. 4) R. Hartmann, Nilländer. S. 215. S. 235. 5) Hartmann, l. c. S. 238. 6) Lepsius, Standard Alphabet. 2. ed. p. 203. 7) Werner Munzinger, Ostafrikanische Studien. Schaffhausen. 1864. S. 341. S. 344. 8) Hartmann, l. c. S. 263 ff.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/537>, abgerufen am 22.12.2024.