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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die amerikanische Urbevölkerung.
der Grösse der Räume wachse, dass er also auch viel nachdrück-
licher auf der alten wie auf der neuen Welt geführt worden sei,
dass eben als eine Folge dieses fortgesetzten Vorwärtsdrängens
und einer rascheren Modernisirung der organischen Gestalten die
grössten, stärksten und klügsten Geschöpfe in der alten Welt sich
finden mussten. Dass auf einem grösseren Raume seltener und
nur auf kurze Zeit ein Stillstand des Kampfes eintreten kann,
lässt sich leicht einsehen. Lange vor Charles Darwin hatte Leop.
v. Buch 1) schon bemerkt: "Die Einzelnwesen der Arten auf Fest-
landen breiten sich aus und bilden mit der wachsenden Entfernung
und der Aenderung des Standortes Abarten welche in den grossen
Abstand den sie gewonnen haben, nicht mehr mit den andern Ab-
arten gekreuzt und zu dem Hauptypus zurückgeführt, endlich zu
dauernden Eigenarten werden, die auf andern Wegen vielleicht
neuerdings wieder andern ebenfalls veränderten Abarten begeg-
nen, beide als sehr verschiedene und nicht mehr sich mischende
Arten. ... Nicht so auf Inseln."

Wenn also auf einem grösseren Länderraum der Kampf um
das Dasein heftiger entbrennt, weil jeder Abart rasch eine andere
auf der Ferse folgt, so besitzen wir darin die einfachste Erklärung
weshalb die Geschöpfe der alten denen der neuen Welt einen Vor-
sprung abgewonnen haben, denn nicht allein dass die Quadrat-
meilenzahl der Ländermassen auf unserer Seite doppelt so gross
ist, muss man auch beachten dass Amerika in zwei völlig getrennte
Schlachtfelder, in zwei Festlande mit gesonderten Naturreichen,
zerfällt, und dass jedes dieser Festlande wiederum mehr von
Norden nach Süden sich ausdehnt, anstatt wie die Ländermassen
in der alten Welt von West nach Ost zu streben. Beim Bau der
neuen Welt herrscht die Neigung möglichst viele Breitengrade in
beiden Halbkugeln zu bedecken, in der alten Welt das Bestreben
möglichst viel Längengrade unter gleichen Polhöhen zu durchlaufen.
Da nun die meisten Arten und Gattungen der beiden Reiche
zwischen Polar- und Aequatorialgrenzen (richtiger zwischen isother-
mischen Maximal- und Minimalgrenzen) eingefangen bleiben, so
wird auf der alten Welt jeder Einzelart offenbar ein viel grösserer
Spielraum eröffnet als in der neuen. Wie beträchtlich die Ge-
räumigkeit des Kampfplatzes in der alten Welt zunimmt wegen

1) Physikal. Beschreibung der canarischen Inseln. Berlin 1825. Bd. 1. S. 133.

Die amerikanische Urbevölkerung.
der Grösse der Räume wachse, dass er also auch viel nachdrück-
licher auf der alten wie auf der neuen Welt geführt worden sei,
dass eben als eine Folge dieses fortgesetzten Vorwärtsdrängens
und einer rascheren Modernisirung der organischen Gestalten die
grössten, stärksten und klügsten Geschöpfe in der alten Welt sich
finden mussten. Dass auf einem grösseren Raume seltener und
nur auf kurze Zeit ein Stillstand des Kampfes eintreten kann,
lässt sich leicht einsehen. Lange vor Charles Darwin hatte Leop.
v. Buch 1) schon bemerkt: „Die Einzelnwesen der Arten auf Fest-
landen breiten sich aus und bilden mit der wachsenden Entfernung
und der Aenderung des Standortes Abarten welche in den grossen
Abstand den sie gewonnen haben, nicht mehr mit den andern Ab-
arten gekreuzt und zu dem Hauptypus zurückgeführt, endlich zu
dauernden Eigenarten werden, die auf andern Wegen vielleicht
neuerdings wieder andern ebenfalls veränderten Abarten begeg-
nen, beide als sehr verschiedene und nicht mehr sich mischende
Arten. … Nicht so auf Inseln.“

Wenn also auf einem grösseren Länderraum der Kampf um
das Dasein heftiger entbrennt, weil jeder Abart rasch eine andere
auf der Ferse folgt, so besitzen wir darin die einfachste Erklärung
weshalb die Geschöpfe der alten denen der neuen Welt einen Vor-
sprung abgewonnen haben, denn nicht allein dass die Quadrat-
meilenzahl der Ländermassen auf unserer Seite doppelt so gross
ist, muss man auch beachten dass Amerika in zwei völlig getrennte
Schlachtfelder, in zwei Festlande mit gesonderten Naturreichen,
zerfällt, und dass jedes dieser Festlande wiederum mehr von
Norden nach Süden sich ausdehnt, anstatt wie die Ländermassen
in der alten Welt von West nach Ost zu streben. Beim Bau der
neuen Welt herrscht die Neigung möglichst viele Breitengrade in
beiden Halbkugeln zu bedecken, in der alten Welt das Bestreben
möglichst viel Längengrade unter gleichen Polhöhen zu durchlaufen.
Da nun die meisten Arten und Gattungen der beiden Reiche
zwischen Polar- und Aequatorialgrenzen (richtiger zwischen isother-
mischen Maximal- und Minimalgrenzen) eingefangen bleiben, so
wird auf der alten Welt jeder Einzelart offenbar ein viel grösserer
Spielraum eröffnet als in der neuen. Wie beträchtlich die Ge-
räumigkeit des Kampfplatzes in der alten Welt zunimmt wegen

1) Physikal. Beschreibung der canarischen Inseln. Berlin 1825. Bd. 1. S. 133.
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[445/0463] Die amerikanische Urbevölkerung. der Grösse der Räume wachse, dass er also auch viel nachdrück- licher auf der alten wie auf der neuen Welt geführt worden sei, dass eben als eine Folge dieses fortgesetzten Vorwärtsdrängens und einer rascheren Modernisirung der organischen Gestalten die grössten, stärksten und klügsten Geschöpfe in der alten Welt sich finden mussten. Dass auf einem grösseren Raume seltener und nur auf kurze Zeit ein Stillstand des Kampfes eintreten kann, lässt sich leicht einsehen. Lange vor Charles Darwin hatte Leop. v. Buch 1) schon bemerkt: „Die Einzelnwesen der Arten auf Fest- landen breiten sich aus und bilden mit der wachsenden Entfernung und der Aenderung des Standortes Abarten welche in den grossen Abstand den sie gewonnen haben, nicht mehr mit den andern Ab- arten gekreuzt und zu dem Hauptypus zurückgeführt, endlich zu dauernden Eigenarten werden, die auf andern Wegen vielleicht neuerdings wieder andern ebenfalls veränderten Abarten begeg- nen, beide als sehr verschiedene und nicht mehr sich mischende Arten. … Nicht so auf Inseln.“ Wenn also auf einem grösseren Länderraum der Kampf um das Dasein heftiger entbrennt, weil jeder Abart rasch eine andere auf der Ferse folgt, so besitzen wir darin die einfachste Erklärung weshalb die Geschöpfe der alten denen der neuen Welt einen Vor- sprung abgewonnen haben, denn nicht allein dass die Quadrat- meilenzahl der Ländermassen auf unserer Seite doppelt so gross ist, muss man auch beachten dass Amerika in zwei völlig getrennte Schlachtfelder, in zwei Festlande mit gesonderten Naturreichen, zerfällt, und dass jedes dieser Festlande wiederum mehr von Norden nach Süden sich ausdehnt, anstatt wie die Ländermassen in der alten Welt von West nach Ost zu streben. Beim Bau der neuen Welt herrscht die Neigung möglichst viele Breitengrade in beiden Halbkugeln zu bedecken, in der alten Welt das Bestreben möglichst viel Längengrade unter gleichen Polhöhen zu durchlaufen. Da nun die meisten Arten und Gattungen der beiden Reiche zwischen Polar- und Aequatorialgrenzen (richtiger zwischen isother- mischen Maximal- und Minimalgrenzen) eingefangen bleiben, so wird auf der alten Welt jeder Einzelart offenbar ein viel grösserer Spielraum eröffnet als in der neuen. Wie beträchtlich die Ge- räumigkeit des Kampfplatzes in der alten Welt zunimmt wegen 1) Physikal. Beschreibung der canarischen Inseln. Berlin 1825. Bd. 1. S. 133.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/463>, abgerufen am 04.05.2024.