sem feinsten, aber stärksten Gift des Seelenglü¬ ckes freigemacht, bis sie zuletzt an ihrem Him¬ mel stand als ein reiner, lichter Mond ohne einen Regen- und Wolkenkreis der Erde.
Albano, dem die Erde, mit Vergangenheit und Todten gefüllt, eine Luftkugel geworden war, die in dem Äther gieng, fühlte sich frei zwischen seinen Sternen und ohne irdisches Ban¬ gen; er nahete sich Idoinen -- obwohl bei dem Bewußtseyn der kämpfenden Verhältnisse ihres und seines Hauses -- mit heiligem Muthe: "Ihr letzter Wunsch im letzten Garten (sagt' er) wurde vom Himmel gehört." -- Mit jung¬ fräulich-entschiednem Sinn gieng sie durch die Wildniß, worin sie bald Blumen bald Dornen auseinander zu beugen hatte, um weder verle¬ gen noch verletzt zu werden; sie antwortete ihm: "ich freue mich von Herzen, daß Sie Ihre treue Schwester auf immer gefunden haben." Wehrfritz war über die Freimüthigkeit, womit sie die Wahrheit redlich wider alle Familien- Verhältnisse sprach, eben so erfreuet als ver¬ wundert. "So muß man immer auf der Erde viel verlieren, (erwiderte ihr Albano,) um viel
ſem feinſten, aber ſtärkſten Gift des Seelenglü¬ ckes freigemacht, bis ſie zuletzt an ihrem Him¬ mel ſtand als ein reiner, lichter Mond ohne einen Regen- und Wolkenkreis der Erde.
Albano, dem die Erde, mit Vergangenheit und Todten gefüllt, eine Luftkugel geworden war, die in dem Äther gieng, fühlte ſich frei zwiſchen ſeinen Sternen und ohne irdiſches Ban¬ gen; er nahete ſich Idoinen — obwohl bei dem Bewußtſeyn der kämpfenden Verhältniſſe ihres und ſeines Hauſes — mit heiligem Muthe: „Ihr letzter Wunſch im letzten Garten (ſagt' er) wurde vom Himmel gehört.“ — Mit jung¬ fräulich-entſchiednem Sinn gieng ſie durch die Wildniß, worin ſie bald Blumen bald Dornen auseinander zu beugen hatte, um weder verle¬ gen noch verletzt zu werden; ſie antwortete ihm: „ich freue mich von Herzen, daß Sie Ihre treue Schweſter auf immer gefunden haben.“ Wehrfritz war über die Freimüthigkeit, womit ſie die Wahrheit redlich wider alle Familien- Verhältniſſe ſprach, eben ſo erfreuet als ver¬ wundert. „So muß man immer auf der Erde viel verlieren, (erwiderte ihr Albano,) um viel
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ſem feinſten, aber ſtärkſten Gift des Seelenglü¬
ckes freigemacht, bis ſie zuletzt an ihrem Him¬
mel ſtand als ein reiner, lichter Mond ohne
einen Regen- und Wolkenkreis der Erde.
Albano, dem die Erde, mit Vergangenheit
und Todten gefüllt, eine Luftkugel geworden
war, die in dem Äther gieng, fühlte ſich frei
zwiſchen ſeinen Sternen und ohne irdiſches Ban¬
gen; er nahete ſich Idoinen — obwohl bei dem
Bewußtſeyn der kämpfenden Verhältniſſe ihres
und ſeines Hauſes — mit heiligem Muthe:
„Ihr letzter Wunſch im letzten Garten (ſagt' er)
wurde vom Himmel gehört.“ — Mit jung¬
fräulich-entſchiednem Sinn gieng ſie durch die
Wildniß, worin ſie bald Blumen bald Dornen
auseinander zu beugen hatte, um weder verle¬
gen noch verletzt zu werden; ſie antwortete ihm:
„ich freue mich von Herzen, daß Sie Ihre
treue Schweſter auf immer gefunden haben.“
Wehrfritz war über die Freimüthigkeit, womit
ſie die Wahrheit redlich wider alle Familien-
Verhältniſſe ſprach, eben ſo erfreuet als ver¬
wundert. „So muß man immer auf der Erde
viel verlieren, (erwiderte ihr Albano,) um viel
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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 558. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/570>, abgerufen am 23.11.2024.
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