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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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schlungen ward. Indem er in die schimmern¬
den fliegenden Wirbel sah: schwebten die Zitro¬
nen, welche die Leiche sowohl als die Braut
bekommt, vor dem bewegten Geist. Die Rüh¬
rung ist voll Gleichnisse; Liane sollte einst, dacht'
er, in das Zitronenland und in die niedrigen
Wälder, wo der Schnee der Blüthen und das
Gold der Früchte zwischen Grün und Blau zu¬
sammenspielen, ziehen, und erquickt genesen;
nun hält sie die Zitrone in der erkalteten Hand,
und sie wurde nicht erquickt.

Er blickte umher und glaubte in einer frem¬
den Welt zu stehen; im Himmelsblau rauschte
wie ein Geist ein unsichtbarer Sturm ohne
Wolken -- lange Hügel-Reihen funkelten be¬
wegt mit rothen Früchten und rothen Blättern,
aus den bunten Bäumen wurden glühende
Äpfel geworfen und der Sturm flog von Gi¬
pfel zu Gipfel und herunter auf die Erde und
rauschte durch den langen aufgewühlten Strom
hinab. Wie wenn Geister um die Erde spiel¬
ten oder auf ihr erscheinen wollten, so seltsam
schien die helle Gegend bewegt und beleuchtet.
Da war Albano unbewußt in eine dunkle Baum¬

ſchlungen ward. Indem er in die ſchimmern¬
den fliegenden Wirbel ſah: ſchwebten die Zitro¬
nen, welche die Leiche ſowohl als die Braut
bekommt, vor dem bewegten Geiſt. Die Rüh¬
rung iſt voll Gleichniſſe; Liane ſollte einſt, dacht'
er, in das Zitronenland und in die niedrigen
Wälder, wo der Schnee der Blüthen und das
Gold der Früchte zwiſchen Grün und Blau zu¬
ſammenſpielen, ziehen, und erquickt geneſen;
nun hält ſie die Zitrone in der erkalteten Hand,
und ſie wurde nicht erquickt.

Er blickte umher und glaubte in einer frem¬
den Welt zu ſtehen; im Himmelsblau rauſchte
wie ein Geiſt ein unſichtbarer Sturm ohne
Wolken — lange Hügel-Reihen funkelten be¬
wegt mit rothen Früchten und rothen Blättern,
aus den bunten Bäumen wurden glühende
Äpfel geworfen und der Sturm flog von Gi¬
pfel zu Gipfel und herunter auf die Erde und
rauſchte durch den langen aufgewühlten Strom
hinab. Wie wenn Geiſter um die Erde ſpiel¬
ten oder auf ihr erſcheinen wollten, ſo ſeltſam
ſchien die helle Gegend bewegt und beleuchtet.
Da war Albano unbewußt in eine dunkle Baum¬

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[9/0021] ſchlungen ward. Indem er in die ſchimmern¬ den fliegenden Wirbel ſah: ſchwebten die Zitro¬ nen, welche die Leiche ſowohl als die Braut bekommt, vor dem bewegten Geiſt. Die Rüh¬ rung iſt voll Gleichniſſe; Liane ſollte einſt, dacht' er, in das Zitronenland und in die niedrigen Wälder, wo der Schnee der Blüthen und das Gold der Früchte zwiſchen Grün und Blau zu¬ ſammenſpielen, ziehen, und erquickt geneſen; nun hält ſie die Zitrone in der erkalteten Hand, und ſie wurde nicht erquickt. Er blickte umher und glaubte in einer frem¬ den Welt zu ſtehen; im Himmelsblau rauſchte wie ein Geiſt ein unſichtbarer Sturm ohne Wolken — lange Hügel-Reihen funkelten be¬ wegt mit rothen Früchten und rothen Blättern, aus den bunten Bäumen wurden glühende Äpfel geworfen und der Sturm flog von Gi¬ pfel zu Gipfel und herunter auf die Erde und rauſchte durch den langen aufgewühlten Strom hinab. Wie wenn Geiſter um die Erde ſpiel¬ ten oder auf ihr erſcheinen wollten, ſo ſeltſam ſchien die helle Gegend bewegt und beleuchtet. Da war Albano unbewußt in eine dunkle Baum¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/21>, abgerufen am 29.03.2024.