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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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klammerte sie heftig -- und wurde immer ähn¬
licher dem Gletscher, der durch Wärme weiter
rückt und schmelzend verheert. Um ihn zogen
die Freuden mit glänzenden, mit himmlischen
Gesichtern, zeigten ihm aber in den Händen
Furienmasken.

"Du willst sterben aus Liebe; ich bin schon
gestorben aus Liebe -- O Du weißt nicht, wie
lange ich Dich schon liebte!" antwortete er.

"Glühender (sagte sie) denk an diese Nacht,
wenn Du einst Idoinen siehst!" -- "So seh'
ich nur meine aufgestandne Schwester" sagt'
er, aber sogleich über die entfahrne Wahrheit
erschreckend. "Man steht (setzt' er eilig dazu)
das auferstandne Herkulanum, aber man wohnt
im blühenden Portici darüber; ich und Du sa¬
hen im Baja-Golf unter dem Meer die ver¬
sunknen Bogen und Thore und wir schifften
nach lebendigen Städten weiter. -- Ist mir
doch auch Roquairol in so manchem so ähnlich
und liebt Dich so sehr und so lange und starb
auch einmal wie Liane?" --

"Aber diesen hatt' ich nie geliebt und nun
bin ich Deine ewige Braut."

klammerte ſie heftig — und wurde immer ähn¬
licher dem Gletſcher, der durch Wärme weiter
rückt und ſchmelzend verheert. Um ihn zogen
die Freuden mit glänzenden, mit himmliſchen
Geſichtern, zeigten ihm aber in den Händen
Furienmasken.

„Du willſt ſterben aus Liebe; ich bin ſchon
geſtorben aus Liebe — O Du weißt nicht, wie
lange ich Dich ſchon liebte!” antwortete er.

„Glühender (ſagte ſie) denk an dieſe Nacht,
wenn Du einſt Idoinen ſiehſt!“ — „So ſeh'
ich nur meine aufgeſtandne Schweſter“ ſagt'
er, aber ſogleich über die entfahrne Wahrheit
erſchreckend. „Man ſteht (ſetzt' er eilig dazu)
das auferſtandne Herkulanum, aber man wohnt
im blühenden Portici darüber; ich und Du ſa¬
hen im Baja-Golf unter dem Meer die ver¬
ſunknen Bogen und Thore und wir ſchifften
nach lebendigen Städten weiter. — Iſt mir
doch auch Roquairol in ſo manchem ſo ähnlich
und liebt Dich ſo ſehr und ſo lange und ſtarb
auch einmal wie Liane?“ —

„Aber dieſen hatt' ich nie geliebt und nun
bin ich Deine ewige Braut.“

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[375/0387] klammerte ſie heftig — und wurde immer ähn¬ licher dem Gletſcher, der durch Wärme weiter rückt und ſchmelzend verheert. Um ihn zogen die Freuden mit glänzenden, mit himmliſchen Geſichtern, zeigten ihm aber in den Händen Furienmasken. „Du willſt ſterben aus Liebe; ich bin ſchon geſtorben aus Liebe — O Du weißt nicht, wie lange ich Dich ſchon liebte!” antwortete er. „Glühender (ſagte ſie) denk an dieſe Nacht, wenn Du einſt Idoinen ſiehſt!“ — „So ſeh' ich nur meine aufgeſtandne Schweſter“ ſagt' er, aber ſogleich über die entfahrne Wahrheit erſchreckend. „Man ſteht (ſetzt' er eilig dazu) das auferſtandne Herkulanum, aber man wohnt im blühenden Portici darüber; ich und Du ſa¬ hen im Baja-Golf unter dem Meer die ver¬ ſunknen Bogen und Thore und wir ſchifften nach lebendigen Städten weiter. — Iſt mir doch auch Roquairol in ſo manchem ſo ähnlich und liebt Dich ſo ſehr und ſo lange und ſtarb auch einmal wie Liane?“ — „Aber dieſen hatt' ich nie geliebt und nun bin ich Deine ewige Braut.“

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/387>, abgerufen am 18.05.2024.