zusprechen. Albano war rein, wahr, menschlich, offen und herzlich gegen alle; Eitelkeit war nicht in seinem selbstvergessenen Stolz.
Rabette fand endlich ein Hebezeug, den glänzenden und doch trauten Bruder aus dem Gastzimmer in ihres oder sein voriges aufzu¬ winden, um allein zu seyn an seiner Brust. Als sie hineintraten: so fieng sie sogleich mit den Worten: "kennst Du die Stube noch, Al¬ bano?" unendlich zu weinen an mit den so lange gesammelten Thränen; und Alba¬ no zeigt' ihr in den seinigen sein langes bis¬ heriges Mitleiden, riß aber dadurch die ganze wundenvolle Vergangenheit auf. Sie griff sel¬ ber zum Heilmittel, zum Erzählen -- so sehr er auch vorschützte, er wisse und errathe ja al¬ les --; und berichtete die Augen trocknend, wie alles stehe -- und "daß Karl viel bei seiner Mutter in Arkadien sey -- daß der Minister noch gegen das einzige Kind den alten Wüthrich mache und ihm nicht einen Heller mehr als sonst zuschieße, ob er gleich immer große und größere Schulden häufe, zumal seitdem keine Liane sie mehr im Stillen tilge -- daß er über¬
zuſprechen. Albano war rein, wahr, menſchlich, offen und herzlich gegen alle; Eitelkeit war nicht in ſeinem ſelbſtvergeſſenen Stolz.
Rabette fand endlich ein Hebezeug, den glänzenden und doch trauten Bruder aus dem Gaſtzimmer in ihres oder ſein voriges aufzu¬ winden, um allein zu ſeyn an ſeiner Bruſt. Als ſie hineintraten: ſo fieng ſie ſogleich mit den Worten: „kennſt Du die Stube noch, Al¬ bano?“ unendlich zu weinen an mit den ſo lange geſammelten Thränen; und Alba¬ no zeigt' ihr in den ſeinigen ſein langes bis¬ heriges Mitleiden, riß aber dadurch die ganze wundenvolle Vergangenheit auf. Sie griff ſel¬ ber zum Heilmittel, zum Erzählen — ſo ſehr er auch vorſchützte, er wiſſe und errathe ja al¬ les —; und berichtete die Augen trocknend, wie alles ſtehe — und „daß Karl viel bei ſeiner Mutter in Arkadien ſey — daß der Miniſter noch gegen das einzige Kind den alten Wüthrich mache und ihm nicht einen Heller mehr als ſonſt zuſchieße, ob er gleich immer große und größere Schulden häufe, zumal ſeitdem keine Liane ſie mehr im Stillen tilge — daß er über¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0281"n="269"/>
zuſprechen. Albano war rein, wahr, menſchlich,<lb/>
offen und herzlich gegen alle; Eitelkeit war<lb/>
nicht in ſeinem ſelbſtvergeſſenen Stolz.</p><lb/><p>Rabette fand endlich ein Hebezeug, den<lb/>
glänzenden und doch trauten Bruder aus dem<lb/>
Gaſtzimmer in ihres oder ſein voriges aufzu¬<lb/>
winden, um allein zu ſeyn an ſeiner Bruſt.<lb/>
Als ſie hineintraten: ſo fieng ſie ſogleich mit<lb/>
den Worten: „kennſt Du die Stube noch, Al¬<lb/>
bano?“ unendlich zu weinen an mit den<lb/>ſo lange geſammelten Thränen; und Alba¬<lb/>
no zeigt' ihr in den ſeinigen ſein langes bis¬<lb/>
heriges Mitleiden, riß aber dadurch die ganze<lb/>
wundenvolle Vergangenheit auf. Sie griff ſel¬<lb/>
ber zum Heilmittel, zum Erzählen —ſo ſehr<lb/>
er auch vorſchützte, er wiſſe und errathe ja al¬<lb/>
les —; und berichtete die Augen trocknend, wie<lb/>
alles ſtehe — und „daß Karl viel bei ſeiner<lb/>
Mutter in Arkadien ſey — daß der Miniſter noch<lb/>
gegen das einzige Kind den alten Wüthrich<lb/>
mache und ihm nicht einen Heller mehr als<lb/>ſonſt zuſchieße, ob er gleich immer große und<lb/>
größere Schulden häufe, zumal ſeitdem keine<lb/>
Liane ſie mehr im Stillen tilge — daß er über¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[269/0281]
zuſprechen. Albano war rein, wahr, menſchlich,
offen und herzlich gegen alle; Eitelkeit war
nicht in ſeinem ſelbſtvergeſſenen Stolz.
Rabette fand endlich ein Hebezeug, den
glänzenden und doch trauten Bruder aus dem
Gaſtzimmer in ihres oder ſein voriges aufzu¬
winden, um allein zu ſeyn an ſeiner Bruſt.
Als ſie hineintraten: ſo fieng ſie ſogleich mit
den Worten: „kennſt Du die Stube noch, Al¬
bano?“ unendlich zu weinen an mit den
ſo lange geſammelten Thränen; und Alba¬
no zeigt' ihr in den ſeinigen ſein langes bis¬
heriges Mitleiden, riß aber dadurch die ganze
wundenvolle Vergangenheit auf. Sie griff ſel¬
ber zum Heilmittel, zum Erzählen — ſo ſehr
er auch vorſchützte, er wiſſe und errathe ja al¬
les —; und berichtete die Augen trocknend, wie
alles ſtehe — und „daß Karl viel bei ſeiner
Mutter in Arkadien ſey — daß der Miniſter noch
gegen das einzige Kind den alten Wüthrich
mache und ihm nicht einen Heller mehr als
ſonſt zuſchieße, ob er gleich immer große und
größere Schulden häufe, zumal ſeitdem keine
Liane ſie mehr im Stillen tilge — daß er über¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/281>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.