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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die dualistischen Religionen
oder richtiger Zarathustra 1). Er wird unter den Griechen etwa
um 470 v. Chr. von Xanthus dem Lydier zuerst erwähnt und
sein Auftreten Jahrhunderte oder Jahrtausende vor Xerxes gesetzt.
Sicherlich gehört er einem sehr hohen Alterthume an 2). Auch
die Ermittelung seines Geburtsortes ist auf Schwierigkeiten ge-
stossen, und wenn er gewöhnlich nach Ragha oder dem heutigen
Rai bei Teheran verlegt wird, so muss sogleich hinzugefügt werden,
dass er später in Bactrien weilte und dort wahrscheinlich seine
Lehre die ersten Wurzeln schlug 3).

Zarathustra verkündete nun, dass es unter den vielen gütigen
Ahura einen Mazdao oder Weltenschöpfer 4) gebe, einen Vergelter
des Guten und Bösen. Dieses höchste Wesen vereinigte doppel-
seitig in sich einen weissen oder heiligen (cpento mainyus) und einen
dunklen oder finsteren Geist (angro mainyus), sodass also die Zwei-
theilung in Ormazd und Ariman der reinen Lehre Zoroaster's
nicht angehörte 5), sondern nach ihr aus derselben Schöpferkraft Böses
wie Gutes hervorgegangen war. In einem alten Liede der par-
sischen Liturgie tritt die Seele der Natur vor Gott und klagt,
dass die Erde verwüstet werde durch das Drängen des Bösen.
Zugleich verlangt sie die Schöpfung eines Wesens, stark genug,
um sie für immer von ihrem Schmerze zu erlösen. Gottes Rath-
schluss war es aber nicht, die Sterblichen von dem Kampfe mit
dem Bösen zu entheben, damit sie die ihnen verliehene Kraft
des Guten stählen sollten. Auf die Bitte der Naturseele zeigt er
dieser aber das Urbild Zarathustra's, durch dessen Erscheinen

1) Der Name wird verschieden übersetzt von Windischmann (Zo-
roastrische Studien. Berlin 1863. S. 46), von Fr. Spiegel (Leben Zara-
thustra's. S. 10) und von Martin Haug (Religion of the Parsees. p. 252),
welcher letztere ihn als den Titel eines Hohenpriesters erklärt und dem
Religionsstifter den Familiennamen Spitama gibt.
2) Martin Haug (Lecture on an original speech of Zoroaster. Bombay
1865. p. 27) glaubt ihn nicht jünger ansetzen zu dürfen, als 2300 Jahre v. Chr.;
Rapp (Religion und Sitte der Perser, in der Zeitschrift der D. morgenl.
Gesellschaft. Leipzig 1865. Bd. 19. S. 27) dagegen hat viele Gründe herbei-
gebracht für die Zeit vom 11. bis 13. Jahrhundert v. Chr.
3) Was für Bactra als Geburtsort spricht, hat wiederum Rapp (l. c. S. 32)
mit grossem Geschick auseinandergesetzt.
4) Haug, Religion of the Parsees, p. 100.
5) Haug, Religion of the Parsees, p. 258.

Die dualistischen Religionen
oder richtiger Zarathustra 1). Er wird unter den Griechen etwa
um 470 v. Chr. von Xanthus dem Lydier zuerst erwähnt und
sein Auftreten Jahrhunderte oder Jahrtausende vor Xerxes gesetzt.
Sicherlich gehört er einem sehr hohen Alterthume an 2). Auch
die Ermittelung seines Geburtsortes ist auf Schwierigkeiten ge-
stossen, und wenn er gewöhnlich nach Ragha oder dem heutigen
Rai bei Teheran verlegt wird, so muss sogleich hinzugefügt werden,
dass er später in Bactrien weilte und dort wahrscheinlich seine
Lehre die ersten Wurzeln schlug 3).

Zarathustra verkündete nun, dass es unter den vielen gütigen
Ahura einen Mazdâo oder Weltenschöpfer 4) gebe, einen Vergelter
des Guten und Bösen. Dieses höchste Wesen vereinigte doppel-
seitig in sich einen weissen oder heiligen (çpento mainyus) und einen
dunklen oder finsteren Geist (angro mainyus), sodass also die Zwei-
theilung in Ormazd und Ariman der reinen Lehre Zoroaster’s
nicht angehörte 5), sondern nach ihr aus derselben Schöpferkraft Böses
wie Gutes hervorgegangen war. In einem alten Liede der par-
sischen Liturgie tritt die Seele der Natur vor Gott und klagt,
dass die Erde verwüstet werde durch das Drängen des Bösen.
Zugleich verlangt sie die Schöpfung eines Wesens, stark genug,
um sie für immer von ihrem Schmerze zu erlösen. Gottes Rath-
schluss war es aber nicht, die Sterblichen von dem Kampfe mit
dem Bösen zu entheben, damit sie die ihnen verliehene Kraft
des Guten stählen sollten. Auf die Bitte der Naturseele zeigt er
dieser aber das Urbild Zarathustra’s, durch dessen Erscheinen

1) Der Name wird verschieden übersetzt von Windischmann (Zo-
roastrische Studien. Berlin 1863. S. 46), von Fr. Spiegel (Leben Zara-
thustra’s. S. 10) und von Martin Haug (Religion of the Parsees. p. 252),
welcher letztere ihn als den Titel eines Hohenpriesters erklärt und dem
Religionsstifter den Familiennamen Spitama gibt.
2) Martin Haug (Lecture on an original speech of Zoroaster. Bombay
1865. p. 27) glaubt ihn nicht jünger ansetzen zu dürfen, als 2300 Jahre v. Chr.;
Rapp (Religion und Sitte der Perser, in der Zeitschrift der D. morgenl.
Gesellschaft. Leipzig 1865. Bd. 19. S. 27) dagegen hat viele Gründe herbei-
gebracht für die Zeit vom 11. bis 13. Jahrhundert v. Chr.
3) Was für Bactra als Geburtsort spricht, hat wiederum Rapp (l. c. S. 32)
mit grossem Geschick auseinandergesetzt.
4) Haug, Religion of the Parsees, p. 100.
5) Haug, Religion of the Parsees, p. 258.
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[296/0314] Die dualistischen Religionen oder richtiger Zarathustra 1). Er wird unter den Griechen etwa um 470 v. Chr. von Xanthus dem Lydier zuerst erwähnt und sein Auftreten Jahrhunderte oder Jahrtausende vor Xerxes gesetzt. Sicherlich gehört er einem sehr hohen Alterthume an 2). Auch die Ermittelung seines Geburtsortes ist auf Schwierigkeiten ge- stossen, und wenn er gewöhnlich nach Ragha oder dem heutigen Rai bei Teheran verlegt wird, so muss sogleich hinzugefügt werden, dass er später in Bactrien weilte und dort wahrscheinlich seine Lehre die ersten Wurzeln schlug 3). Zarathustra verkündete nun, dass es unter den vielen gütigen Ahura einen Mazdâo oder Weltenschöpfer 4) gebe, einen Vergelter des Guten und Bösen. Dieses höchste Wesen vereinigte doppel- seitig in sich einen weissen oder heiligen (çpento mainyus) und einen dunklen oder finsteren Geist (angro mainyus), sodass also die Zwei- theilung in Ormazd und Ariman der reinen Lehre Zoroaster’s nicht angehörte 5), sondern nach ihr aus derselben Schöpferkraft Böses wie Gutes hervorgegangen war. In einem alten Liede der par- sischen Liturgie tritt die Seele der Natur vor Gott und klagt, dass die Erde verwüstet werde durch das Drängen des Bösen. Zugleich verlangt sie die Schöpfung eines Wesens, stark genug, um sie für immer von ihrem Schmerze zu erlösen. Gottes Rath- schluss war es aber nicht, die Sterblichen von dem Kampfe mit dem Bösen zu entheben, damit sie die ihnen verliehene Kraft des Guten stählen sollten. Auf die Bitte der Naturseele zeigt er dieser aber das Urbild Zarathustra’s, durch dessen Erscheinen 1) Der Name wird verschieden übersetzt von Windischmann (Zo- roastrische Studien. Berlin 1863. S. 46), von Fr. Spiegel (Leben Zara- thustra’s. S. 10) und von Martin Haug (Religion of the Parsees. p. 252), welcher letztere ihn als den Titel eines Hohenpriesters erklärt und dem Religionsstifter den Familiennamen Spitama gibt. 2) Martin Haug (Lecture on an original speech of Zoroaster. Bombay 1865. p. 27) glaubt ihn nicht jünger ansetzen zu dürfen, als 2300 Jahre v. Chr.; Rapp (Religion und Sitte der Perser, in der Zeitschrift der D. morgenl. Gesellschaft. Leipzig 1865. Bd. 19. S. 27) dagegen hat viele Gründe herbei- gebracht für die Zeit vom 11. bis 13. Jahrhundert v. Chr. 3) Was für Bactra als Geburtsort spricht, hat wiederum Rapp (l. c. S. 32) mit grossem Geschick auseinandergesetzt. 4) Haug, Religion of the Parsees, p. 100. 5) Haug, Religion of the Parsees, p. 258.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/314>, abgerufen am 04.05.2024.