Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.
den Hohlraum eindrängen, ihn ausfüllen und nun als Trugkrystal auftreten. So geschieht es auch, dass Völker in dem Sprachen- kreis einer fremden Race heimisch werden, oder umgekehrt die Sprache unverändert in einem Ländergebiete herrschend bleibt, während sich langsam durch Blutmischung die Race verändert.
Die Völkerstrahlen, welche Centralasien von Zeit zu Zeit gegen das Abendland hinaussendete, hinterliessen hin und wieder Bruchstücke von Bevölkerungen, denen der Kaukasus mit seinen Hochthälern und Tafelbergen vor Ausrottung Schutz gewährte. Zu solchen Ueberresten aus der türkischen Gruppe gehören die Nogaier am linken Ufer des Kuban und auf der Insel Krim, dann die Basianen östlich und westlich vom Elbrus, für deren Schick- sale Freshfield, der erste Ersteiger des Elbrus, unsere Theilnahme zu gewinnen gesucht hat, endlich die Kumüken am untern Laufe und rechten Ufer des Terek, sowie an der Küste des kaspischen Meeres. Ein anderer türkischer Völkerstamm, die Karakalpaken oder Schwarzmützen, ist aus einem früheren Wohnsitze an der Wolga zu dem unteren Lauf des Sir Darja herabgezogen. Die Kirgisen endlich, das heisst die drei Horden zwischen Ural und dem Balchaschsee, einschliesslich der Buruten, stehen von allen Türken an Körpermerkmalen den Mongolen am nächsten und ihre Geschlechternamen, wie Kyptschak, Argyn, Naiman, bezeugen sogar mongolische Herkunft oder wenigstens Mischung mit Mon- golen 1). Nach einer Deutung Radloff's ist ihr Name dadurch ent- standen, dass eine ihrer Horden Kyrk, die Vierzig, eine andere Jiis (Dschiis), die Hundert, hiess 2). Sie selbst nennen sich Ka- saken oder Reiter.
Es ist schwer, den türkisch-mongolischen Völkern ihren gei- stigen Rang in der Gesittungsgeschichte anzuweisen. Gewiss ist, dass viele dieser Stämme noch bis auf den heutigen Tag wan- dernde Hirten geblieben sind und wahrscheinlich verschwinden werden, ohne jemals sesshaft geworden zu sein. Die achtungs- werthe Bildung der Oezbegen in Kaschgarien und Turkistan, end- lich der europäischen Osmanen könnte ihrer Blutmischung mit arischen und theilweise semitischen Bevölkerungen zugeschrieben
1) W. Radloff, Türkische Volksliteratur in Südsibirien. Bd. 3. St. Petersburg 1870. p. XIV.
2) Zeitschrift für Erdkunde, Bd. 6. Berlin 1871. S. 505.
Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.
den Hohlraum eindrängen, ihn ausfüllen und nun als Trugkrystal auftreten. So geschieht es auch, dass Völker in dem Sprachen- kreis einer fremden Race heimisch werden, oder umgekehrt die Sprache unverändert in einem Ländergebiete herrschend bleibt, während sich langsam durch Blutmischung die Race verändert.
Die Völkerstrahlen, welche Centralasien von Zeit zu Zeit gegen das Abendland hinaussendete, hinterliessen hin und wieder Bruchstücke von Bevölkerungen, denen der Kaukasus mit seinen Hochthälern und Tafelbergen vor Ausrottung Schutz gewährte. Zu solchen Ueberresten aus der türkischen Gruppe gehören die Nogaier am linken Ufer des Kuban und auf der Insel Krim, dann die Basianen östlich und westlich vom Elbrus, für deren Schick- sale Freshfield, der erste Ersteiger des Elbrus, unsere Theilnahme zu gewinnen gesucht hat, endlich die Kumüken am untern Laufe und rechten Ufer des Terek, sowie an der Küste des kaspischen Meeres. Ein anderer türkischer Völkerstamm, die Karakalpaken oder Schwarzmützen, ist aus einem früheren Wohnsitze an der Wolga zu dem unteren Lauf des Sir Darja herabgezogen. Die Kirgisen endlich, das heisst die drei Horden zwischen Ural und dem Balchaschsee, einschliesslich der Buruten, stehen von allen Türken an Körpermerkmalen den Mongolen am nächsten und ihre Geschlechternamen, wie Kyptschak, Argyn, Naiman, bezeugen sogar mongolische Herkunft oder wenigstens Mischung mit Mon- golen 1). Nach einer Deutung Radloff’s ist ihr Name dadurch ent- standen, dass eine ihrer Horden Kyrk, die Vierzig, eine andere Jiis (Dschiis), die Hundert, hiess 2). Sie selbst nennen sich Ka- saken oder Reiter.
Es ist schwer, den türkisch-mongolischen Völkern ihren gei- stigen Rang in der Gesittungsgeschichte anzuweisen. Gewiss ist, dass viele dieser Stämme noch bis auf den heutigen Tag wan- dernde Hirten geblieben sind und wahrscheinlich verschwinden werden, ohne jemals sesshaft geworden zu sein. Die achtungs- werthe Bildung der Oezbegen in Kaschgarien und Turkistan, end- lich der europäischen Osmanen könnte ihrer Blutmischung mit arischen und theilweise semitischen Bevölkerungen zugeschrieben
1) W. Radloff, Türkische Volksliteratur in Südsibirien. Bd. 3. St. Petersburg 1870. p. XIV.
2) Zeitschrift für Erdkunde, Bd. 6. Berlin 1871. S. 505.
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Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.
den Hohlraum eindrängen, ihn ausfüllen und nun als Trugkrystal
auftreten. So geschieht es auch, dass Völker in dem Sprachen-
kreis einer fremden Race heimisch werden, oder umgekehrt die
Sprache unverändert in einem Ländergebiete herrschend bleibt,
während sich langsam durch Blutmischung die Race verändert.
Die Völkerstrahlen, welche Centralasien von Zeit zu Zeit
gegen das Abendland hinaussendete, hinterliessen hin und wieder
Bruchstücke von Bevölkerungen, denen der Kaukasus mit seinen
Hochthälern und Tafelbergen vor Ausrottung Schutz gewährte.
Zu solchen Ueberresten aus der türkischen Gruppe gehören die
Nogaier am linken Ufer des Kuban und auf der Insel Krim, dann
die Basianen östlich und westlich vom Elbrus, für deren Schick-
sale Freshfield, der erste Ersteiger des Elbrus, unsere Theilnahme
zu gewinnen gesucht hat, endlich die Kumüken am untern Laufe
und rechten Ufer des Terek, sowie an der Küste des kaspischen
Meeres. Ein anderer türkischer Völkerstamm, die Karakalpaken
oder Schwarzmützen, ist aus einem früheren Wohnsitze an der
Wolga zu dem unteren Lauf des Sir Darja herabgezogen. Die
Kirgisen endlich, das heisst die drei Horden zwischen Ural und
dem Balchaschsee, einschliesslich der Buruten, stehen von allen
Türken an Körpermerkmalen den Mongolen am nächsten und
ihre Geschlechternamen, wie Kyptschak, Argyn, Naiman, bezeugen
sogar mongolische Herkunft oder wenigstens Mischung mit Mon-
golen 1). Nach einer Deutung Radloff’s ist ihr Name dadurch ent-
standen, dass eine ihrer Horden Kyrk, die Vierzig, eine andere
Jiis (Dschiis), die Hundert, hiess 2). Sie selbst nennen sich Ka-
saken oder Reiter.
Es ist schwer, den türkisch-mongolischen Völkern ihren gei-
stigen Rang in der Gesittungsgeschichte anzuweisen. Gewiss ist,
dass viele dieser Stämme noch bis auf den heutigen Tag wan-
dernde Hirten geblieben sind und wahrscheinlich verschwinden
werden, ohne jemals sesshaft geworden zu sein. Die achtungs-
werthe Bildung der Oezbegen in Kaschgarien und Turkistan, end-
lich der europäischen Osmanen könnte ihrer Blutmischung mit
arischen und theilweise semitischen Bevölkerungen zugeschrieben
1) W. Radloff, Türkische Volksliteratur in Südsibirien. Bd. 3. St.
Petersburg 1870. p. XIV.
2) Zeitschrift für Erdkunde, Bd. 6. Berlin 1871. S. 505.
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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/426>, abgerufen am 23.12.2024.
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