Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

vor dem lebendigen Bruderbild des Todten und
vor dem ersten Argwohn zwischen fremden und
Selbstmord und fragte leise: "wie starb er?"
-- "Durch mich, (sagte Siebenkäs,) an unse¬
rer Ähnlichkeit, er glaubte sich zu sehen, wie
dieser Herr hier versichert." Der Oheim er¬
zählte einige Punkte, Albano kehrte Ohr und
Auge von ihm ab; aber in den warmen Wie¬
derschein der befreundeten Gestalt senkt' er den
Blick, dem das Tageslicht der Freundschaft un¬
tergegangen war. Siebenkäs schien sich in ei¬
ner seltenen männlichen Haltung zu behaupten.
Auch Albano, der jüngere Freund, verbarg sei¬
nen Jammer, daß er so viel verlohren und daß
nun sein Waisen-Herz ausgesetzt sey wie ein
hülfloses Kind in die Wüste des Lebens.

Wehrfritz fragte ihn, ob er ihm ein Pferd
zur Reise in die Stadt noch schicken solle?
"Mir? Ich jemals mehr in die Stadt? (frag¬
te Albano.) Nein, guter Vater, ich und Schop¬
pe gehen heute in den Prinzengarten." Er ent¬
setzte sich vor der bloßen schwarzen Kirchhofs-
Landschaft der Stadt, wo einmal ein goldner
Sonnenschein und Laubengänge und Himmels¬

pforten

vor dem lebendigen Bruderbild des Todten und
vor dem erſten Argwohn zwiſchen fremden und
Selbſtmord und fragte leiſe: „wie ſtarb er?“
— „Durch mich, (ſagte Siebenkäs,) an unſe¬
rer Ähnlichkeit, er glaubte ſich zu ſehen, wie
dieſer Herr hier verſichert.“ Der Oheim er¬
zählte einige Punkte, Albano kehrte Ohr und
Auge von ihm ab; aber in den warmen Wie¬
derſchein der befreundeten Geſtalt ſenkt' er den
Blick, dem das Tageslicht der Freundſchaft un¬
tergegangen war. Siebenkäs ſchien ſich in ei¬
ner ſeltenen männlichen Haltung zu behaupten.
Auch Albano, der jüngere Freund, verbarg ſei¬
nen Jammer, daß er ſo viel verlohren und daß
nun ſein Waiſen-Herz ausgeſetzt ſey wie ein
hülfloſes Kind in die Wüſte des Lebens.

Wehrfritz fragte ihn, ob er ihm ein Pferd
zur Reiſe in die Stadt noch ſchicken ſolle?
„Mir? Ich jemals mehr in die Stadt? (frag¬
te Albano.) Nein, guter Vater, ich und Schop¬
pe gehen heute in den Prinzengarten.“ Er ent¬
ſetzte ſich vor der bloßen ſchwarzen Kirchhofs-
Landſchaft der Stadt, wo einmal ein goldner
Sonnenſchein und Laubengänge und Himmels¬

pforten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0524" n="512"/>
vor dem lebendigen Bruderbild des Todten und<lb/>
vor dem er&#x017F;ten Argwohn zwi&#x017F;chen fremden und<lb/>
Selb&#x017F;tmord und fragte lei&#x017F;e: &#x201E;wie &#x017F;tarb er?&#x201C;<lb/>
&#x2014; &#x201E;Durch mich, (&#x017F;agte Siebenkäs,) an un&#x017F;<lb/>
rer Ähnlichkeit, er glaubte &#x017F;ich zu &#x017F;ehen, wie<lb/>
die&#x017F;er Herr hier ver&#x017F;ichert.&#x201C; Der Oheim er¬<lb/>
zählte einige Punkte, Albano kehrte Ohr und<lb/>
Auge von ihm ab; aber in den warmen Wie¬<lb/>
der&#x017F;chein der befreundeten Ge&#x017F;talt &#x017F;enkt' er den<lb/>
Blick, dem das Tageslicht der Freund&#x017F;chaft un¬<lb/>
tergegangen war. Siebenkäs &#x017F;chien &#x017F;ich in ei¬<lb/>
ner &#x017F;eltenen männlichen Haltung zu behaupten.<lb/>
Auch Albano, der jüngere Freund, verbarg &#x017F;ei¬<lb/>
nen Jammer, daß er &#x017F;o viel verlohren und daß<lb/>
nun &#x017F;ein Wai&#x017F;en-Herz ausge&#x017F;etzt &#x017F;ey wie ein<lb/>
hülflo&#x017F;es Kind in die Wü&#x017F;te des Lebens.</p><lb/>
          <p>Wehrfritz fragte ihn, ob er ihm ein Pferd<lb/>
zur Rei&#x017F;e in die Stadt noch &#x017F;chicken &#x017F;olle?<lb/>
&#x201E;Mir? Ich jemals mehr in die Stadt? (frag¬<lb/>
te Albano.) Nein, guter Vater, ich und Schop¬<lb/>
pe gehen heute in den Prinzengarten.&#x201C; Er ent¬<lb/>
&#x017F;etzte &#x017F;ich vor der bloßen &#x017F;chwarzen Kirchhofs-<lb/>
Land&#x017F;chaft der Stadt, wo einmal ein goldner<lb/>
Sonnen&#x017F;chein und Laubengänge und Himmels¬<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">pforten<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[512/0524] vor dem lebendigen Bruderbild des Todten und vor dem erſten Argwohn zwiſchen fremden und Selbſtmord und fragte leiſe: „wie ſtarb er?“ — „Durch mich, (ſagte Siebenkäs,) an unſe¬ rer Ähnlichkeit, er glaubte ſich zu ſehen, wie dieſer Herr hier verſichert.“ Der Oheim er¬ zählte einige Punkte, Albano kehrte Ohr und Auge von ihm ab; aber in den warmen Wie¬ derſchein der befreundeten Geſtalt ſenkt' er den Blick, dem das Tageslicht der Freundſchaft un¬ tergegangen war. Siebenkäs ſchien ſich in ei¬ ner ſeltenen männlichen Haltung zu behaupten. Auch Albano, der jüngere Freund, verbarg ſei¬ nen Jammer, daß er ſo viel verlohren und daß nun ſein Waiſen-Herz ausgeſetzt ſey wie ein hülfloſes Kind in die Wüſte des Lebens. Wehrfritz fragte ihn, ob er ihm ein Pferd zur Reiſe in die Stadt noch ſchicken ſolle? „Mir? Ich jemals mehr in die Stadt? (frag¬ te Albano.) Nein, guter Vater, ich und Schop¬ pe gehen heute in den Prinzengarten.“ Er ent¬ ſetzte ſich vor der bloßen ſchwarzen Kirchhofs- Landſchaft der Stadt, wo einmal ein goldner Sonnenſchein und Laubengänge und Himmels¬ pforten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/524
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/524>, abgerufen am 09.11.2024.