Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung. empörende Menschenschmaus nachfolgt, wie im alten Mexico 1).Gänzlich unzulässig ist es dagegen, die Menschenfresserei aus einem physiologischen Zwang rechtfertigen zu wollen, als erfordere unsre Leibeswohlfahrt dringend einen Wechsel zwischen Fleisch- und Pflanzenkost, während doch in Indien mehr als hundert Mil- lionen Bewohner sich ausschliesslich mit letzterer begnügen. Ge- wöhnlich beruft man sich auf die Maori, welche in Neuseeland kein vierfüssiges Landthier vorfanden und von einem unbezwing- lichen Naturtrieb erfasst, zum Genuss von Menschenfleisch getrieben worden wären 2). Allein die Anthropophagie ist allen andern Po- lynesiern gemeinsam. Sie ist auf den Marquesasinseln, der Hawai- gruppe, Tahiti 3) und anderwärts nachgewiesen worden, wo doch überall Schweine und Hunde zur Fleischerzeugung gezüchtet wur- den, so dass sicherlich die Maori, ehe sie sich von den Geschwister- stämmen trennten, schon mit dem grauenhaften Laster befleckt waren. Dazu kommt, dass von diesem Gräuel nicht einmal vieh- zuchttreibende Völker, nämlich in Südafrika die Immithlanga, ein Zulustamm, frei waren 4) und er bei den ihnen nahe stehenden Basuto erst von dem Häuptling Moschesch unterdrückt wurde 5). Täuschung wäre es ferner, diese Verworfenheit bei den sogenannten niederen und minder zurechnungsfähigen Völkern zu suchen. Sind auch die Australier nicht gänzlich rein zu sprechen 6), so gehören sie doch nicht unter die Gewohnheitscanibalen. Hottentotten und Busch- männer sind unsres Wissens noch nie verdächtigt worden, dagegen 1) Prescott, Conquest of Mexico. tom. I. p. 78. 2) Das Gleiche könnte von den Bewohnern Rapa nui's der Osterinsel gelten. Revue maritime et coloniale. Tome XXXV. Novbr. 1872. p. 116. 3) Meinicke äussert (Zeitschr. für Erdkunde 1870. No. 29. S. 396) bei Erwähnung der Thatsache, dass auf den westlichen Paumotu-Inseln die An- thropophagie durch Tahitier unterdrückt worden sei, die Vermuthung, dass letztere nie jenes Laster gekannt hätten. Gerland (Waitz, Anthropologie. Bd. 6. S. 158) hat indessen mehrere Zeugnisse dafür beigebracht. 4) Waitz, Anthropologie. Bd. 1. S. 352. 5) Casalis, Les Bassoutos. Paris 1859. p. 21. p. 319. Zu den Höhlen- canibalen gehörten zwei Betschuanenhorden, die Ba-fukeng oder Ba-hukeng und die Ma-katla sowie zwei Kafirstämme, die Ba-makakana und die Ba- matlapatlapa. Ihr Schlupfwinkel lag in der Nähe von Thaba-Bosigo bei den Quellen des Caledonflusses. Anthropological Review. April 1869. No. 25. vol. VII. p. 121--128. 6) Petermann's Mittheilungen. 1870. S. 148.
Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung. empörende Menschenschmaus nachfolgt, wie im alten Mexico 1).Gänzlich unzulässig ist es dagegen, die Menschenfresserei aus einem physiologischen Zwang rechtfertigen zu wollen, als erfordere unsre Leibeswohlfahrt dringend einen Wechsel zwischen Fleisch- und Pflanzenkost, während doch in Indien mehr als hundert Mil- lionen Bewohner sich ausschliesslich mit letzterer begnügen. Ge- wöhnlich beruft man sich auf die Maori, welche in Neuseeland kein vierfüssiges Landthier vorfanden und von einem unbezwing- lichen Naturtrieb erfasst, zum Genuss von Menschenfleisch getrieben worden wären 2). Allein die Anthropophagie ist allen andern Po- lynesiern gemeinsam. Sie ist auf den Marquesasinseln, der Hawai- gruppe, Tahiti 3) und anderwärts nachgewiesen worden, wo doch überall Schweine und Hunde zur Fleischerzeugung gezüchtet wur- den, so dass sicherlich die Maori, ehe sie sich von den Geschwister- stämmen trennten, schon mit dem grauenhaften Laster befleckt waren. Dazu kommt, dass von diesem Gräuel nicht einmal vieh- zuchttreibende Völker, nämlich in Südafrika die Immithlanga, ein Zulustamm, frei waren 4) und er bei den ihnen nahe stehenden Basuto erst von dem Häuptling Moschesch unterdrückt wurde 5). Täuschung wäre es ferner, diese Verworfenheit bei den sogenannten niederen und minder zurechnungsfähigen Völkern zu suchen. Sind auch die Australier nicht gänzlich rein zu sprechen 6), so gehören sie doch nicht unter die Gewohnheitscanibalen. Hottentotten und Busch- männer sind unsres Wissens noch nie verdächtigt worden, dagegen 1) Prescott, Conquest of Mexico. tom. I. p. 78. 2) Das Gleiche könnte von den Bewohnern Rapa nui’s der Osterinsel gelten. Revue maritime et coloniale. Tome XXXV. Novbr. 1872. p. 116. 3) Meinicke äussert (Zeitschr. für Erdkunde 1870. No. 29. S. 396) bei Erwähnung der Thatsache, dass auf den westlichen Paumotu-Inseln die An- thropophagie durch Tahitier unterdrückt worden sei, die Vermuthung, dass letztere nie jenes Laster gekannt hätten. Gerland (Waitz, Anthropologie. Bd. 6. S. 158) hat indessen mehrere Zeugnisse dafür beigebracht. 4) Waitz, Anthropologie. Bd. 1. S. 352. 5) Casalis, Les Bassoutos. Paris 1859. p. 21. p. 319. Zu den Höhlen- canibalen gehörten zwei Betschuanenhorden, die Ba-fukeng oder Ba-hukeng und die Ma-katla sowie zwei Kafirstämme, die Ba-makakana und die Ba- matlapatlapa. Ihr Schlupfwinkel lag in der Nähe von Thaba-Bosigo bei den Quellen des Caledonflusses. Anthropological Review. April 1869. No. 25. vol. VII. p. 121—128. 6) Petermann’s Mittheilungen. 1870. S. 148.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0184" n="166"/><fw place="top" type="header">Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung.</fw><lb/> empörende Menschenschmaus nachfolgt, wie im alten Mexico <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Prescott</hi>, Conquest of Mexico. tom. I. p. 78.</note>.<lb/> Gänzlich unzulässig ist es dagegen, die Menschenfresserei aus<lb/> einem physiologischen Zwang rechtfertigen zu wollen, als erfordere<lb/> unsre Leibeswohlfahrt dringend einen Wechsel zwischen Fleisch-<lb/> und Pflanzenkost, während doch in Indien mehr als hundert Mil-<lb/> lionen Bewohner sich ausschliesslich mit letzterer begnügen. Ge-<lb/> wöhnlich beruft man sich auf die Maori, welche in Neuseeland<lb/> kein vierfüssiges Landthier vorfanden und von einem unbezwing-<lb/> lichen Naturtrieb erfasst, zum Genuss von Menschenfleisch getrieben<lb/> worden wären <note place="foot" n="2)">Das Gleiche könnte von den Bewohnern Rapa nui’s der Osterinsel<lb/> gelten. Revue maritime et coloniale. Tome XXXV. Novbr. 1872. p. 116.</note>. Allein die Anthropophagie ist allen andern Po-<lb/> lynesiern gemeinsam. Sie ist auf den Marquesasinseln, der Hawai-<lb/> gruppe, Tahiti <note place="foot" n="3)">Meinicke äussert (Zeitschr. für Erdkunde 1870. No. 29. S. 396) bei<lb/> Erwähnung der Thatsache, dass auf den westlichen Paumotu-Inseln die An-<lb/> thropophagie durch Tahitier unterdrückt worden sei, die Vermuthung, dass<lb/> letztere nie jenes Laster gekannt hätten. Gerland (<hi rendition="#g">Waitz</hi>, Anthropologie.<lb/> Bd. 6. S. 158) hat indessen mehrere Zeugnisse dafür beigebracht.</note> und anderwärts nachgewiesen worden, wo doch<lb/> überall Schweine und Hunde zur Fleischerzeugung gezüchtet wur-<lb/> den, so dass sicherlich die Maori, ehe sie sich von den Geschwister-<lb/> stämmen trennten, schon mit dem grauenhaften Laster befleckt<lb/> waren. Dazu kommt, dass von diesem Gräuel nicht einmal vieh-<lb/> zuchttreibende Völker, nämlich in Südafrika die Immithlanga, ein<lb/> Zulustamm, frei waren <note place="foot" n="4)"><hi rendition="#g">Waitz</hi>, Anthropologie. Bd. 1. S. 352.</note> und er bei den ihnen nahe stehenden Basuto<lb/> erst von dem Häuptling Moschesch unterdrückt wurde <note place="foot" n="5)"><hi rendition="#g">Casalis</hi>, Les Bassoutos. Paris 1859. p. 21. p. 319. Zu den Höhlen-<lb/> canibalen gehörten zwei Betschuanenhorden, die Ba-fukeng oder Ba-hukeng<lb/> und die Ma-katla sowie zwei Kafirstämme, die Ba-makakana und die Ba-<lb/> matlapatlapa. Ihr Schlupfwinkel lag in der Nähe von Thaba-Bosigo bei den<lb/> Quellen des Caledonflusses. Anthropological Review. April 1869. No. 25.<lb/> vol. VII. p. 121—128.</note>. Täuschung<lb/> wäre es ferner, diese Verworfenheit bei den sogenannten niederen<lb/> und minder zurechnungsfähigen Völkern zu suchen. Sind auch<lb/> die Australier nicht gänzlich rein zu sprechen <note place="foot" n="6)"><hi rendition="#g">Petermann’s</hi> Mittheilungen. 1870. S. 148.</note>, so gehören sie doch<lb/> nicht unter die Gewohnheitscanibalen. Hottentotten und Busch-<lb/> männer sind unsres Wissens noch nie verdächtigt worden, dagegen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [166/0184]
Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung.
empörende Menschenschmaus nachfolgt, wie im alten Mexico 1).
Gänzlich unzulässig ist es dagegen, die Menschenfresserei aus
einem physiologischen Zwang rechtfertigen zu wollen, als erfordere
unsre Leibeswohlfahrt dringend einen Wechsel zwischen Fleisch-
und Pflanzenkost, während doch in Indien mehr als hundert Mil-
lionen Bewohner sich ausschliesslich mit letzterer begnügen. Ge-
wöhnlich beruft man sich auf die Maori, welche in Neuseeland
kein vierfüssiges Landthier vorfanden und von einem unbezwing-
lichen Naturtrieb erfasst, zum Genuss von Menschenfleisch getrieben
worden wären 2). Allein die Anthropophagie ist allen andern Po-
lynesiern gemeinsam. Sie ist auf den Marquesasinseln, der Hawai-
gruppe, Tahiti 3) und anderwärts nachgewiesen worden, wo doch
überall Schweine und Hunde zur Fleischerzeugung gezüchtet wur-
den, so dass sicherlich die Maori, ehe sie sich von den Geschwister-
stämmen trennten, schon mit dem grauenhaften Laster befleckt
waren. Dazu kommt, dass von diesem Gräuel nicht einmal vieh-
zuchttreibende Völker, nämlich in Südafrika die Immithlanga, ein
Zulustamm, frei waren 4) und er bei den ihnen nahe stehenden Basuto
erst von dem Häuptling Moschesch unterdrückt wurde 5). Täuschung
wäre es ferner, diese Verworfenheit bei den sogenannten niederen
und minder zurechnungsfähigen Völkern zu suchen. Sind auch
die Australier nicht gänzlich rein zu sprechen 6), so gehören sie doch
nicht unter die Gewohnheitscanibalen. Hottentotten und Busch-
männer sind unsres Wissens noch nie verdächtigt worden, dagegen
1) Prescott, Conquest of Mexico. tom. I. p. 78.
2) Das Gleiche könnte von den Bewohnern Rapa nui’s der Osterinsel
gelten. Revue maritime et coloniale. Tome XXXV. Novbr. 1872. p. 116.
3) Meinicke äussert (Zeitschr. für Erdkunde 1870. No. 29. S. 396) bei
Erwähnung der Thatsache, dass auf den westlichen Paumotu-Inseln die An-
thropophagie durch Tahitier unterdrückt worden sei, die Vermuthung, dass
letztere nie jenes Laster gekannt hätten. Gerland (Waitz, Anthropologie.
Bd. 6. S. 158) hat indessen mehrere Zeugnisse dafür beigebracht.
4) Waitz, Anthropologie. Bd. 1. S. 352.
5) Casalis, Les Bassoutos. Paris 1859. p. 21. p. 319. Zu den Höhlen-
canibalen gehörten zwei Betschuanenhorden, die Ba-fukeng oder Ba-hukeng
und die Ma-katla sowie zwei Kafirstämme, die Ba-makakana und die Ba-
matlapatlapa. Ihr Schlupfwinkel lag in der Nähe von Thaba-Bosigo bei den
Quellen des Caledonflusses. Anthropological Review. April 1869. No. 25.
vol. VII. p. 121—128.
6) Petermann’s Mittheilungen. 1870. S. 148.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |