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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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dessen hundert ewigen Lampen -- welch eine
Stille! -- Über sich das Himmelsgewölbe der
Kuppel, auf vier innern Thürmen ruhend, um
sich eine überwölbte Stadt, von vier Straßen,
worin Kirchen standen. -- Am größesten wurde
der Tempel durch Gehen; und wenn sie um
eine Säule traten, so lag ein neuer vor ihnen
und heilige Riesen schaueten ernst herab. -- Hier
wurde dem Jüngling nach langer Zeit das
große Herz gefüllt: "in keiner Kunst (sagt'
er zu seinem Vater,) wird die Seele so gewal¬
tig vom Erhabnen angefasset, als in der Bau¬
kunst; in jeder andern steht der Riese in ihr
und in den Tiefen der Seele, aber hier steht
er außer und dicht vor ihr." -- Dian, dem alle
Bilder deutlicher waren, als abstrakte Ideen,
sagte: "er hat vollkommen Recht." -- Fraisch¬
dörfer versetzte: "das Erhabene stecke auch hier
nur im Kopfe, denn die ganze Kirche stehe doch
in etwas größerem, nehmlich in Rom und un¬
ter dem Himmel, wobei wir ja nichts empfän¬
den." Auch klagt' er, "daß dem Erhabnen der
Platz in seinem Kopfe sehr verengt werde durch
die unzähligen Schnörkel und Monumente, die

deſſen hundert ewigen Lampen — welch eine
Stille! — Über ſich das Himmelsgewölbe der
Kuppel, auf vier innern Thürmen ruhend, um
ſich eine überwölbte Stadt, von vier Straßen,
worin Kirchen ſtanden. — Am größeſten wurde
der Tempel durch Gehen; und wenn ſie um
eine Säule traten, ſo lag ein neuer vor ihnen
und heilige Rieſen ſchaueten ernſt herab. — Hier
wurde dem Jüngling nach langer Zeit das
große Herz gefüllt: „in keiner Kunſt (ſagt'
er zu ſeinem Vater,) wird die Seele ſo gewal¬
tig vom Erhabnen angefaſſet, als in der Bau¬
kunſt; in jeder andern ſteht der Rieſe in ihr
und in den Tiefen der Seele, aber hier ſteht
er außer und dicht vor ihr.“ — Dian, dem alle
Bilder deutlicher waren, als abſtrakte Ideen,
ſagte: „er hat vollkommen Recht.“ — Fraiſch¬
dörfer verſetzte: „das Erhabene ſtecke auch hier
nur im Kopfe, denn die ganze Kirche ſtehe doch
in etwas größerem, nehmlich in Rom und un¬
ter dem Himmel, wobei wir ja nichts empfän¬
den.“ Auch klagt' er, „daß dem Erhabnen der
Platz in ſeinem Kopfe ſehr verengt werde durch
die unzähligen Schnörkel und Monumente, die

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[38/0050] deſſen hundert ewigen Lampen — welch eine Stille! — Über ſich das Himmelsgewölbe der Kuppel, auf vier innern Thürmen ruhend, um ſich eine überwölbte Stadt, von vier Straßen, worin Kirchen ſtanden. — Am größeſten wurde der Tempel durch Gehen; und wenn ſie um eine Säule traten, ſo lag ein neuer vor ihnen und heilige Rieſen ſchaueten ernſt herab. — Hier wurde dem Jüngling nach langer Zeit das große Herz gefüllt: „in keiner Kunſt (ſagt' er zu ſeinem Vater,) wird die Seele ſo gewal¬ tig vom Erhabnen angefaſſet, als in der Bau¬ kunſt; in jeder andern ſteht der Rieſe in ihr und in den Tiefen der Seele, aber hier ſteht er außer und dicht vor ihr.“ — Dian, dem alle Bilder deutlicher waren, als abſtrakte Ideen, ſagte: „er hat vollkommen Recht.“ — Fraiſch¬ dörfer verſetzte: „das Erhabene ſtecke auch hier nur im Kopfe, denn die ganze Kirche ſtehe doch in etwas größerem, nehmlich in Rom und un¬ ter dem Himmel, wobei wir ja nichts empfän¬ den.“ Auch klagt' er, „daß dem Erhabnen der Platz in ſeinem Kopfe ſehr verengt werde durch die unzähligen Schnörkel und Monumente, die

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/50>, abgerufen am 28.03.2024.