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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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te wurden von einer bebenden Stimme getragen,
denn durch Hülfe ihrer Schwester hatte sie das
ganze graue Regenland seiner Gegenwart vor
das Auge bekommen und ihr Herz war voll
tiefen Mitleidens gegen die Menschen.

Er sah sie hier scharf an, ihre Nonnen-Au¬
genlieder, die immer unter dem Sprechen sich
über die ganzen großen Augen niedersenkten,
machten sie einer entschlummerten Heiligen so
ähnlich; -- er wurde von ihren letzten Worten
an ihr fruchttragendes Leben in Arkadien erin¬
nert, wo der bunte Blüthenstaub ihrer Ideen
und Träume, ungleich dem schweren todten
Goldstaub des bloßen Reichthums, leicht im
heitern Leben flatternd, unbemerkt belebend,
endlich feste Wälder und Gärten auf der Erde
ausbreitete -- alles in ihm liebte sie und rief:
nur sie könnte deine letzte wie deine erste Lie¬
be seyn -- und sein ganzes Herz, durch Wun¬
den offen, war der stillen Seele aufgethan.
Aber ein ernster, harter Geist schloß es wieder
zu: "Unglücklicher, liebe keine mehr, denn ein
dunkler Würgengel geht hinter Deiner Liebe
mit dem Schwerdt, und welche Rosenlippe Du

te wurden von einer bebenden Stimme getragen,
denn durch Hülfe ihrer Schweſter hatte ſie das
ganze graue Regenland ſeiner Gegenwart vor
das Auge bekommen und ihr Herz war voll
tiefen Mitleidens gegen die Menſchen.

Er ſah ſie hier ſcharf an, ihre Nonnen-Au¬
genlieder, die immer unter dem Sprechen ſich
über die ganzen großen Augen niederſenkten,
machten ſie einer entſchlummerten Heiligen ſo
ähnlich; — er wurde von ihren letzten Worten
an ihr fruchttragendes Leben in Arkadien erin¬
nert, wo der bunte Blüthenſtaub ihrer Ideen
und Träume, ungleich dem ſchweren todten
Goldſtaub des bloßen Reichthums, leicht im
heitern Leben flatternd, unbemerkt belebend,
endlich feſte Wälder und Gärten auf der Erde
ausbreitete — alles in ihm liebte ſie und rief:
nur ſie könnte deine letzte wie deine erſte Lie¬
be ſeyn — und ſein ganzes Herz, durch Wun¬
den offen, war der ſtillen Seele aufgethan.
Aber ein ernſter, harter Geiſt ſchloß es wieder
zu: „Unglücklicher, liebe keine mehr, denn ein
dunkler Würgengel geht hinter Deiner Liebe
mit dem Schwerdt, und welche Roſenlippe Du

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[492/0504] te wurden von einer bebenden Stimme getragen, denn durch Hülfe ihrer Schweſter hatte ſie das ganze graue Regenland ſeiner Gegenwart vor das Auge bekommen und ihr Herz war voll tiefen Mitleidens gegen die Menſchen. Er ſah ſie hier ſcharf an, ihre Nonnen-Au¬ genlieder, die immer unter dem Sprechen ſich über die ganzen großen Augen niederſenkten, machten ſie einer entſchlummerten Heiligen ſo ähnlich; — er wurde von ihren letzten Worten an ihr fruchttragendes Leben in Arkadien erin¬ nert, wo der bunte Blüthenſtaub ihrer Ideen und Träume, ungleich dem ſchweren todten Goldſtaub des bloßen Reichthums, leicht im heitern Leben flatternd, unbemerkt belebend, endlich feſte Wälder und Gärten auf der Erde ausbreitete — alles in ihm liebte ſie und rief: nur ſie könnte deine letzte wie deine erſte Lie¬ be ſeyn — und ſein ganzes Herz, durch Wun¬ den offen, war der ſtillen Seele aufgethan. Aber ein ernſter, harter Geiſt ſchloß es wieder zu: „Unglücklicher, liebe keine mehr, denn ein dunkler Würgengel geht hinter Deiner Liebe mit dem Schwerdt, und welche Roſenlippe Du

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/504>, abgerufen am 15.05.2024.