wie nautische Fertigkeiten von Kamtschatka aus über die Aleuten an der Westküste von Nordamerika sich verbreiteten, ebenso sind eine Anzahl anderer Erkenntnisse und Erfindungen aus Asien zu den Stämmen des nördlichen Festlandes gelangt. Im Sinne unserer Lehre, dass Amerika von Asien aus über die Beringstrasse be- völkert wurde, erscheint das nördliche Festland als die ältere Heimath der Amerikaner, von der aus Südamerika gleichsam als eine neue Welt erst entdeckt werden sollte, und zwar muss dies so gedacht werden, dass es durch schwächere Horden geschah, die von stärkern aus der nördlichen Hälfte verdrängt wurden. Auch war das nördliche Festland, als das früher bewohnte, weit dichter be- völkert als das südliche.
Im Osten der Anden des südlichen und der Cordilleren des nördlichen Festlandes haben Wald und Steppe keine sehr merk- lichen Unterschiede zwischen ihren Bewohnern ausgebildet. Höch- stens lässt sich behaupten, dass die Dacota oder Sioux der Prai- rien Nordamerika's, deren Wohnsitze mit dem Verbreitungsgebiet des Bison fast genau zusammenfallen, viel roher erscheinen als ihre Nachbarn östlich vom Mississippi, und ganz deutlich ergibt sich aus Cabeza de Vaca's Erlebnissen, dass die Urbewohner von Texas, sowie von Chihuahua, bis zur pacifischen Wasserscheide ungleich tiefer standen, als selbst die Dacota.
Vergleichen wir aber die gesellschaftliche Entwickelung der Jägervölker im südlichen und nördlichen Festland unter einander, so wird auf beiden Gebieten eine Besserung fühlbar, je mehr wir uns den Ufern der mexicanischen und caribischen Golfe nähern, oder mit andern Worten: in Südamerika sind die Völker, die nördlicher wohnen, in Nordamerika die Völker, die südlicher wohnen, durchschnittlich gesitteter. Die rohesten Stämme Süd- amerika's, wie die Botocuden, Coroados, Puris, Lenguas, gehören sämmtlich Südbrasilien an, am Amazonas dagegen stiessen Spix und Martius auf wichtige Fortschritte in den gesellschaftlichen Zu- ständen; ja wenn wir Berichten der ersten Entdecker unter Orellana volles Vertrauen schenken dürften, war der obere Lauf des grossen Stromes mit volkreichen Ortschaften besäumt, es waren dort Tempel und in den Tempeln Götzenbilder, die sich auf Rädern bewegten, zu sehen. Von solchen Dingen haben spätere Besucher freilich nichts wahrgenommen, und selbst wenn sie vorhanden waren, ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass sie Stämmen
Die amerikanische Urbevölkerung.
wie nautische Fertigkeiten von Kamtschatka aus über die Alëuten an der Westküste von Nordamerika sich verbreiteten, ebenso sind eine Anzahl anderer Erkenntnisse und Erfindungen aus Asien zu den Stämmen des nördlichen Festlandes gelangt. Im Sinne unserer Lehre, dass Amerika von Asien aus über die Beringstrasse be- völkert wurde, erscheint das nördliche Festland als die ältere Heimath der Amerikaner, von der aus Südamerika gleichsam als eine neue Welt erst entdeckt werden sollte, und zwar muss dies so gedacht werden, dass es durch schwächere Horden geschah, die von stärkern aus der nördlichen Hälfte verdrängt wurden. Auch war das nördliche Festland, als das früher bewohnte, weit dichter be- völkert als das südliche.
Im Osten der Anden des südlichen und der Cordilleren des nördlichen Festlandes haben Wald und Steppe keine sehr merk- lichen Unterschiede zwischen ihren Bewohnern ausgebildet. Höch- stens lässt sich behaupten, dass die Dacota oder Sioux der Prai- rien Nordamerika’s, deren Wohnsitze mit dem Verbreitungsgebiet des Bison fast genau zusammenfallen, viel roher erscheinen als ihre Nachbarn östlich vom Mississippi, und ganz deutlich ergibt sich aus Cabeza de Vaca’s Erlebnissen, dass die Urbewohner von Texas, sowie von Chihuahua, bis zur pacifischen Wasserscheide ungleich tiefer standen, als selbst die Dacota.
Vergleichen wir aber die gesellschaftliche Entwickelung der Jägervölker im südlichen und nördlichen Festland unter einander, so wird auf beiden Gebieten eine Besserung fühlbar, je mehr wir uns den Ufern der mexicanischen und caribischen Golfe nähern, oder mit andern Worten: in Südamerika sind die Völker, die nördlicher wohnen, in Nordamerika die Völker, die südlicher wohnen, durchschnittlich gesitteter. Die rohesten Stämme Süd- amerika’s, wie die Botocuden, Coroados, Puris, Lenguas, gehören sämmtlich Südbrasilien an, am Amazonas dagegen stiessen Spix und Martius auf wichtige Fortschritte in den gesellschaftlichen Zu- ständen; ja wenn wir Berichten der ersten Entdecker unter Orellana volles Vertrauen schenken dürften, war der obere Lauf des grossen Stromes mit volkreichen Ortschaften besäumt, es waren dort Tempel und in den Tempeln Götzenbilder, die sich auf Rädern bewegten, zu sehen. Von solchen Dingen haben spätere Besucher freilich nichts wahrgenommen, und selbst wenn sie vorhanden waren, ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass sie Stämmen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0480"n="462"/><fwplace="top"type="header">Die amerikanische Urbevölkerung.</fw><lb/>
wie nautische Fertigkeiten von Kamtschatka aus über die Alëuten<lb/>
an der Westküste von Nordamerika sich verbreiteten, ebenso sind<lb/>
eine Anzahl anderer Erkenntnisse und Erfindungen aus Asien zu<lb/>
den Stämmen des nördlichen Festlandes gelangt. Im Sinne unserer<lb/>
Lehre, dass Amerika von Asien aus über die Beringstrasse be-<lb/>
völkert wurde, erscheint das nördliche Festland als die ältere<lb/>
Heimath der Amerikaner, von der aus Südamerika gleichsam als<lb/>
eine neue Welt erst entdeckt werden sollte, und zwar muss dies<lb/>
so gedacht werden, dass es durch schwächere Horden geschah, die von<lb/>
stärkern aus der nördlichen Hälfte verdrängt wurden. Auch war<lb/>
das nördliche Festland, als das früher bewohnte, weit dichter be-<lb/>
völkert als das südliche.</p><lb/><p>Im Osten der Anden des südlichen und der Cordilleren des<lb/>
nördlichen Festlandes haben Wald und Steppe keine sehr merk-<lb/>
lichen Unterschiede zwischen ihren Bewohnern ausgebildet. Höch-<lb/>
stens lässt sich behaupten, dass die Dacota oder Sioux der Prai-<lb/>
rien Nordamerika’s, deren Wohnsitze mit dem Verbreitungsgebiet<lb/>
des Bison fast genau zusammenfallen, viel roher erscheinen als<lb/>
ihre Nachbarn östlich vom Mississippi, und ganz deutlich ergibt<lb/>
sich aus Cabeza de Vaca’s Erlebnissen, dass die Urbewohner von<lb/>
Texas, sowie von Chihuahua, bis zur pacifischen Wasserscheide<lb/>
ungleich tiefer standen, als selbst die Dacota.</p><lb/><p>Vergleichen wir aber die gesellschaftliche Entwickelung der<lb/>
Jägervölker im südlichen und nördlichen Festland unter einander,<lb/>
so wird auf beiden Gebieten eine Besserung fühlbar, je mehr wir<lb/>
uns den Ufern der mexicanischen und caribischen Golfe nähern,<lb/>
oder mit andern Worten: in Südamerika sind die Völker, die<lb/>
nördlicher wohnen, in Nordamerika die Völker, die südlicher<lb/>
wohnen, durchschnittlich gesitteter. Die rohesten Stämme Süd-<lb/>
amerika’s, wie die Botocuden, Coroados, Puris, Lenguas, gehören<lb/>
sämmtlich Südbrasilien an, am Amazonas dagegen stiessen Spix<lb/>
und Martius auf wichtige Fortschritte in den gesellschaftlichen Zu-<lb/>
ständen; ja wenn wir Berichten der ersten Entdecker unter Orellana<lb/>
volles Vertrauen schenken dürften, war der obere Lauf des grossen<lb/>
Stromes mit volkreichen Ortschaften besäumt, es waren dort<lb/>
Tempel und in den Tempeln Götzenbilder, die sich auf Rädern<lb/>
bewegten, zu sehen. Von solchen Dingen haben spätere Besucher<lb/>
freilich nichts wahrgenommen, und selbst wenn sie vorhanden<lb/>
waren, ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass sie Stämmen<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[462/0480]
Die amerikanische Urbevölkerung.
wie nautische Fertigkeiten von Kamtschatka aus über die Alëuten
an der Westküste von Nordamerika sich verbreiteten, ebenso sind
eine Anzahl anderer Erkenntnisse und Erfindungen aus Asien zu
den Stämmen des nördlichen Festlandes gelangt. Im Sinne unserer
Lehre, dass Amerika von Asien aus über die Beringstrasse be-
völkert wurde, erscheint das nördliche Festland als die ältere
Heimath der Amerikaner, von der aus Südamerika gleichsam als
eine neue Welt erst entdeckt werden sollte, und zwar muss dies
so gedacht werden, dass es durch schwächere Horden geschah, die von
stärkern aus der nördlichen Hälfte verdrängt wurden. Auch war
das nördliche Festland, als das früher bewohnte, weit dichter be-
völkert als das südliche.
Im Osten der Anden des südlichen und der Cordilleren des
nördlichen Festlandes haben Wald und Steppe keine sehr merk-
lichen Unterschiede zwischen ihren Bewohnern ausgebildet. Höch-
stens lässt sich behaupten, dass die Dacota oder Sioux der Prai-
rien Nordamerika’s, deren Wohnsitze mit dem Verbreitungsgebiet
des Bison fast genau zusammenfallen, viel roher erscheinen als
ihre Nachbarn östlich vom Mississippi, und ganz deutlich ergibt
sich aus Cabeza de Vaca’s Erlebnissen, dass die Urbewohner von
Texas, sowie von Chihuahua, bis zur pacifischen Wasserscheide
ungleich tiefer standen, als selbst die Dacota.
Vergleichen wir aber die gesellschaftliche Entwickelung der
Jägervölker im südlichen und nördlichen Festland unter einander,
so wird auf beiden Gebieten eine Besserung fühlbar, je mehr wir
uns den Ufern der mexicanischen und caribischen Golfe nähern,
oder mit andern Worten: in Südamerika sind die Völker, die
nördlicher wohnen, in Nordamerika die Völker, die südlicher
wohnen, durchschnittlich gesitteter. Die rohesten Stämme Süd-
amerika’s, wie die Botocuden, Coroados, Puris, Lenguas, gehören
sämmtlich Südbrasilien an, am Amazonas dagegen stiessen Spix
und Martius auf wichtige Fortschritte in den gesellschaftlichen Zu-
ständen; ja wenn wir Berichten der ersten Entdecker unter Orellana
volles Vertrauen schenken dürften, war der obere Lauf des grossen
Stromes mit volkreichen Ortschaften besäumt, es waren dort
Tempel und in den Tempeln Götzenbilder, die sich auf Rädern
bewegten, zu sehen. Von solchen Dingen haben spätere Besucher
freilich nichts wahrgenommen, und selbst wenn sie vorhanden
waren, ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass sie Stämmen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/480>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.