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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die dualistischen Religionen.
den Streitern für das Gute ein solcher Beistand geleistet werden
solle, dass der Sieg des Lichtes für immer gesichert sei 1).

Diese tiefere Lehre aber verdunkelte sich im Verlaufe der
Zeiten. Die Lichtseite und die Nachtseite des göttlichen Willens
trennten sich ab als doppelte Wesen. Die Herren des Lichtes und
der Finsterniss streiten sich seitdem um den Sieg, der übrigens von
Anbeginn entschieden ist. Ormazd allein weiss um das Dasein
Arimans, und ehe dieser sich regt, hat er 3000 Jahre Zeit sich eine
Schaar unsterblicher Helfer auszubilden. Als Ariman endlich zum
Kampfe sich erhebt, stösst er auf einen wohlgerüsteten Gegner.
Dreitausend Jahre währt das Ringen ohne Entscheidung. Erst in
dem nächsten und letzten dreitausendjährigen Abschnitt sinkt
Ariman zur Machtlosigkeit herab 2). An diesem Streite soll nun
der sterbliche Mensch theilnehmen, zwischen Licht und Finsterniss
wählen, den Sieg des Guten durch das Gewicht seiner Werke
herbeiführen und nicht durch böse Thaten die Siegesaussicht Ari-
mans vergrössern. Gewiss konnte nicht leicht etwas heilsameres
ersonnen werden, die besseren Regungen im Menschen wach zu
erhalten, als die Verheissung von Gott selbst als Helfer zum Siege
angesehen zu werden.

Daran schloss sich die Lehre von der Auferweckung der
Todten, ein echt zoroastrischer Glaubenssatz, von dem die älteste
Kunde am Schluss des 4. Jahrhunderts durch Theopompus in das
Abendland gelangte 3). Die Abgeschiedenen dachte man sich er-
standen zu einem unvergänglichen, dem Stoffwechsel entzogenen,
reinen Leben in Leibern, die keinen Schatten warfen und der
Sättigung nicht bedurften. Drei Tage nach dem letzten Hauche
des Sterbenden schwebt die Seele noch in der Nähe ihrer körper-
lichen Hülle. Um die vierte Morgenröthe aber schleppt sie ein
Todesgenius zu der Brücke des Seelenhäschers (Tschinwat Peretu),
und vor den Richter Sraoscha, der die guten und bösen Werke
auf der Wage prüft. Dem Frommen tritt mit himmlischem Grusse
die Verkörperung seines guten Wandels entgegen in Gestalt eines
Mädchens von strahlender Jugend, schlank und hochbusig mit
weissen Armen und edelem Antlitz. Dem Gottlosen erscheint die

1) Ferdinand Justi im Ausland 1871. No. 10. S. 221.
2) Windischmann, Zoroastr. Studien. S. 58.
3) Windischmann, l. c. S. 235--239.

Die dualistischen Religionen.
den Streitern für das Gute ein solcher Beistand geleistet werden
solle, dass der Sieg des Lichtes für immer gesichert sei 1).

Diese tiefere Lehre aber verdunkelte sich im Verlaufe der
Zeiten. Die Lichtseite und die Nachtseite des göttlichen Willens
trennten sich ab als doppelte Wesen. Die Herren des Lichtes und
der Finsterniss streiten sich seitdem um den Sieg, der übrigens von
Anbeginn entschieden ist. Ormazd allein weiss um das Dasein
Arimans, und ehe dieser sich regt, hat er 3000 Jahre Zeit sich eine
Schaar unsterblicher Helfer auszubilden. Als Ariman endlich zum
Kampfe sich erhebt, stösst er auf einen wohlgerüsteten Gegner.
Dreitausend Jahre währt das Ringen ohne Entscheidung. Erst in
dem nächsten und letzten dreitausendjährigen Abschnitt sinkt
Ariman zur Machtlosigkeit herab 2). An diesem Streite soll nun
der sterbliche Mensch theilnehmen, zwischen Licht und Finsterniss
wählen, den Sieg des Guten durch das Gewicht seiner Werke
herbeiführen und nicht durch böse Thaten die Siegesaussicht Ari-
mans vergrössern. Gewiss konnte nicht leicht etwas heilsameres
ersonnen werden, die besseren Regungen im Menschen wach zu
erhalten, als die Verheissung von Gott selbst als Helfer zum Siege
angesehen zu werden.

Daran schloss sich die Lehre von der Auferweckung der
Todten, ein echt zoroastrischer Glaubenssatz, von dem die älteste
Kunde am Schluss des 4. Jahrhunderts durch Theopompus in das
Abendland gelangte 3). Die Abgeschiedenen dachte man sich er-
standen zu einem unvergänglichen, dem Stoffwechsel entzogenen,
reinen Leben in Leibern, die keinen Schatten warfen und der
Sättigung nicht bedurften. Drei Tage nach dem letzten Hauche
des Sterbenden schwebt die Seele noch in der Nähe ihrer körper-
lichen Hülle. Um die vierte Morgenröthe aber schleppt sie ein
Todesgenius zu der Brücke des Seelenhäschers (Tschinwat Peretu),
und vor den Richter Sraoscha, der die guten und bösen Werke
auf der Wage prüft. Dem Frommen tritt mit himmlischem Grusse
die Verkörperung seines guten Wandels entgegen in Gestalt eines
Mädchens von strahlender Jugend, schlank und hochbusig mit
weissen Armen und edelem Antlitz. Dem Gottlosen erscheint die

1) Ferdinand Justi im Ausland 1871. No. 10. S. 221.
2) Windischmann, Zoroastr. Studien. S. 58.
3) Windischmann, l. c. S. 235—239.
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[297/0315] Die dualistischen Religionen. den Streitern für das Gute ein solcher Beistand geleistet werden solle, dass der Sieg des Lichtes für immer gesichert sei 1). Diese tiefere Lehre aber verdunkelte sich im Verlaufe der Zeiten. Die Lichtseite und die Nachtseite des göttlichen Willens trennten sich ab als doppelte Wesen. Die Herren des Lichtes und der Finsterniss streiten sich seitdem um den Sieg, der übrigens von Anbeginn entschieden ist. Ormazd allein weiss um das Dasein Arimans, und ehe dieser sich regt, hat er 3000 Jahre Zeit sich eine Schaar unsterblicher Helfer auszubilden. Als Ariman endlich zum Kampfe sich erhebt, stösst er auf einen wohlgerüsteten Gegner. Dreitausend Jahre währt das Ringen ohne Entscheidung. Erst in dem nächsten und letzten dreitausendjährigen Abschnitt sinkt Ariman zur Machtlosigkeit herab 2). An diesem Streite soll nun der sterbliche Mensch theilnehmen, zwischen Licht und Finsterniss wählen, den Sieg des Guten durch das Gewicht seiner Werke herbeiführen und nicht durch böse Thaten die Siegesaussicht Ari- mans vergrössern. Gewiss konnte nicht leicht etwas heilsameres ersonnen werden, die besseren Regungen im Menschen wach zu erhalten, als die Verheissung von Gott selbst als Helfer zum Siege angesehen zu werden. Daran schloss sich die Lehre von der Auferweckung der Todten, ein echt zoroastrischer Glaubenssatz, von dem die älteste Kunde am Schluss des 4. Jahrhunderts durch Theopompus in das Abendland gelangte 3). Die Abgeschiedenen dachte man sich er- standen zu einem unvergänglichen, dem Stoffwechsel entzogenen, reinen Leben in Leibern, die keinen Schatten warfen und der Sättigung nicht bedurften. Drei Tage nach dem letzten Hauche des Sterbenden schwebt die Seele noch in der Nähe ihrer körper- lichen Hülle. Um die vierte Morgenröthe aber schleppt sie ein Todesgenius zu der Brücke des Seelenhäschers (Tschinwat Peretu), und vor den Richter Sraoscha, der die guten und bösen Werke auf der Wage prüft. Dem Frommen tritt mit himmlischem Grusse die Verkörperung seines guten Wandels entgegen in Gestalt eines Mädchens von strahlender Jugend, schlank und hochbusig mit weissen Armen und edelem Antlitz. Dem Gottlosen erscheint die 1) Ferdinand Justi im Ausland 1871. No. 10. S. 221. 2) Windischmann, Zoroastr. Studien. S. 58. 3) Windischmann, l. c. S. 235—239.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/315>, abgerufen am 22.12.2024.