Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.Die Keime der bürgerlichen Gesellschaft. eigenthum der Horde. Flüsse, Wasserfälle, Berge, Felsen undBäume werden als Grenzzeichen von den Brasilianern benutzt1). Ein Duell zwischen zwei Botocudenhorden, welchem der Prinz zu Neuwied beiwohnte, sollte als Sühne für einen Einbruch in ein fremdes Jagdrevier dienen2). Bei den Australiern, auf welche die ältere Völkerkunde am tiefsten niederzublicken pflegte, wurde das Eigenthum an Grund und Boden streng beachtet. Benilong, ein Eingeborner von Neu Süd-Wales, hatte die Insel Memel (Goat Is- land der Engländer) von seinem Vater geerbt und gedachte sie einem Freunde zu hinterlassen3). Es kommen sogar Theilungen des Erbes bei Lebzeiten unter ihnen vor, und so streng wurden die Rechte des Eigenthümers geachtet, dass Niemand ohne Er- laubniss auf dessen Gebiete Bäume fällen oder Feuer anzünden durfte. Zustände, wo unter Menschen Eigenthum nicht unter- schieden worden wäre, liegen also jenseits der Grenze unsres For- schens. Wo der Acker von sesshaften Bewohnern bebaut wird, da sorgt man bereits für eine scharfe Theilung der Fluren. Auf den dichtbesiedelten nördlichen Nicobaren trifft man Grenzsteine, auf den südlichen, wo noch Raum genug ist, fehlen sie4). Unter den alten Bewohnern von Cumana am caribischen Golfe sahen die Spanier die Felder mit baumwollnen Schnuren abgegrenzt und jede Verletzung dieser Schranken wurde als ein Frevel angesehen5). Den Diebstahl betrachteten die Bewohner der Küste Venezuelas und der Antillen als das verwerflichste Verbrechen und bestraften ihn mit qualvollem Tode6). Zu den Ueberschwenglichkeiten despotischer Reiche gehört es, wenn die Krone auch in so dicht bevölkerten Gebieten, wie im britischen und im malayischen Indien zum allei- nigen Eigenthümer von Grund und Boden erhoben, das Land aber an die Unterthanen nur verpachtet wird. Auch im alten China be- stand diese Staatseinrichtung7). Ebenso war zur Incazeit in Peru kein Eigenthum denkbar, denn es herrschte dort eine strenge Gütergemeinschaft oder besser, es gab nur einen einzigen Eigen- 1) Martius, Ethnographie Bd. 1. S. 81--82. 2) Reise nach Brasilien. Frankf. 1820. Bd. 1. S. 370. 3) Dumont d'Urville, Voyage de l'Astrolabe tom. I. p. 469. 4) Waitz, Anthropologie. Bd. 1. S. 440. 5) Petrus Martyr, De orbe novo. Dec. VIII, cap. 6. 6) Gomara, Historia de las Indias. cap. 28. cap. 68. 7) Plath, Gesetz und Recht im alten China. München 1865. S. 18.
Die Keime der bürgerlichen Gesellschaft. eigenthum der Horde. Flüsse, Wasserfälle, Berge, Felsen undBäume werden als Grenzzeichen von den Brasilianern benutzt1). Ein Duell zwischen zwei Botocudenhorden, welchem der Prinz zu Neuwied beiwohnte, sollte als Sühne für einen Einbruch in ein fremdes Jagdrevier dienen2). Bei den Australiern, auf welche die ältere Völkerkunde am tiefsten niederzublicken pflegte, wurde das Eigenthum an Grund und Boden streng beachtet. Benilong, ein Eingeborner von Neu Süd-Wales, hatte die Insel Memel (Goat Is- land der Engländer) von seinem Vater geerbt und gedachte sie einem Freunde zu hinterlassen3). Es kommen sogar Theilungen des Erbes bei Lebzeiten unter ihnen vor, und so streng wurden die Rechte des Eigenthümers geachtet, dass Niemand ohne Er- laubniss auf dessen Gebiete Bäume fällen oder Feuer anzünden durfte. Zustände, wo unter Menschen Eigenthum nicht unter- schieden worden wäre, liegen also jenseits der Grenze unsres For- schens. Wo der Acker von sesshaften Bewohnern bebaut wird, da sorgt man bereits für eine scharfe Theilung der Fluren. Auf den dichtbesiedelten nördlichen Nicobaren trifft man Grenzsteine, auf den südlichen, wo noch Raum genug ist, fehlen sie4). Unter den alten Bewohnern von Cumaná am caribischen Golfe sahen die Spanier die Felder mit baumwollnen Schnuren abgegrenzt und jede Verletzung dieser Schranken wurde als ein Frevel angesehen5). Den Diebstahl betrachteten die Bewohner der Küste Venezuelas und der Antillen als das verwerflichste Verbrechen und bestraften ihn mit qualvollem Tode6). Zu den Ueberschwenglichkeiten despotischer Reiche gehört es, wenn die Krone auch in so dicht bevölkerten Gebieten, wie im britischen und im malayischen Indien zum allei- nigen Eigenthümer von Grund und Boden erhoben, das Land aber an die Unterthanen nur verpachtet wird. Auch im alten China be- stand diese Staatseinrichtung7). Ebenso war zur Incazeit in Peru kein Eigenthum denkbar, denn es herrschte dort eine strenge Gütergemeinschaft oder besser, es gab nur einen einzigen Eigen- 1) Martius, Ethnographie Bd. 1. S. 81—82. 2) Reise nach Brasilien. Frankf. 1820. Bd. 1. S. 370. 3) Dumont d’Urville, Voyage de l’Astrolabe tom. I. p. 469. 4) Waitz, Anthropologie. Bd. 1. S. 440. 5) Petrus Martyr, De orbe novo. Dec. VIII, cap. 6. 6) Gomara, Historia de las Indias. cap. 28. cap. 68. 7) Plath, Gesetz und Recht im alten China. München 1865. S. 18.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0269" n="251"/><fw place="top" type="header">Die Keime der bürgerlichen Gesellschaft.</fw><lb/> eigenthum der Horde. Flüsse, Wasserfälle, Berge, Felsen und<lb/> Bäume werden als Grenzzeichen von den Brasilianern benutzt<note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Martius</hi>, Ethnographie Bd. 1. S. 81—82.</note>.<lb/> Ein Duell zwischen zwei Botocudenhorden, welchem der Prinz zu<lb/> Neuwied beiwohnte, sollte als Sühne für einen Einbruch in ein<lb/> fremdes Jagdrevier dienen<note place="foot" n="2)">Reise nach Brasilien. Frankf. 1820. Bd. 1. S. 370.</note>. Bei den Australiern, auf welche die<lb/> ältere Völkerkunde am tiefsten niederzublicken pflegte, wurde das<lb/> Eigenthum an Grund und Boden streng beachtet. Benilong, ein<lb/> Eingeborner von Neu Süd-Wales, hatte die Insel Memel (Goat Is-<lb/> land der Engländer) von seinem Vater geerbt und gedachte sie<lb/> einem Freunde zu hinterlassen<note place="foot" n="3)"><hi rendition="#g">Dumont d’Urville</hi>, Voyage de l’Astrolabe tom. I. p. 469.</note>. Es kommen sogar Theilungen<lb/> des Erbes bei Lebzeiten unter ihnen vor, und so streng wurden<lb/> die Rechte des Eigenthümers geachtet, dass Niemand ohne Er-<lb/> laubniss auf dessen Gebiete Bäume fällen oder Feuer anzünden<lb/> durfte. Zustände, wo unter Menschen Eigenthum nicht unter-<lb/> schieden worden wäre, liegen also jenseits der Grenze unsres For-<lb/> schens. Wo der Acker von sesshaften Bewohnern bebaut wird, da<lb/> sorgt man bereits für eine scharfe Theilung der Fluren. Auf den<lb/> dichtbesiedelten nördlichen Nicobaren trifft man Grenzsteine, auf<lb/> den südlichen, wo noch Raum genug ist, fehlen sie<note place="foot" n="4)"><hi rendition="#g">Waitz</hi>, Anthropologie. Bd. 1. S. 440.</note>. Unter den<lb/> alten Bewohnern von Cumaná am caribischen Golfe sahen die<lb/> Spanier die Felder mit baumwollnen Schnuren abgegrenzt und jede<lb/> Verletzung dieser Schranken wurde als ein Frevel angesehen<note place="foot" n="5)"><hi rendition="#g">Petrus Martyr</hi>, De orbe novo. Dec. VIII, cap. 6.</note>. Den<lb/> Diebstahl betrachteten die Bewohner der Küste Venezuelas und der<lb/> Antillen als das verwerflichste Verbrechen und bestraften ihn mit<lb/> qualvollem Tode<note place="foot" n="6)"><hi rendition="#g">Gomara</hi>, Historia de las Indias. cap. 28. cap. 68.</note>. Zu den Ueberschwenglichkeiten despotischer<lb/> Reiche gehört es, wenn die Krone auch in so dicht bevölkerten<lb/> Gebieten, wie im britischen und im malayischen Indien zum allei-<lb/> nigen Eigenthümer von Grund und Boden erhoben, das Land aber<lb/> an die Unterthanen nur verpachtet wird. Auch im alten China be-<lb/> stand diese Staatseinrichtung<note place="foot" n="7)"><hi rendition="#g">Plath</hi>, Gesetz und Recht im alten China. München 1865. S. 18.</note>. Ebenso war zur Incazeit in Peru<lb/> kein Eigenthum denkbar, denn es herrschte dort eine strenge<lb/> Gütergemeinschaft oder besser, es gab nur einen einzigen Eigen-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [251/0269]
Die Keime der bürgerlichen Gesellschaft.
eigenthum der Horde. Flüsse, Wasserfälle, Berge, Felsen und
Bäume werden als Grenzzeichen von den Brasilianern benutzt 1).
Ein Duell zwischen zwei Botocudenhorden, welchem der Prinz zu
Neuwied beiwohnte, sollte als Sühne für einen Einbruch in ein
fremdes Jagdrevier dienen 2). Bei den Australiern, auf welche die
ältere Völkerkunde am tiefsten niederzublicken pflegte, wurde das
Eigenthum an Grund und Boden streng beachtet. Benilong, ein
Eingeborner von Neu Süd-Wales, hatte die Insel Memel (Goat Is-
land der Engländer) von seinem Vater geerbt und gedachte sie
einem Freunde zu hinterlassen 3). Es kommen sogar Theilungen
des Erbes bei Lebzeiten unter ihnen vor, und so streng wurden
die Rechte des Eigenthümers geachtet, dass Niemand ohne Er-
laubniss auf dessen Gebiete Bäume fällen oder Feuer anzünden
durfte. Zustände, wo unter Menschen Eigenthum nicht unter-
schieden worden wäre, liegen also jenseits der Grenze unsres For-
schens. Wo der Acker von sesshaften Bewohnern bebaut wird, da
sorgt man bereits für eine scharfe Theilung der Fluren. Auf den
dichtbesiedelten nördlichen Nicobaren trifft man Grenzsteine, auf
den südlichen, wo noch Raum genug ist, fehlen sie 4). Unter den
alten Bewohnern von Cumaná am caribischen Golfe sahen die
Spanier die Felder mit baumwollnen Schnuren abgegrenzt und jede
Verletzung dieser Schranken wurde als ein Frevel angesehen 5). Den
Diebstahl betrachteten die Bewohner der Küste Venezuelas und der
Antillen als das verwerflichste Verbrechen und bestraften ihn mit
qualvollem Tode 6). Zu den Ueberschwenglichkeiten despotischer
Reiche gehört es, wenn die Krone auch in so dicht bevölkerten
Gebieten, wie im britischen und im malayischen Indien zum allei-
nigen Eigenthümer von Grund und Boden erhoben, das Land aber
an die Unterthanen nur verpachtet wird. Auch im alten China be-
stand diese Staatseinrichtung 7). Ebenso war zur Incazeit in Peru
kein Eigenthum denkbar, denn es herrschte dort eine strenge
Gütergemeinschaft oder besser, es gab nur einen einzigen Eigen-
1) Martius, Ethnographie Bd. 1. S. 81—82.
2) Reise nach Brasilien. Frankf. 1820. Bd. 1. S. 370.
3) Dumont d’Urville, Voyage de l’Astrolabe tom. I. p. 469.
4) Waitz, Anthropologie. Bd. 1. S. 440.
5) Petrus Martyr, De orbe novo. Dec. VIII, cap. 6.
6) Gomara, Historia de las Indias. cap. 28. cap. 68.
7) Plath, Gesetz und Recht im alten China. München 1865. S. 18.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |