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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die amerikanische Urbevölkerung.
ja er durchschwimmt sogar einen Meeresarm um auf der Insel
Singapur alljährlich Hunderte von Menschen zu morden. Was
ihm die neue Welt entgegenzusetzen vermag, ist die kleinere,
blutgierige, aber viel minder beherzte Unze, die nur aus Noth-
wehr den Menschen anzugreifen pflegt.

Auch sind diese Gegensätze schon längst erkannt und klar
in dem Satze ausgesprochen worden, dass die neue Welt dem
Pflanzen-, die alte dem Thierleben günstiger sei. Der Hochwald
der gemässigten Zone wie der tropische sogenannte Urwald
schliessen die Entwicklung einer reichen Fauna aus, oder ver-
statten nur eine solche die sich zum Klettern oder zum Leben
in den Wipfeln entschliesst. In den dichten Forsten am West-
abhang der Felsengebirge herrscht nach Viscount Miltons Schil-
derung eine tiefe Stille, die nie ein Thierlaut unterbricht. Umge-
kehrt finden wir auf den Grasländern, besonders dort wo der
Wald nur inselartig noch auftritt oder sich parkartig lichtet, wie
auf den Prairien Nordamerika's, die grossen Bisonheerden, in Afrika
Geschwader von Antilopen und Gazellen. Der grössere Reich-
thum an Steppen in der alten Welt würde uns nun wohl erklären
dass das Thierreich auf der östlichen Erdveste an Zahl der Arten
und der Einzelwesen das amerikanische übertreffe, noch nicht aber
dass auch die grössten, die stärksten und die klügsten Thierarten
sich bei uns zusammengefunden haben. Und doch ist auch hier
wiederum die grössere Geräumigkeit die entscheidende Ursache
insofern sie einen lebhafteren Kampf um das Dasein zur Folge
hat. Dieser Kampf sollte uns aber nicht sowohl als ein noth-
wendiges Uebel, sondern weit eher als ein nothwendiger Segen
erscheinen, weil er es ist der die Geschöpfe stählt und schwäch-
lich gewordene Individuen oder Arten zwingt den Schauplatz für
bessere Erscheinungen zu räumen, dass er überhaupt genau das
in der Natur vertritt, was wir innerhalb der bürgerlichen Gesell-
schaft den freien Mitbewerb nennen, der dem vorwärts Drängenden
alle Glücksgüter zuwirft, den Zurückbleibenden ohne Mitleid unter-
drückt. Für unsere Aufgabe jedoch ist es eine besonders wichtige
Wahrnehmung, dass auf kleinen abgeschlossenen Räumen, wie es
die Inseln sind, der Kampf um das Dasein bald erlischt und das
Gleichgewicht sich so lange ungestört erhält bis ein neuer Streiter
auf dem Walplatz erscheint. Wir dürfen diesen Satz auch so
ausdrücken, dass die Heftigkeit des Kampfes um das Dasein mit

Die amerikanische Urbevölkerung.
ja er durchschwimmt sogar einen Meeresarm um auf der Insel
Singapur alljährlich Hunderte von Menschen zu morden. Was
ihm die neue Welt entgegenzusetzen vermag, ist die kleinere,
blutgierige, aber viel minder beherzte Unze, die nur aus Noth-
wehr den Menschen anzugreifen pflegt.

Auch sind diese Gegensätze schon längst erkannt und klar
in dem Satze ausgesprochen worden, dass die neue Welt dem
Pflanzen-, die alte dem Thierleben günstiger sei. Der Hochwald
der gemässigten Zone wie der tropische sogenannte Urwald
schliessen die Entwicklung einer reichen Fauna aus, oder ver-
statten nur eine solche die sich zum Klettern oder zum Leben
in den Wipfeln entschliesst. In den dichten Forsten am West-
abhang der Felsengebirge herrscht nach Viscount Miltons Schil-
derung eine tiefe Stille, die nie ein Thierlaut unterbricht. Umge-
kehrt finden wir auf den Grasländern, besonders dort wo der
Wald nur inselartig noch auftritt oder sich parkartig lichtet, wie
auf den Prairien Nordamerika’s, die grossen Bisonheerden, in Afrika
Geschwader von Antilopen und Gazellen. Der grössere Reich-
thum an Steppen in der alten Welt würde uns nun wohl erklären
dass das Thierreich auf der östlichen Erdveste an Zahl der Arten
und der Einzelwesen das amerikanische übertreffe, noch nicht aber
dass auch die grössten, die stärksten und die klügsten Thierarten
sich bei uns zusammengefunden haben. Und doch ist auch hier
wiederum die grössere Geräumigkeit die entscheidende Ursache
insofern sie einen lebhafteren Kampf um das Dasein zur Folge
hat. Dieser Kampf sollte uns aber nicht sowohl als ein noth-
wendiges Uebel, sondern weit eher als ein nothwendiger Segen
erscheinen, weil er es ist der die Geschöpfe stählt und schwäch-
lich gewordene Individuen oder Arten zwingt den Schauplatz für
bessere Erscheinungen zu räumen, dass er überhaupt genau das
in der Natur vertritt, was wir innerhalb der bürgerlichen Gesell-
schaft den freien Mitbewerb nennen, der dem vorwärts Drängenden
alle Glücksgüter zuwirft, den Zurückbleibenden ohne Mitleid unter-
drückt. Für unsere Aufgabe jedoch ist es eine besonders wichtige
Wahrnehmung, dass auf kleinen abgeschlossenen Räumen, wie es
die Inseln sind, der Kampf um das Dasein bald erlischt und das
Gleichgewicht sich so lange ungestört erhält bis ein neuer Streiter
auf dem Walplatz erscheint. Wir dürfen diesen Satz auch so
ausdrücken, dass die Heftigkeit des Kampfes um das Dasein mit

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[444/0462] Die amerikanische Urbevölkerung. ja er durchschwimmt sogar einen Meeresarm um auf der Insel Singapur alljährlich Hunderte von Menschen zu morden. Was ihm die neue Welt entgegenzusetzen vermag, ist die kleinere, blutgierige, aber viel minder beherzte Unze, die nur aus Noth- wehr den Menschen anzugreifen pflegt. Auch sind diese Gegensätze schon längst erkannt und klar in dem Satze ausgesprochen worden, dass die neue Welt dem Pflanzen-, die alte dem Thierleben günstiger sei. Der Hochwald der gemässigten Zone wie der tropische sogenannte Urwald schliessen die Entwicklung einer reichen Fauna aus, oder ver- statten nur eine solche die sich zum Klettern oder zum Leben in den Wipfeln entschliesst. In den dichten Forsten am West- abhang der Felsengebirge herrscht nach Viscount Miltons Schil- derung eine tiefe Stille, die nie ein Thierlaut unterbricht. Umge- kehrt finden wir auf den Grasländern, besonders dort wo der Wald nur inselartig noch auftritt oder sich parkartig lichtet, wie auf den Prairien Nordamerika’s, die grossen Bisonheerden, in Afrika Geschwader von Antilopen und Gazellen. Der grössere Reich- thum an Steppen in der alten Welt würde uns nun wohl erklären dass das Thierreich auf der östlichen Erdveste an Zahl der Arten und der Einzelwesen das amerikanische übertreffe, noch nicht aber dass auch die grössten, die stärksten und die klügsten Thierarten sich bei uns zusammengefunden haben. Und doch ist auch hier wiederum die grössere Geräumigkeit die entscheidende Ursache insofern sie einen lebhafteren Kampf um das Dasein zur Folge hat. Dieser Kampf sollte uns aber nicht sowohl als ein noth- wendiges Uebel, sondern weit eher als ein nothwendiger Segen erscheinen, weil er es ist der die Geschöpfe stählt und schwäch- lich gewordene Individuen oder Arten zwingt den Schauplatz für bessere Erscheinungen zu räumen, dass er überhaupt genau das in der Natur vertritt, was wir innerhalb der bürgerlichen Gesell- schaft den freien Mitbewerb nennen, der dem vorwärts Drängenden alle Glücksgüter zuwirft, den Zurückbleibenden ohne Mitleid unter- drückt. Für unsere Aufgabe jedoch ist es eine besonders wichtige Wahrnehmung, dass auf kleinen abgeschlossenen Räumen, wie es die Inseln sind, der Kampf um das Dasein bald erlischt und das Gleichgewicht sich so lange ungestört erhält bis ein neuer Streiter auf dem Walplatz erscheint. Wir dürfen diesen Satz auch so ausdrücken, dass die Heftigkeit des Kampfes um das Dasein mit

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/462>, abgerufen am 04.05.2024.