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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.
kischen keineswegs völlig übereinstimme, wenn sie auch deren
Wortschatz sich bis zu drei Vierteln angeeignet habe 1).

Heutigen Tages unterscheiden wir unter den Türken folgende
Völkerschaften: Uiguren, Oezbegen, Osmanen, Jakuten, Turk-
manen, Nogaier, Basianen, Kumüken, Karakalpaken und Kir-
gisen. Ein türkischer Chacan, von den Byzantinern Dissabulos,
von den Chinesen Ti-theu-pu-li geheissen, der in Talas, einem
wichtigen Handelsplatz des Mittelalters, auf dem heutigen Buruten-
gebiete sein Hoflager aufgeschlagen hatte, ist uns durch die Reise
des griechischen Botschafters Zemarch im Jahre 569 n. Chr. be-
kannt geworden 2). Dieses ältere türkische Reich zerstörten die
Uiguren, von den Chinesen Kaotsche geheissen, ein ehrwürdiges
Culturvolk, bei dem Spuren der zoroastrischen Lehre sich erhalten
haben, das aber später dem Buddhismus 3), endlich dem Islam hul-
digte, im 5. Jahrhundert n. Chr. schon eine eigene Schrift und
Literatur besass und beide Abhänge des Thianschan bewohnte
und theilweise noch jetzt bewohnt. Zu westlichen Nachbarn in
Kaschgarien hat es jetzt die Oezbegen, einen Türkenstamm, der
sich nach Oezbeg, einem Beherrscher der goldnen Horde (1312
bis 1342), benennt, nicht ohne Beimischung mongolischen Blutes
geblieben ist, bei seinem geschichtlichen Auftauchen am Nordende
des kaspischen Meeres weilte, unter den späteren Timuriden
am Sir Darja sich ausbreitete 4), seit dem 16. Jahrhundert sich
Turkistan unterwarf und noch gegenwärtig in den Chanaten Chiwa,
Bochara und Kokand, sowie in Kaschgarien den herrschenden
Volksstamm bildet. Aus dem gleichen Gebiete stammen auch
die Seldschuken, welche noch um 1030 n. Chr. die heutige turk-
manische Wüste bewohnten, bevor sie nach dem Abendlande auf-
brachen und zuletzt als Osmanen erobernd ihren Fuss auf drei
Welttheile setzten.

Ein Osmane aus Constantinopel, heisst es wohl etwas über-
schwenglich, könne sich mit einem Jakuten an der Lena leicht
verständigen. Gewiss ist wenigstens, dass die türkischen Sprach-
zweige in dieser ungeheuren Entfernung weniger Verschiedenheiten

1) Geschichte Bochara's. Bd. 1. S. 130.
2) Menandri excerpta de legat. Corpus script. Hist. Byzant. ed. Nie-
buhr
. P. I. p. 295--302. p. 380--384.
3) Stanislas Julien, im Journal asiatique. Paris 1847. p. 58.
4) Vambery, Geschichte Bochara's. Bd. 2. S. 35--36.

Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.
kischen keineswegs völlig übereinstimme, wenn sie auch deren
Wortschatz sich bis zu drei Vierteln angeeignet habe 1).

Heutigen Tages unterscheiden wir unter den Türken folgende
Völkerschaften: Uiguren, Oezbegen, Osmanen, Jakuten, Turk-
manen, Nogaier, Basianen, Kumüken, Karakalpaken und Kir-
gisen. Ein türkischer Chacan, von den Byzantinern Dissabulos,
von den Chinesen Ti-theu-pu-li geheissen, der in Talas, einem
wichtigen Handelsplatz des Mittelalters, auf dem heutigen Buruten-
gebiete sein Hoflager aufgeschlagen hatte, ist uns durch die Reise
des griechischen Botschafters Zemarch im Jahre 569 n. Chr. be-
kannt geworden 2). Dieses ältere türkische Reich zerstörten die
Uiguren, von den Chinesen Kaotsche geheissen, ein ehrwürdiges
Culturvolk, bei dem Spuren der zoroastrischen Lehre sich erhalten
haben, das aber später dem Buddhismus 3), endlich dem Islam hul-
digte, im 5. Jahrhundert n. Chr. schon eine eigene Schrift und
Literatur besass und beide Abhänge des Thianschan bewohnte
und theilweise noch jetzt bewohnt. Zu westlichen Nachbarn in
Kaschgarien hat es jetzt die Oezbegen, einen Türkenstamm, der
sich nach Oezbeg, einem Beherrscher der goldnen Horde (1312
bis 1342), benennt, nicht ohne Beimischung mongolischen Blutes
geblieben ist, bei seinem geschichtlichen Auftauchen am Nordende
des kaspischen Meeres weilte, unter den späteren Timuriden
am Sir Darja sich ausbreitete 4), seit dem 16. Jahrhundert sich
Turkistan unterwarf und noch gegenwärtig in den Chanaten Chiwa,
Bochara und Kokand, sowie in Kaschgarien den herrschenden
Volksstamm bildet. Aus dem gleichen Gebiete stammen auch
die Seldschuken, welche noch um 1030 n. Chr. die heutige turk-
manische Wüste bewohnten, bevor sie nach dem Abendlande auf-
brachen und zuletzt als Osmanen erobernd ihren Fuss auf drei
Welttheile setzten.

Ein Osmane aus Constantinopel, heisst es wohl etwas über-
schwenglich, könne sich mit einem Jakuten an der Lena leicht
verständigen. Gewiss ist wenigstens, dass die türkischen Sprach-
zweige in dieser ungeheuren Entfernung weniger Verschiedenheiten

1) Geschichte Bochara’s. Bd. 1. S. 130.
2) Menandri excerpta de legat. Corpus script. Hist. Byzant. ed. Nie-
buhr
. P. I. p. 295—302. p. 380—384.
3) Stanislas Julien, im Journal asiatique. Paris 1847. p. 58.
4) Vámbéry, Geschichte Bochara’s. Bd. 2. S. 35—36.
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[406/0424] Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt. kischen keineswegs völlig übereinstimme, wenn sie auch deren Wortschatz sich bis zu drei Vierteln angeeignet habe 1). Heutigen Tages unterscheiden wir unter den Türken folgende Völkerschaften: Uiguren, Oezbegen, Osmanen, Jakuten, Turk- manen, Nogaier, Basianen, Kumüken, Karakalpaken und Kir- gisen. Ein türkischer Chacan, von den Byzantinern Dissabulos, von den Chinesen Ti-theu-pu-li geheissen, der in Talas, einem wichtigen Handelsplatz des Mittelalters, auf dem heutigen Buruten- gebiete sein Hoflager aufgeschlagen hatte, ist uns durch die Reise des griechischen Botschafters Zemarch im Jahre 569 n. Chr. be- kannt geworden 2). Dieses ältere türkische Reich zerstörten die Uiguren, von den Chinesen Kaotsche geheissen, ein ehrwürdiges Culturvolk, bei dem Spuren der zoroastrischen Lehre sich erhalten haben, das aber später dem Buddhismus 3), endlich dem Islam hul- digte, im 5. Jahrhundert n. Chr. schon eine eigene Schrift und Literatur besass und beide Abhänge des Thianschan bewohnte und theilweise noch jetzt bewohnt. Zu westlichen Nachbarn in Kaschgarien hat es jetzt die Oezbegen, einen Türkenstamm, der sich nach Oezbeg, einem Beherrscher der goldnen Horde (1312 bis 1342), benennt, nicht ohne Beimischung mongolischen Blutes geblieben ist, bei seinem geschichtlichen Auftauchen am Nordende des kaspischen Meeres weilte, unter den späteren Timuriden am Sir Darja sich ausbreitete 4), seit dem 16. Jahrhundert sich Turkistan unterwarf und noch gegenwärtig in den Chanaten Chiwa, Bochara und Kokand, sowie in Kaschgarien den herrschenden Volksstamm bildet. Aus dem gleichen Gebiete stammen auch die Seldschuken, welche noch um 1030 n. Chr. die heutige turk- manische Wüste bewohnten, bevor sie nach dem Abendlande auf- brachen und zuletzt als Osmanen erobernd ihren Fuss auf drei Welttheile setzten. Ein Osmane aus Constantinopel, heisst es wohl etwas über- schwenglich, könne sich mit einem Jakuten an der Lena leicht verständigen. Gewiss ist wenigstens, dass die türkischen Sprach- zweige in dieser ungeheuren Entfernung weniger Verschiedenheiten 1) Geschichte Bochara’s. Bd. 1. S. 130. 2) Menandri excerpta de legat. Corpus script. Hist. Byzant. ed. Nie- buhr. P. I. p. 295—302. p. 380—384. 3) Stanislas Julien, im Journal asiatique. Paris 1847. p. 58. 4) Vámbéry, Geschichte Bochara’s. Bd. 2. S. 35—36.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/424>, abgerufen am 23.12.2024.