Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.Die Keime der bürgerlichen Gesellschaft. einen fremden Volksstamm unterwirft. Dann werden die physi-schen Merkmale gewöhnlich zu Wahrzeichen der besseren Abkunft erhoben, wie ja der indische Ausdruck für Kaste, varna, soviel wie Farbe1), Hautfarbe nämlich, bedeutet. Wenn die Könige von Spanien einen eingebornen Amerikaner in den Adelstand erhoben, so lautete die Formel, "er möge sich forthin als einen Weissen be- trachten". Dass auch unter Jägerstämmen eine Scheidung nach vornehmer und niederer Abkunft eintreten solle, ist schwierig zu erklären. Bei den Australiern gibt es gleichwohl drei Kasten, die keine Zwischenheirathen verstatten2), obgleich nirgends beobachtet worden ist, dass Mitglieder einer Horde irgendwelche Bevorzugung genossen. Uebrigens ist noch sehr dunkel, was über das angeb- liche Patriciat unter diesen Menschenstämmen mitgetheilt wird3). Sollte diese Einrichtung nur auf die Coburg-Halbinsel im Norden beschränkt sein4), dann wäre sie einer Einwanderung aus den Inseln im Norden zuzuschreiben. Unter den Malayen nämlich, sowie bei den ihnen verschwisterten Polynesiern findet sich ein Adelstand, welcher letzterer sich meistens wieder in viele Stufen gliedert5). Bei den Tonganern traf Mariner ausser den Fürsten einen hohen und niedern Adel und zwei Classen von Plebejern6). Adelsvorrechte und Kastenwesen stehen auch bei papuanisch-polynesischen Misch- völkern, wie bei den Bewohnern der Fidschigruppe oder der Palau- inseln in üppiger Blüthe. Da wir über die Zustände der unverfälschten Papuanen in Neu-Guinea noch lange nicht genügend unterrichtet sind, die Macht der Häuptlinge dort übrigens als sehr schattenhaft geschildert wird, die Neu-Caledonier ferner, welche übrigens der Blutmischung nicht unverdächtig sind, ausser der Häuptlingswürde, keine Standesunterschiede anzuerkennen scheinen, so dürfen wir es nur polynesischem Einflusse zuschreiben, wenn so viele papuanische Mischstämme nach Kasten sich gegliedert haben. In Amerika treffen wir den Geburtsadel zunächst bei den 1) Adalbert Kuhn in Webers indischen Studien. Bd. 1. S. 331. 2) Earl in Journ. of the R. Geogr. Soc. vol. XVI, p. 240. 3) Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. Bd. 3. S. 8. 4) Waitz (Gerland), Anthropologie. Bd. 6. S. 789. 5) Beispielsweise in der Landschaft Holontalo in Nord-Celebes nach Riedel in Zeitschr. für Ethnologie. 1871. S. 255. 6) Tonga Islands. Edinburgh 1827. tom. II, p. 87 sq.
Die Keime der bürgerlichen Gesellschaft. einen fremden Volksstamm unterwirft. Dann werden die physi-schen Merkmale gewöhnlich zu Wahrzeichen der besseren Abkunft erhoben, wie ja der indische Ausdruck für Kaste, varna, soviel wie Farbe1), Hautfarbe nämlich, bedeutet. Wenn die Könige von Spanien einen eingebornen Amerikaner in den Adelstand erhoben, so lautete die Formel, „er möge sich forthin als einen Weissen be- trachten“. Dass auch unter Jägerstämmen eine Scheidung nach vornehmer und niederer Abkunft eintreten solle, ist schwierig zu erklären. Bei den Australiern gibt es gleichwohl drei Kasten, die keine Zwischenheirathen verstatten2), obgleich nirgends beobachtet worden ist, dass Mitglieder einer Horde irgendwelche Bevorzugung genossen. Uebrigens ist noch sehr dunkel, was über das angeb- liche Patriciat unter diesen Menschenstämmen mitgetheilt wird3). Sollte diese Einrichtung nur auf die Coburg-Halbinsel im Norden beschränkt sein4), dann wäre sie einer Einwanderung aus den Inseln im Norden zuzuschreiben. Unter den Malayen nämlich, sowie bei den ihnen verschwisterten Polynesiern findet sich ein Adelstand, welcher letzterer sich meistens wieder in viele Stufen gliedert5). Bei den Tonganern traf Mariner ausser den Fürsten einen hohen und niedern Adel und zwei Classen von Plebejern6). Adelsvorrechte und Kastenwesen stehen auch bei papuanisch-polynesischen Misch- völkern, wie bei den Bewohnern der Fidschigruppe oder der Palau- inseln in üppiger Blüthe. Da wir über die Zustände der unverfälschten Papuanen in Neu-Guinea noch lange nicht genügend unterrichtet sind, die Macht der Häuptlinge dort übrigens als sehr schattenhaft geschildert wird, die Neu-Caledonier ferner, welche übrigens der Blutmischung nicht unverdächtig sind, ausser der Häuptlingswürde, keine Standesunterschiede anzuerkennen scheinen, so dürfen wir es nur polynesischem Einflusse zuschreiben, wenn so viele papuanische Mischstämme nach Kasten sich gegliedert haben. In Amerika treffen wir den Geburtsadel zunächst bei den 1) Adalbert Kuhn in Webers indischen Studien. Bd. 1. S. 331. 2) Earl in Journ. of the R. Geogr. Soc. vol. XVI, p. 240. 3) Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. Bd. 3. S. 8. 4) Waitz (Gerland), Anthropologie. Bd. 6. S. 789. 5) Beispielsweise in der Landschaft Holontalo in Nord-Celebes nach Riedel in Zeitschr. für Ethnologie. 1871. S. 255. 6) Tonga Islands. Edinburgh 1827. tom. II, p. 87 sq.
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Die Keime der bürgerlichen Gesellschaft.
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schen Merkmale gewöhnlich zu Wahrzeichen der besseren Abkunft
erhoben, wie ja der indische Ausdruck für Kaste, varna, soviel wie
Farbe 1), Hautfarbe nämlich, bedeutet. Wenn die Könige von
Spanien einen eingebornen Amerikaner in den Adelstand erhoben, so
lautete die Formel, „er möge sich forthin als einen Weissen be-
trachten“. Dass auch unter Jägerstämmen eine Scheidung nach
vornehmer und niederer Abkunft eintreten solle, ist schwierig zu
erklären. Bei den Australiern gibt es gleichwohl drei Kasten, die
keine Zwischenheirathen verstatten 2), obgleich nirgends beobachtet
worden ist, dass Mitglieder einer Horde irgendwelche Bevorzugung
genossen. Uebrigens ist noch sehr dunkel, was über das angeb-
liche Patriciat unter diesen Menschenstämmen mitgetheilt wird 3).
Sollte diese Einrichtung nur auf die Coburg-Halbinsel im Norden
beschränkt sein 4), dann wäre sie einer Einwanderung aus den Inseln
im Norden zuzuschreiben. Unter den Malayen nämlich, sowie bei
den ihnen verschwisterten Polynesiern findet sich ein Adelstand,
welcher letzterer sich meistens wieder in viele Stufen gliedert 5). Bei
den Tonganern traf Mariner ausser den Fürsten einen hohen und
niedern Adel und zwei Classen von Plebejern 6). Adelsvorrechte und
Kastenwesen stehen auch bei papuanisch-polynesischen Misch-
völkern, wie bei den Bewohnern der Fidschigruppe oder der Palau-
inseln in üppiger Blüthe. Da wir über die Zustände der unverfälschten
Papuanen in Neu-Guinea noch lange nicht genügend unterrichtet
sind, die Macht der Häuptlinge dort übrigens als sehr schattenhaft
geschildert wird, die Neu-Caledonier ferner, welche übrigens der
Blutmischung nicht unverdächtig sind, ausser der Häuptlingswürde,
keine Standesunterschiede anzuerkennen scheinen, so dürfen wir es
nur polynesischem Einflusse zuschreiben, wenn so viele papuanische
Mischstämme nach Kasten sich gegliedert haben.
In Amerika treffen wir den Geburtsadel zunächst bei den
1) Adalbert Kuhn in Webers indischen Studien. Bd. 1. S. 331.
2) Earl in Journ. of the R. Geogr. Soc. vol. XVI, p. 240.
3) Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. Bd. 3. S. 8.
4) Waitz (Gerland), Anthropologie. Bd. 6. S. 789.
5) Beispielsweise in der Landschaft Holontalo in Nord-Celebes nach
Riedel in Zeitschr. für Ethnologie. 1871. S. 255.
6) Tonga Islands. Edinburgh 1827. tom. II, p. 87 sq.
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