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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die amerikanische Urbevölkerung.
tallener Geräthe noch ein sehr sparsamer, allerdings weil die
glasscharfen Späne und Messerklingen aus Obsidian ihre Dienste
hinreichend ersetzten. Die Waffen waren bei allen vier Cultur-
völkern die nämlichen, nur fehlten den Peruanern die Holz-
schwerter der drei anderen Völker, wogegen wiederum nur sie
Morgensterne und Lanzen mit Bronzeklingen führten. Bei den
nördlichen Völkern dienten Goldstaub in Federkielen. Zinn- und
Kupferbarren, endlich die Cacaobohnen als Geld. Die Inca-
peruaner kannten dafür Waage und Gewichte und die Chibcha
benützten obendrein goldene Scheiben als Tauschmittel. Würden
wir die Musterung nicht weiter fortsetzen, so möchte das Ergebniss
dahin lauten, dass die Peruaner den Chibcha um viele, den nörd-
lichen Culturvölkern um manche Fortschritte vorausgewesen seien.
Allein die letzteren besassen eine Kalenderrechnung von 3651/4
Tagen, während die Peruaner sich nur mit der Beobachtung der
Aufgangsorte (Azimuthe) des Tagesgestirnes zur Zeit der Sonnen-
wenden durch Steinpfeiler begnügten. Die Mexicaner verfertigten
Landkarten, aus denen die spanischen Eroberer wichtige Be-
lehrungen schöpften, die Peruaner nur Stadtpläne in erhabener
Arbeit. Weit ärmer aber waren die Peruaner darin, dass sie
ausser einer Bilderschrift 1) nur eine Quippu- oder Knotenschrift
besassen, wie in Vorzeiten die Chinesen 2) oder wie wir sie bei
Papuanen schon angetroffen haben 3), wie sie selbst bei den Jäger-
stämmen am Orinoco vorkam, denn dort hinterliess der Ehemann
beim Antritt einer Reise seinem Weib eine Schnur mit so vielen
Knoten, als er Tage wegbleiben wollte, und sie löste jeden Abend
einen von ihnen auf. Oder eine solche Schnur mit Knoten diente
dort als Schuldbekenntniss und der Gläubiger knüpfte bei jedem
zurückgezahlten Stück des Darlehens einen Knoten wieder auf 4).
Die Quippuschrift ist aber wenig geeignet zur Aufbewahrung von
Begebenheiten und Namen, weswegen auch die Glaubwürdigkeit
der Geschichte des inca-peruanischen Reiches beträchtlichen Zwei-

1) Acosta, Historia natural y moral. libro VI. cap. 8. Ein Muster
solcher Urkunden hat J. J. v. Tschudi (Reisen durch Südamerika. Bd. 5.
S. 284) mitgetheilt.
2) Whitney, Language p. 450.
3) S. oben S. 367.
4) Gumilla, El Orinoco ilustrado. tom. II. 23. p. 505.

Die amerikanische Urbevölkerung.
tallener Geräthe noch ein sehr sparsamer, allerdings weil die
glasscharfen Späne und Messerklingen aus Obsidian ihre Dienste
hinreichend ersetzten. Die Waffen waren bei allen vier Cultur-
völkern die nämlichen, nur fehlten den Peruanern die Holz-
schwerter der drei anderen Völker, wogegen wiederum nur sie
Morgensterne und Lanzen mit Bronzeklingen führten. Bei den
nördlichen Völkern dienten Goldstaub in Federkielen. Zinn- und
Kupferbarren, endlich die Cacaobohnen als Geld. Die Inca-
peruaner kannten dafür Waage und Gewichte und die Chibcha
benützten obendrein goldene Scheiben als Tauschmittel. Würden
wir die Musterung nicht weiter fortsetzen, so möchte das Ergebniss
dahin lauten, dass die Peruaner den Chibcha um viele, den nörd-
lichen Culturvölkern um manche Fortschritte vorausgewesen seien.
Allein die letzteren besassen eine Kalenderrechnung von 365¼
Tagen, während die Peruaner sich nur mit der Beobachtung der
Aufgangsorte (Azimuthe) des Tagesgestirnes zur Zeit der Sonnen-
wenden durch Steinpfeiler begnügten. Die Mexicaner verfertigten
Landkarten, aus denen die spanischen Eroberer wichtige Be-
lehrungen schöpften, die Peruaner nur Stadtpläne in erhabener
Arbeit. Weit ärmer aber waren die Peruaner darin, dass sie
ausser einer Bilderschrift 1) nur eine Quippu- oder Knotenschrift
besassen, wie in Vorzeiten die Chinesen 2) oder wie wir sie bei
Papuanen schon angetroffen haben 3), wie sie selbst bei den Jäger-
stämmen am Orinoco vorkam, denn dort hinterliess der Ehemann
beim Antritt einer Reise seinem Weib eine Schnur mit so vielen
Knoten, als er Tage wegbleiben wollte, und sie löste jeden Abend
einen von ihnen auf. Oder eine solche Schnur mit Knoten diente
dort als Schuldbekenntniss und der Gläubiger knüpfte bei jedem
zurückgezahlten Stück des Darlehens einen Knoten wieder auf 4).
Die Quippuschrift ist aber wenig geeignet zur Aufbewahrung von
Begebenheiten und Namen, weswegen auch die Glaubwürdigkeit
der Geschichte des inca-peruanischen Reiches beträchtlichen Zwei-

1) Acosta, Historia natural y moral. libro VI. cap. 8. Ein Muster
solcher Urkunden hat J. J. v. Tschudi (Reisen durch Südamerika. Bd. 5.
S. 284) mitgetheilt.
2) Whitney, Language p. 450.
3) S. oben S. 367.
4) Gumilla, El Orinoco ilustrado. tom. II. 23. p. 505.
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[478/0496] Die amerikanische Urbevölkerung. tallener Geräthe noch ein sehr sparsamer, allerdings weil die glasscharfen Späne und Messerklingen aus Obsidian ihre Dienste hinreichend ersetzten. Die Waffen waren bei allen vier Cultur- völkern die nämlichen, nur fehlten den Peruanern die Holz- schwerter der drei anderen Völker, wogegen wiederum nur sie Morgensterne und Lanzen mit Bronzeklingen führten. Bei den nördlichen Völkern dienten Goldstaub in Federkielen. Zinn- und Kupferbarren, endlich die Cacaobohnen als Geld. Die Inca- peruaner kannten dafür Waage und Gewichte und die Chibcha benützten obendrein goldene Scheiben als Tauschmittel. Würden wir die Musterung nicht weiter fortsetzen, so möchte das Ergebniss dahin lauten, dass die Peruaner den Chibcha um viele, den nörd- lichen Culturvölkern um manche Fortschritte vorausgewesen seien. Allein die letzteren besassen eine Kalenderrechnung von 365¼ Tagen, während die Peruaner sich nur mit der Beobachtung der Aufgangsorte (Azimuthe) des Tagesgestirnes zur Zeit der Sonnen- wenden durch Steinpfeiler begnügten. Die Mexicaner verfertigten Landkarten, aus denen die spanischen Eroberer wichtige Be- lehrungen schöpften, die Peruaner nur Stadtpläne in erhabener Arbeit. Weit ärmer aber waren die Peruaner darin, dass sie ausser einer Bilderschrift 1) nur eine Quippu- oder Knotenschrift besassen, wie in Vorzeiten die Chinesen 2) oder wie wir sie bei Papuanen schon angetroffen haben 3), wie sie selbst bei den Jäger- stämmen am Orinoco vorkam, denn dort hinterliess der Ehemann beim Antritt einer Reise seinem Weib eine Schnur mit so vielen Knoten, als er Tage wegbleiben wollte, und sie löste jeden Abend einen von ihnen auf. Oder eine solche Schnur mit Knoten diente dort als Schuldbekenntniss und der Gläubiger knüpfte bei jedem zurückgezahlten Stück des Darlehens einen Knoten wieder auf 4). Die Quippuschrift ist aber wenig geeignet zur Aufbewahrung von Begebenheiten und Namen, weswegen auch die Glaubwürdigkeit der Geschichte des inca-peruanischen Reiches beträchtlichen Zwei- 1) Acosta, Historia natural y moral. libro VI. cap. 8. Ein Muster solcher Urkunden hat J. J. v. Tschudi (Reisen durch Südamerika. Bd. 5. S. 284) mitgetheilt. 2) Whitney, Language p. 450. 3) S. oben S. 367. 4) Gumilla, El Orinoco ilustrado. tom. II. 23. p. 505.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/496>, abgerufen am 05.05.2024.