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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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die vergangne Lage, worin ers begieng, indeß
er es in einer frischen wieder neu und süß fin¬
det und fortliebt. -- Was dort kalt liegt,
das ist mein Bild (indem er auf die Sphinx
zeigte), das bewegt sich lebendig in meiner
blutigen Brust -- hilf mir, ziehe das reissende
Unthier heraus!" --

Albano ergrimmte im Innersten über die
frevelnde Wiederholung jener bekennenden zärt¬
lichen Nacht mit ihm*). "Er ist frech genug
(sagte leise Gaspard zu Albano), weil er, wie
ich höre, wirklich sich selber spielen soll; aber
da er sich so sieht, ist er doch besser als er sich
sieht." -- "O (sagte Albano), so dacht' ich
sonst! Aber ist denn das Schauen auf den
schlechten Zustand ein guter? Ist er nicht de¬
sto schlechter, daß er dieses Bewußtseyn erträgt
und wird desto schwächer, daß er einen unheil¬
baren Krebsschaden an sich wachsen sieht? Das
Höchste hat er ohnehin verlohren, die Un¬
schuld." -- "Eine flüchtige Wiegen-Tugend!
-- Ein helles, keckes Reflektiren hat er doch"

*) Titan II. Seite 30 etc.

die vergangne Lage, worin ers begieng, indeß
er es in einer friſchen wieder neu und ſüß fin¬
det und fortliebt. — Was dort kalt liegt,
das iſt mein Bild (indem er auf die Sphinx
zeigte), das bewegt ſich lebendig in meiner
blutigen Bruſt — hilf mir, ziehe das reiſſende
Unthier heraus!“ —

Albano ergrimmte im Innerſten über die
frevelnde Wiederholung jener bekennenden zärt¬
lichen Nacht mit ihm*). „Er iſt frech genug
(ſagte leiſe Gaſpard zu Albano), weil er, wie
ich höre, wirklich ſich ſelber ſpielen ſoll; aber
da er ſich ſo ſieht, iſt er doch beſſer als er ſich
ſieht.“ — „O (ſagte Albano), ſo dacht' ich
ſonſt! Aber iſt denn das Schauen auf den
ſchlechten Zuſtand ein guter? Iſt er nicht de¬
ſto ſchlechter, daß er dieſes Bewußtſeyn erträgt
und wird deſto ſchwächer, daß er einen unheil¬
baren Krebsſchaden an ſich wachſen ſieht? Das
Höchſte hat er ohnehin verlohren, die Un¬
ſchuld.“ — „Eine flüchtige Wiegen-Tugend!
— Ein helles, keckes Reflektiren hat er doch“

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[397/0409] die vergangne Lage, worin ers begieng, indeß er es in einer friſchen wieder neu und ſüß fin¬ det und fortliebt. — Was dort kalt liegt, das iſt mein Bild (indem er auf die Sphinx zeigte), das bewegt ſich lebendig in meiner blutigen Bruſt — hilf mir, ziehe das reiſſende Unthier heraus!“ — Albano ergrimmte im Innerſten über die frevelnde Wiederholung jener bekennenden zärt¬ lichen Nacht mit ihm *). „Er iſt frech genug (ſagte leiſe Gaſpard zu Albano), weil er, wie ich höre, wirklich ſich ſelber ſpielen ſoll; aber da er ſich ſo ſieht, iſt er doch beſſer als er ſich ſieht.“ — „O (ſagte Albano), ſo dacht' ich ſonſt! Aber iſt denn das Schauen auf den ſchlechten Zuſtand ein guter? Iſt er nicht de¬ ſto ſchlechter, daß er dieſes Bewußtſeyn erträgt und wird deſto ſchwächer, daß er einen unheil¬ baren Krebsſchaden an ſich wachſen ſieht? Das Höchſte hat er ohnehin verlohren, die Un¬ ſchuld.“ — „Eine flüchtige Wiegen-Tugend! — Ein helles, keckes Reflektiren hat er doch“ *) Titan II. Seite 30 ꝛc.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/409>, abgerufen am 22.11.2024.