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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.
den Buddhismus angenommen, ohne jemals ihren schamanistischen
Gaukeleien zu entsagen. Es sind durchgängig phlegmatische, aber
gutartige Menschenstämme. Um so ausserordentlicher war die
Erscheinung eines Tschingischans unter ihnen, der sich doch aus
so unscheinbaren Anfängen bis zum Welteroberer aufschwingen
sollte.

Weit versprengt von den andern mongolischen Geschwistern
sind die Hazareh, welche zwischen Herat und Kabul als Hirten
wandern und noch zu Sultan Babers Zeit mongolisch sprachen 1).
Auch tragen ihre Gesichtszüge so scharf den mongolischen Typus,
dass die Reisenden nie über ihre ethnographische Stellung in
Zwiespalt gerathen sind. Die Hazareh zerfallen in westliche
und östliche Stämme, von denen die ersteren Sunniten, die
anderen Schiiten sind. Bisweilen werden die westlichen Ha-
zareh Aimaq genannt, doch bedeutet dieses Wort soviel wie Horde 2),
und da es auch andern als mongolischen Stämmen beigelegt
worden ist, müssen wir vor seinem ferneren Gebrauche in der
Völkerkunde warnen.

Tungusen und Mongolen sind wenig zahlreich und viele ihrer
Zweige im Aussterben begriffen. Ganz anders verhält es sich mit
dem dritten Aste der nordasiatischen Gruppe, mit den Türken.
Nach alten morgenländischen Ueberlieferungen hiess einer von
den acht Söhnen Japheth's Turk. Er sass am Ili und Issikol, und
von einem seiner Nachkommen stammen die Zwillinge Tatar und
Mongol. Solche Sagen haben wir als Versuche einer ethno-
graphischen Classification anzusehen und sie deuten uns an, wie
nahe verwandt sich selbst die Centralasiaten hielten. Die west-
lichen Türken sind so stark mit arischem und semitischem Blute
gemischt, dass ihre ursprünglichen Körpermerkmale bis auf die
letzten Spuren verloren worden sind und nur die Sprache noch
ihre ehemalige Abkunft bezeugt. Turkmanen, Oezbegen, Nogaier
und Kirgisen nähern sich schon beträchtlich den Mongolen; bei
den Buruten und Kiptschaken ist höchstens die Gesichtsfarbe ein
wenig verschieden. So äussert sich Vambery, doch setzt er hinzu,
dass die mongolische Sprache in der Grammatik mit der tür-

1) Fr. Spiegel, Eranische Alterthümer. Bd. 1. S. 344.
2) Castren, Vorlesungen. S. 42.

Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.
den Buddhismus angenommen, ohne jemals ihren schamanistischen
Gaukeleien zu entsagen. Es sind durchgängig phlegmatische, aber
gutartige Menschenstämme. Um so ausserordentlicher war die
Erscheinung eines Tschingischans unter ihnen, der sich doch aus
so unscheinbaren Anfängen bis zum Welteroberer aufschwingen
sollte.

Weit versprengt von den andern mongolischen Geschwistern
sind die Hazareh, welche zwischen Herat und Kabul als Hirten
wandern und noch zu Sultan Babers Zeit mongolisch sprachen 1).
Auch tragen ihre Gesichtszüge so scharf den mongolischen Typus,
dass die Reisenden nie über ihre ethnographische Stellung in
Zwiespalt gerathen sind. Die Hazareh zerfallen in westliche
und östliche Stämme, von denen die ersteren Sunniten, die
anderen Schiiten sind. Bisweilen werden die westlichen Ha-
zareh Aimaq genannt, doch bedeutet dieses Wort soviel wie Horde 2),
und da es auch andern als mongolischen Stämmen beigelegt
worden ist, müssen wir vor seinem ferneren Gebrauche in der
Völkerkunde warnen.

Tungusen und Mongolen sind wenig zahlreich und viele ihrer
Zweige im Aussterben begriffen. Ganz anders verhält es sich mit
dem dritten Aste der nordasiatischen Gruppe, mit den Türken.
Nach alten morgenländischen Ueberlieferungen hiess einer von
den acht Söhnen Japheth’s Turk. Er sass am Ili und Issikol, und
von einem seiner Nachkommen stammen die Zwillinge Tatar und
Mongol. Solche Sagen haben wir als Versuche einer ethno-
graphischen Classification anzusehen und sie deuten uns an, wie
nahe verwandt sich selbst die Centralasiaten hielten. Die west-
lichen Türken sind so stark mit arischem und semitischem Blute
gemischt, dass ihre ursprünglichen Körpermerkmale bis auf die
letzten Spuren verloren worden sind und nur die Sprache noch
ihre ehemalige Abkunft bezeugt. Turkmanen, Oezbegen, Nogaier
und Kirgisen nähern sich schon beträchtlich den Mongolen; bei
den Buruten und Kiptschaken ist höchstens die Gesichtsfarbe ein
wenig verschieden. So äussert sich Vámbéry, doch setzt er hinzu,
dass die mongolische Sprache in der Grammatik mit der tür-

1) Fr. Spiegel, Erânische Alterthümer. Bd. 1. S. 344.
2) Castrén, Vorlesungen. S. 42.
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[405/0423] Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt. den Buddhismus angenommen, ohne jemals ihren schamanistischen Gaukeleien zu entsagen. Es sind durchgängig phlegmatische, aber gutartige Menschenstämme. Um so ausserordentlicher war die Erscheinung eines Tschingischans unter ihnen, der sich doch aus so unscheinbaren Anfängen bis zum Welteroberer aufschwingen sollte. Weit versprengt von den andern mongolischen Geschwistern sind die Hazareh, welche zwischen Herat und Kabul als Hirten wandern und noch zu Sultan Babers Zeit mongolisch sprachen 1). Auch tragen ihre Gesichtszüge so scharf den mongolischen Typus, dass die Reisenden nie über ihre ethnographische Stellung in Zwiespalt gerathen sind. Die Hazareh zerfallen in westliche und östliche Stämme, von denen die ersteren Sunniten, die anderen Schiiten sind. Bisweilen werden die westlichen Ha- zareh Aimaq genannt, doch bedeutet dieses Wort soviel wie Horde 2), und da es auch andern als mongolischen Stämmen beigelegt worden ist, müssen wir vor seinem ferneren Gebrauche in der Völkerkunde warnen. Tungusen und Mongolen sind wenig zahlreich und viele ihrer Zweige im Aussterben begriffen. Ganz anders verhält es sich mit dem dritten Aste der nordasiatischen Gruppe, mit den Türken. Nach alten morgenländischen Ueberlieferungen hiess einer von den acht Söhnen Japheth’s Turk. Er sass am Ili und Issikol, und von einem seiner Nachkommen stammen die Zwillinge Tatar und Mongol. Solche Sagen haben wir als Versuche einer ethno- graphischen Classification anzusehen und sie deuten uns an, wie nahe verwandt sich selbst die Centralasiaten hielten. Die west- lichen Türken sind so stark mit arischem und semitischem Blute gemischt, dass ihre ursprünglichen Körpermerkmale bis auf die letzten Spuren verloren worden sind und nur die Sprache noch ihre ehemalige Abkunft bezeugt. Turkmanen, Oezbegen, Nogaier und Kirgisen nähern sich schon beträchtlich den Mongolen; bei den Buruten und Kiptschaken ist höchstens die Gesichtsfarbe ein wenig verschieden. So äussert sich Vámbéry, doch setzt er hinzu, dass die mongolische Sprache in der Grammatik mit der tür- 1) Fr. Spiegel, Erânische Alterthümer. Bd. 1. S. 344. 2) Castrén, Vorlesungen. S. 42.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/423>, abgerufen am 27.04.2024.