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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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Dummheit, die ihm (wie er sagte) noch viel
verhaßter sey als das gerade Laster." --

"Ich weiß nicht (sagte Linda.) Ich ge¬
höre allein dem Todten an, der zweimal für
mich gestorben ist. Sagt das meinem Vater.
O ich wär' ihm längst nachgefolgt, dem Unge¬
heuren, ins tiefe Reich; ich stände nicht hier
vor dem kalten bösen Tadel oder der christli¬
chen Verwunderung, da es noch Dolche gegen
das Leben giebt! -- Aber ich bin Mutter
und darum leb' ich!" --

"Noch diesen Abend seh ich Sie wieder"
sagte Gaspard gefasset und eilte hinweg. "Ich
glaube, liebe Julienne, (sagte Linda,) jetzt ver¬
stehen wir uns nicht mehr so recht, wenigstens
nicht bis zum höchsten Punkte, so wie wir frü¬
her über Ihre belle-soeur differirten, und Sie an
Ihr die Koketterie, ich aber gerade die Prüderie
groß und unsittlich fand."-- "Das ist wohl wahr,
(sagte Julienne kalt,) Sie sind so wahrhaftig poe¬
tisch, ich bin so prosaisch und altfromm. Ein Un¬
geheuer darum zu lieben, weil es mich so grau¬
sam betrügt wie seine Regimentskasse oder weil
es sich genialisch so viele Freiheit lässet als sei¬

Dummheit, die ihm (wie er ſagte) noch viel
verhaßter ſey als das gerade Laſter.“ —

„Ich weiß nicht (ſagte Linda.) Ich ge¬
höre allein dem Todten an, der zweimal für
mich geſtorben iſt. Sagt das meinem Vater.
O ich wär' ihm längſt nachgefolgt, dem Unge¬
heuren, ins tiefe Reich; ich ſtände nicht hier
vor dem kalten böſen Tadel oder der chriſtli¬
chen Verwunderung, da es noch Dolche gegen
das Leben giebt! — Aber ich bin Mutter
und darum leb' ich!“ —

„Noch dieſen Abend ſeh ich Sie wieder“
ſagte Gaſpard gefaſſet und eilte hinweg. „Ich
glaube, liebe Julienne, (ſagte Linda,) jetzt ver¬
ſtehen wir uns nicht mehr ſo recht, wenigſtens
nicht bis zum höchſten Punkte, ſo wie wir frü¬
her über Ihre belle-soeur differirten, und Sie an
Ihr die Koketterie, ich aber gerade die Prüderie
groß und unſittlich fand.“— „Das iſt wohl wahr,
(ſagte Julienne kalt,) Sie ſind ſo wahrhaftig poe¬
tiſch, ich bin ſo proſaiſch und altfromm. Ein Un¬
geheuer darum zu lieben, weil es mich ſo grau¬
ſam betrügt wie ſeine Regimentskaſſe oder weil
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[446/0458] Dummheit, die ihm (wie er ſagte) noch viel verhaßter ſey als das gerade Laſter.“ — „Ich weiß nicht (ſagte Linda.) Ich ge¬ höre allein dem Todten an, der zweimal für mich geſtorben iſt. Sagt das meinem Vater. O ich wär' ihm längſt nachgefolgt, dem Unge¬ heuren, ins tiefe Reich; ich ſtände nicht hier vor dem kalten böſen Tadel oder der chriſtli¬ chen Verwunderung, da es noch Dolche gegen das Leben giebt! — Aber ich bin Mutter und darum leb' ich!“ — „Noch dieſen Abend ſeh ich Sie wieder“ ſagte Gaſpard gefaſſet und eilte hinweg. „Ich glaube, liebe Julienne, (ſagte Linda,) jetzt ver¬ ſtehen wir uns nicht mehr ſo recht, wenigſtens nicht bis zum höchſten Punkte, ſo wie wir frü¬ her über Ihre belle-soeur differirten, und Sie an Ihr die Koketterie, ich aber gerade die Prüderie groß und unſittlich fand.“— „Das iſt wohl wahr, (ſagte Julienne kalt,) Sie ſind ſo wahrhaftig poe¬ tiſch, ich bin ſo proſaiſch und altfromm. Ein Un¬ geheuer darum zu lieben, weil es mich ſo grau¬ ſam betrügt wie ſeine Regimentskaſſe oder weil es ſich genialiſch ſo viele Freiheit läſſet als ſei¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/458>, abgerufen am 22.11.2024.