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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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vor süßer Liebe und dachte nicht daran, zu --
vergeben. Dieses Wehen der Liebe, das alle
Blumen beugt und keine pflückt, hatte sie schon
so lange gewünscht; und jetzt auf einmal nach
der nebligen Windstille des Herzens, gieng es
lebendig und frisch durch den Garten ihres Le¬
bens. Sie konnte schwer acht Uhr erwarten.
Sie half sich über die Zeit hinweg durch Wäh¬
len des Putzes, der zuletzt ganz in dem Schleier,
Hute, Kleide und allem bestand, was sie ge¬
tragen, als sie ihren Geliebten zum erstenmal
auf lschia gefunden.

Sie steckte die Paradieses- oder Orangen¬
blüthen, die Zeiger jener Zeit und Welt, an
ihr klopfendes Herz und gieng zur bestimmten
Stunde, mit dem blinden Mädchen am Arme,
in den Garten hinunter. Sowohl aus Haß
gegen den Tartarus als aus Willigkeit gegen
den Brief nahm sie den Weg ins Flötenthal.
Die Nacht war finster für ihr Auge und das
blinde Mädchen wurde ihre Führerin.

Oben auf dem Lilarsberg mit dem Altare
stand wie der böse Geist auf der Zinne des Pa¬
radieses, Roquairol und blickte scharf in den

vor ſüßer Liebe und dachte nicht daran, zu —
vergeben. Dieſes Wehen der Liebe, das alle
Blumen beugt und keine pflückt, hatte ſie ſchon
ſo lange gewünſcht; und jetzt auf einmal nach
der nebligen Windſtille des Herzens, gieng es
lebendig und friſch durch den Garten ihres Le¬
bens. Sie konnte ſchwer acht Uhr erwarten.
Sie half ſich über die Zeit hinweg durch Wäh¬
len des Putzes, der zuletzt ganz in dem Schleier,
Hute, Kleide und allem beſtand, was ſie ge¬
tragen, als ſie ihren Geliebten zum erſtenmal
auf lschia gefunden.

Sie ſteckte die Paradieſes- oder Orangen¬
blüthen, die Zeiger jener Zeit und Welt, an
ihr klopfendes Herz und gieng zur beſtimmten
Stunde, mit dem blinden Mädchen am Arme,
in den Garten hinunter. Sowohl aus Haß
gegen den Tartarus als aus Willigkeit gegen
den Brief nahm ſie den Weg ins Flötenthal.
Die Nacht war finſter für ihr Auge und das
blinde Mädchen wurde ihre Führerin.

Oben auf dem Lilarsberg mit dem Altare
ſtand wie der böſe Geiſt auf der Zinne des Pa¬
radieſes, Roquairol und blickte ſcharf in den

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[370/0382] vor ſüßer Liebe und dachte nicht daran, zu — vergeben. Dieſes Wehen der Liebe, das alle Blumen beugt und keine pflückt, hatte ſie ſchon ſo lange gewünſcht; und jetzt auf einmal nach der nebligen Windſtille des Herzens, gieng es lebendig und friſch durch den Garten ihres Le¬ bens. Sie konnte ſchwer acht Uhr erwarten. Sie half ſich über die Zeit hinweg durch Wäh¬ len des Putzes, der zuletzt ganz in dem Schleier, Hute, Kleide und allem beſtand, was ſie ge¬ tragen, als ſie ihren Geliebten zum erſtenmal auf lschia gefunden. Sie ſteckte die Paradieſes- oder Orangen¬ blüthen, die Zeiger jener Zeit und Welt, an ihr klopfendes Herz und gieng zur beſtimmten Stunde, mit dem blinden Mädchen am Arme, in den Garten hinunter. Sowohl aus Haß gegen den Tartarus als aus Willigkeit gegen den Brief nahm ſie den Weg ins Flötenthal. Die Nacht war finſter für ihr Auge und das blinde Mädchen wurde ihre Führerin. Oben auf dem Lilarsberg mit dem Altare ſtand wie der böſe Geiſt auf der Zinne des Pa¬ radieſes, Roquairol und blickte ſcharf in den

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/382>, abgerufen am 17.05.2024.