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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Hottentotten und Buschmänner.
Berechtigung Wilde genannt worden sind. Die gesellschaftlichen
Zustände unsrer Vorfahren zu Tacitus' Zeiten waren nur wenig
besser als die der Koi-koin und dennoch besass ihre Sprache
schon damals arische Hoheit.

Das Nama und die anderen Mundarten der Koi-koin befestigen
die starkabgeschliffenen Formlaute am Ende der Wurzel. Aus koi
Mensch wird koi-b Mann, koi-s Weib, koi-gu Männer, koi-ti Weiber.
koi-i Person, koi-n Leute. Wir wählen dieses Beispiel, um hinzuzu-
fügen, dass aus koi Mensch koi-si freundlich, koi-si-b Menschen-
freund und koi-si-s Menschlichkeit entsteht 1). Da sehr viele lieb-
lose Anthropologen den alterthümlichen Volksstämmen vorgeworfen
haben, dass sich in ihren Sprachen keine Ausdrücke für Abstrac-
tionen, oder kein Wort für Gott oder Moral finde, so wollen wir
daran mahnen, dass die Hottentotten einst auf die tiefste Stufe
gestellt, das obige Wort für Humanität besitzen.

Da sie seit etlichen Jahrhunderten schon mit Europäern und
Mischlingen verkehren, so müssen wir uns über ihre Sitten und
Gewohnheiten durch die älteren Schilderungen unterrichten lassen
und unter diesen ist die beste jedenfalls die von Kolbe aus den
ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts.

Die Hottentotten waren Rinderhirten zur Zeit, als sie die
Portugiesen zuerst zu Gesicht bekamen 2), betrieben aber keinen
Ackerbau, sondern begnügten sich mit den wild wachsenden
Früchten und Wurzeln, welche letztere nicht eher ausgegraben
werden durften, als nachdem die reifen Samen ausgefallen waren 3).
Als Obdach diente ihnen ein niedriges, halbkugelförmiges Gestell aus
Stäben, die in die Erde gesenkt, gebogen, zusammengebunden und mit
Binsenmatten gedeckt wurden. Lederne Schürzen und Mäntel bildeten
die Bekleidung, auch gehörten die Hottentotten zu den Sandalen-
trägern und es bedeckten sich beide Geschlechter, die Frauen aus
Schamhaftigkeit den Kopf mit einer Fellmütze. Speere, Wurfstöcke
(Kiri) und Fechterstäbe zum Pariren waren ihre Waffen und da sie

1) Nama Grammatik von Th. Hahn, in dem VI. und VII. Jahres-
bericht des Dresdner Vereins für Erdkunde. S. 32.
2) Die Angra dos Vaqueiros oder der Landungspunkt des Bartho-
lomeu Dias (Barros, Da Asia, Dec. I., livro III., cap. 4) war die heutige
Algoabai. Peschel, Zeitalter der Entdeckungen. S. 94.
3) Kolbe, Vorgebirge der guten Hoffnung. S. 460.

Hottentotten und Buschmänner.
Berechtigung Wilde genannt worden sind. Die gesellschaftlichen
Zustände unsrer Vorfahren zu Tacitus’ Zeiten waren nur wenig
besser als die der Koi-koin und dennoch besass ihre Sprache
schon damals arische Hoheit.

Das Nama und die anderen Mundarten der Koi-koin befestigen
die starkabgeschliffenen Formlaute am Ende der Wurzel. Aus koi
Mensch wird koi-b Mann, koi-s Weib, koi-gu Männer, koi-ti Weiber.
koi-i Person, koi-n Leute. Wir wählen dieses Beispiel, um hinzuzu-
fügen, dass aus koi Mensch koi-si freundlich, koi-si-b Menschen-
freund und koi-si-s Menschlichkeit entsteht 1). Da sehr viele lieb-
lose Anthropologen den alterthümlichen Volksstämmen vorgeworfen
haben, dass sich in ihren Sprachen keine Ausdrücke für Abstrac-
tionen, oder kein Wort für Gott oder Moral finde, so wollen wir
daran mahnen, dass die Hottentotten einst auf die tiefste Stufe
gestellt, das obige Wort für Humanität besitzen.

Da sie seit etlichen Jahrhunderten schon mit Europäern und
Mischlingen verkehren, so müssen wir uns über ihre Sitten und
Gewohnheiten durch die älteren Schilderungen unterrichten lassen
und unter diesen ist die beste jedenfalls die von Kolbe aus den
ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts.

Die Hottentotten waren Rinderhirten zur Zeit, als sie die
Portugiesen zuerst zu Gesicht bekamen 2), betrieben aber keinen
Ackerbau, sondern begnügten sich mit den wild wachsenden
Früchten und Wurzeln, welche letztere nicht eher ausgegraben
werden durften, als nachdem die reifen Samen ausgefallen waren 3).
Als Obdach diente ihnen ein niedriges, halbkugelförmiges Gestell aus
Stäben, die in die Erde gesenkt, gebogen, zusammengebunden und mit
Binsenmatten gedeckt wurden. Lederne Schürzen und Mäntel bildeten
die Bekleidung, auch gehörten die Hottentotten zu den Sandalen-
trägern und es bedeckten sich beide Geschlechter, die Frauen aus
Schamhaftigkeit den Kopf mit einer Fellmütze. Speere, Wurfstöcke
(Kiri) und Fechterstäbe zum Pariren waren ihre Waffen und da sie

1) Nama Grammatik von Th. Hahn, in dem VI. und VII. Jahres-
bericht des Dresdner Vereins für Erdkunde. S. 32.
2) Die Angra dos Vaqueiros oder der Landungspunkt des Bartho-
lomeu Dias (Barros, Da Asia, Dec. I., livro III., cap. 4) war die heutige
Algoabai. Peschel, Zeitalter der Entdeckungen. S. 94.
3) Kolbe, Vorgebirge der guten Hoffnung. S. 460.
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[492/0510] Hottentotten und Buschmänner. Berechtigung Wilde genannt worden sind. Die gesellschaftlichen Zustände unsrer Vorfahren zu Tacitus’ Zeiten waren nur wenig besser als die der Koi-koin und dennoch besass ihre Sprache schon damals arische Hoheit. Das Nama und die anderen Mundarten der Koi-koin befestigen die starkabgeschliffenen Formlaute am Ende der Wurzel. Aus koi Mensch wird koi-b Mann, koi-s Weib, koi-gu Männer, koi-ti Weiber. koi-i Person, koi-n Leute. Wir wählen dieses Beispiel, um hinzuzu- fügen, dass aus koi Mensch koi-si freundlich, koi-si-b Menschen- freund und koi-si-s Menschlichkeit entsteht 1). Da sehr viele lieb- lose Anthropologen den alterthümlichen Volksstämmen vorgeworfen haben, dass sich in ihren Sprachen keine Ausdrücke für Abstrac- tionen, oder kein Wort für Gott oder Moral finde, so wollen wir daran mahnen, dass die Hottentotten einst auf die tiefste Stufe gestellt, das obige Wort für Humanität besitzen. Da sie seit etlichen Jahrhunderten schon mit Europäern und Mischlingen verkehren, so müssen wir uns über ihre Sitten und Gewohnheiten durch die älteren Schilderungen unterrichten lassen und unter diesen ist die beste jedenfalls die von Kolbe aus den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts. Die Hottentotten waren Rinderhirten zur Zeit, als sie die Portugiesen zuerst zu Gesicht bekamen 2), betrieben aber keinen Ackerbau, sondern begnügten sich mit den wild wachsenden Früchten und Wurzeln, welche letztere nicht eher ausgegraben werden durften, als nachdem die reifen Samen ausgefallen waren 3). Als Obdach diente ihnen ein niedriges, halbkugelförmiges Gestell aus Stäben, die in die Erde gesenkt, gebogen, zusammengebunden und mit Binsenmatten gedeckt wurden. Lederne Schürzen und Mäntel bildeten die Bekleidung, auch gehörten die Hottentotten zu den Sandalen- trägern und es bedeckten sich beide Geschlechter, die Frauen aus Schamhaftigkeit den Kopf mit einer Fellmütze. Speere, Wurfstöcke (Kiri) und Fechterstäbe zum Pariren waren ihre Waffen und da sie 1) Nama Grammatik von Th. Hahn, in dem VI. und VII. Jahres- bericht des Dresdner Vereins für Erdkunde. S. 32. 2) Die Angra dos Vaqueiros oder der Landungspunkt des Bartho- lomeu Dias (Barros, Da Asia, Dec. I., livro III., cap. 4) war die heutige Algoabai. Peschel, Zeitalter der Entdeckungen. S. 94. 3) Kolbe, Vorgebirge der guten Hoffnung. S. 460.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/510>, abgerufen am 23.12.2024.