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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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man in einer Nacht steht, wo alle Sterne des
Lebens hinunterziehen, als sehr fest darin zu
stehen. -- Aber zu meinem alten Humoristen
muß ich noch Adio sagen."

Er gieng ins Leichenzimmer. Schweigend
folgt' ihm Siebenkäs, betroffen über die unge¬
wöhnliche Laune der -- Schmerzen. Mit trock¬
nen Augen zog Albano das weisse Tuch von
dem ernsten Gesicht, dessen feste Augenbraunen
sich zu keinem Scherze mehr zogen und das
eisern hinschlief ohne Zeit. Der Hund schien
den kalten Menschen zu scheuen. Albano suchte
durch scharfe, heftige, trockne Blicke das Tod¬
tengesicht bis auf jede Falte tief abzudrücken
in sein Gehirn wie in Gyps, zumal da ihm
der lebendigste Abdruck, der Freund, entgieng.
Dann hob er sich die schwere Hand auf die
Stirn, die den Fürstenhut tragen sollte, gleich¬
sam um sie damit zu segnen und einzuweihen.
Endlich bückt' er sich auf das Gesicht nieder
und lag lange auf dem kalten Mund; aber
als er sich spät aufrichtete, weinten seine Au¬
gen und sein ganzes Herz, und er reichte dem
Zuschauer bebend die Hand und sagte: "nun,

man in einer Nacht ſteht, wo alle Sterne des
Lebens hinunterziehen, als ſehr feſt darin zu
ſtehen. — Aber zu meinem alten Humoriſten
muß ich noch Adio ſagen.“

Er gieng ins Leichenzimmer. Schweigend
folgt' ihm Siebenkäs, betroffen über die unge¬
wöhnliche Laune der — Schmerzen. Mit trock¬
nen Augen zog Albano das weiſſe Tuch von
dem ernſten Geſicht, deſſen feſte Augenbraunen
ſich zu keinem Scherze mehr zogen und das
eiſern hinſchlief ohne Zeit. Der Hund ſchien
den kalten Menſchen zu ſcheuen. Albano ſuchte
durch ſcharfe, heftige, trockne Blicke das Tod¬
tengeſicht bis auf jede Falte tief abzudrücken
in ſein Gehirn wie in Gyps, zumal da ihm
der lebendigſte Abdruck, der Freund, entgieng.
Dann hob er ſich die ſchwere Hand auf die
Stirn, die den Fürſtenhut tragen ſollte, gleich¬
ſam um ſie damit zu ſegnen und einzuweihen.
Endlich bückt' er ſich auf das Geſicht nieder
und lag lange auf dem kalten Mund; aber
als er ſich ſpät aufrichtete, weinten ſeine Au¬
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[538/0550] man in einer Nacht ſteht, wo alle Sterne des Lebens hinunterziehen, als ſehr feſt darin zu ſtehen. — Aber zu meinem alten Humoriſten muß ich noch Adio ſagen.“ Er gieng ins Leichenzimmer. Schweigend folgt' ihm Siebenkäs, betroffen über die unge¬ wöhnliche Laune der — Schmerzen. Mit trock¬ nen Augen zog Albano das weiſſe Tuch von dem ernſten Geſicht, deſſen feſte Augenbraunen ſich zu keinem Scherze mehr zogen und das eiſern hinſchlief ohne Zeit. Der Hund ſchien den kalten Menſchen zu ſcheuen. Albano ſuchte durch ſcharfe, heftige, trockne Blicke das Tod¬ tengeſicht bis auf jede Falte tief abzudrücken in ſein Gehirn wie in Gyps, zumal da ihm der lebendigſte Abdruck, der Freund, entgieng. Dann hob er ſich die ſchwere Hand auf die Stirn, die den Fürſtenhut tragen ſollte, gleich¬ ſam um ſie damit zu ſegnen und einzuweihen. Endlich bückt' er ſich auf das Geſicht nieder und lag lange auf dem kalten Mund; aber als er ſich ſpät aufrichtete, weinten ſeine Au¬ gen und ſein ganzes Herz, und er reichte dem Zuſchauer bebend die Hand und ſagte: „nun,

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/550>, abgerufen am 27.07.2024.