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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.
Gruppe das Magyarische und das Ostseefinnische bis zu einer
solchen Höhe aufgeschwungen, dass sie beinahe Anspruch haben,
zu den flectirenden gerechnet zu werden 1).

Noch bleibt zu erinnern übrig, dass wir unter den Namen
Baschkiren, Meschtscherjäken und Teptiären auf dem europäischen
Abhang des mittleren und südlichen Ural Bevölkerungen antreffen,
die türkische Sprachen reden, ihrer Körpermerkmale wegen aber
zu dem finnischen Aste gerechnet, also für türkisch-finnische
Mischvölker gehalten werden müssen.

Der fünfte Ast der sogenannten altaischen Völkergruppe,
den die Russen Samojeden genannt haben, hatte seinen Ursitz im
sajanischen Gebirge, sowie im Quellengebiet des Jenissei und des
Ob. Dort finden wir noch die samojedischen Sojoten, dann am
Nordabhang der sajanischen Kette die Karagassen und Kamas-
sinzen, östlich vom Jenissei die Koibalen 2). Von diesen südlichen
Geschwistern haben sich die Samojeden als Renthierzüchter nach
den nördlichen Tundren des Festlandes verbreitet, vom Weissen
Meere angefangen bis zur Chatangabucht. Im alten Jugrien zu
beiden Seiten des Obischen Meerbusens sitzt der Stamm der Jurak,
weiter östlich hausen die Tawgi. Da unter diesen nördlichen Sa-
mojeden dieselben Familiennamen vorkommen, wie bei den süd-
lichen Kamassinzen, so muss die Auswanderung den Jenissei
entlang abwärts erfolgt sein. Der Sprache nach haben die Sa-
mojeden ihre nächsten Verwandten unter den Völkern des finnischen
Astes zu suchen, und zwar stehen sie dem bulgarischen Zweige
näher als einem andern. Die Samojeden schliessen ferner aus
Furcht vor Blutschande keine Ehe mit den Ostjaken, wenn die
Geschlechtsnamen die nämlichen sind, was vorkommen kann und
auf eine nahe Verwandtschaft deutet 3). Leicht möglich ist es,
dass bei einer künftigen Ordnung der Völker die Samojeden nicht
als ein getrennter Ast des altaischen Stammes, sondern nur als
ein Zweig der finnischen Gruppe ihre Stellung finden werden.
Die Bezeichnung als Altaier stammt, wie bemerkt wurde, aus
Castren's Munde, und die Vermuthung, dass selbst die Finnen
den Altai ehemals bewohnt haben sollen, gründet sich auf die

1) Whitney, Language and the study of language. p. 320.
2) Pallas, Voyages. tom. IV. p. 433.
3) Castren, Vorlesungen. S. 82. S. 84. S. 107.

Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.
Gruppe das Magyarische und das Ostseefinnische bis zu einer
solchen Höhe aufgeschwungen, dass sie beinahe Anspruch haben,
zu den flectirenden gerechnet zu werden 1).

Noch bleibt zu erinnern übrig, dass wir unter den Namen
Baschkiren, Meschtscherjäken und Teptiären auf dem europäischen
Abhang des mittleren und südlichen Ural Bevölkerungen antreffen,
die türkische Sprachen reden, ihrer Körpermerkmale wegen aber
zu dem finnischen Aste gerechnet, also für türkisch-finnische
Mischvölker gehalten werden müssen.

Der fünfte Ast der sogenannten altaischen Völkergruppe,
den die Russen Samojeden genannt haben, hatte seinen Ursitz im
sajanischen Gebirge, sowie im Quellengebiet des Jenissei und des
Ob. Dort finden wir noch die samojedischen Sojoten, dann am
Nordabhang der sajanischen Kette die Karagassen und Kamas-
sinzen, östlich vom Jenissei die Koibalen 2). Von diesen südlichen
Geschwistern haben sich die Samojeden als Renthierzüchter nach
den nördlichen Tundren des Festlandes verbreitet, vom Weissen
Meere angefangen bis zur Chatangabucht. Im alten Jugrien zu
beiden Seiten des Obischen Meerbusens sitzt der Stamm der Jurak,
weiter östlich hausen die Tawgi. Da unter diesen nördlichen Sa-
mojeden dieselben Familiennamen vorkommen, wie bei den süd-
lichen Kamassinzen, so muss die Auswanderung den Jenissei
entlang abwärts erfolgt sein. Der Sprache nach haben die Sa-
mojeden ihre nächsten Verwandten unter den Völkern des finnischen
Astes zu suchen, und zwar stehen sie dem bulgarischen Zweige
näher als einem andern. Die Samojeden schliessen ferner aus
Furcht vor Blutschande keine Ehe mit den Ostjaken, wenn die
Geschlechtsnamen die nämlichen sind, was vorkommen kann und
auf eine nahe Verwandtschaft deutet 3). Leicht möglich ist es,
dass bei einer künftigen Ordnung der Völker die Samojeden nicht
als ein getrennter Ast des altaischen Stammes, sondern nur als
ein Zweig der finnischen Gruppe ihre Stellung finden werden.
Die Bezeichnung als Altaier stammt, wie bemerkt wurde, aus
Castrén’s Munde, und die Vermuthung, dass selbst die Finnen
den Altai ehemals bewohnt haben sollen, gründet sich auf die

1) Whitney, Language and the study of language. p. 320.
2) Pallas, Voyages. tom. IV. p. 433.
3) Castrén, Vorlesungen. S. 82. S. 84. S. 107.
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[412/0430] Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt. Gruppe das Magyarische und das Ostseefinnische bis zu einer solchen Höhe aufgeschwungen, dass sie beinahe Anspruch haben, zu den flectirenden gerechnet zu werden 1). Noch bleibt zu erinnern übrig, dass wir unter den Namen Baschkiren, Meschtscherjäken und Teptiären auf dem europäischen Abhang des mittleren und südlichen Ural Bevölkerungen antreffen, die türkische Sprachen reden, ihrer Körpermerkmale wegen aber zu dem finnischen Aste gerechnet, also für türkisch-finnische Mischvölker gehalten werden müssen. Der fünfte Ast der sogenannten altaischen Völkergruppe, den die Russen Samojeden genannt haben, hatte seinen Ursitz im sajanischen Gebirge, sowie im Quellengebiet des Jenissei und des Ob. Dort finden wir noch die samojedischen Sojoten, dann am Nordabhang der sajanischen Kette die Karagassen und Kamas- sinzen, östlich vom Jenissei die Koibalen 2). Von diesen südlichen Geschwistern haben sich die Samojeden als Renthierzüchter nach den nördlichen Tundren des Festlandes verbreitet, vom Weissen Meere angefangen bis zur Chatangabucht. Im alten Jugrien zu beiden Seiten des Obischen Meerbusens sitzt der Stamm der Jurak, weiter östlich hausen die Tawgi. Da unter diesen nördlichen Sa- mojeden dieselben Familiennamen vorkommen, wie bei den süd- lichen Kamassinzen, so muss die Auswanderung den Jenissei entlang abwärts erfolgt sein. Der Sprache nach haben die Sa- mojeden ihre nächsten Verwandten unter den Völkern des finnischen Astes zu suchen, und zwar stehen sie dem bulgarischen Zweige näher als einem andern. Die Samojeden schliessen ferner aus Furcht vor Blutschande keine Ehe mit den Ostjaken, wenn die Geschlechtsnamen die nämlichen sind, was vorkommen kann und auf eine nahe Verwandtschaft deutet 3). Leicht möglich ist es, dass bei einer künftigen Ordnung der Völker die Samojeden nicht als ein getrennter Ast des altaischen Stammes, sondern nur als ein Zweig der finnischen Gruppe ihre Stellung finden werden. Die Bezeichnung als Altaier stammt, wie bemerkt wurde, aus Castrén’s Munde, und die Vermuthung, dass selbst die Finnen den Altai ehemals bewohnt haben sollen, gründet sich auf die 1) Whitney, Language and the study of language. p. 320. 2) Pallas, Voyages. tom. IV. p. 433. 3) Castrén, Vorlesungen. S. 82. S. 84. S. 107.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/430>, abgerufen am 28.04.2024.