schlungen ward. Indem er in die schimmern¬ den fliegenden Wirbel sah: schwebten die Zitro¬ nen, welche die Leiche sowohl als die Braut bekommt, vor dem bewegten Geist. Die Rüh¬ rung ist voll Gleichnisse; Liane sollte einst, dacht' er, in das Zitronenland und in die niedrigen Wälder, wo der Schnee der Blüthen und das Gold der Früchte zwischen Grün und Blau zu¬ sammenspielen, ziehen, und erquickt genesen; nun hält sie die Zitrone in der erkalteten Hand, und sie wurde nicht erquickt.
Er blickte umher und glaubte in einer frem¬ den Welt zu stehen; im Himmelsblau rauschte wie ein Geist ein unsichtbarer Sturm ohne Wolken -- lange Hügel-Reihen funkelten be¬ wegt mit rothen Früchten und rothen Blättern, aus den bunten Bäumen wurden glühende Äpfel geworfen und der Sturm flog von Gi¬ pfel zu Gipfel und herunter auf die Erde und rauschte durch den langen aufgewühlten Strom hinab. Wie wenn Geister um die Erde spiel¬ ten oder auf ihr erscheinen wollten, so seltsam schien die helle Gegend bewegt und beleuchtet. Da war Albano unbewußt in eine dunkle Baum¬
ſchlungen ward. Indem er in die ſchimmern¬ den fliegenden Wirbel ſah: ſchwebten die Zitro¬ nen, welche die Leiche ſowohl als die Braut bekommt, vor dem bewegten Geiſt. Die Rüh¬ rung iſt voll Gleichniſſe; Liane ſollte einſt, dacht' er, in das Zitronenland und in die niedrigen Wälder, wo der Schnee der Blüthen und das Gold der Früchte zwiſchen Grün und Blau zu¬ ſammenſpielen, ziehen, und erquickt geneſen; nun hält ſie die Zitrone in der erkalteten Hand, und ſie wurde nicht erquickt.
Er blickte umher und glaubte in einer frem¬ den Welt zu ſtehen; im Himmelsblau rauſchte wie ein Geiſt ein unſichtbarer Sturm ohne Wolken — lange Hügel-Reihen funkelten be¬ wegt mit rothen Früchten und rothen Blättern, aus den bunten Bäumen wurden glühende Äpfel geworfen und der Sturm flog von Gi¬ pfel zu Gipfel und herunter auf die Erde und rauſchte durch den langen aufgewühlten Strom hinab. Wie wenn Geiſter um die Erde ſpiel¬ ten oder auf ihr erſcheinen wollten, ſo ſeltſam ſchien die helle Gegend bewegt und beleuchtet. Da war Albano unbewußt in eine dunkle Baum¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0021"n="9"/>ſchlungen ward. Indem er in die ſchimmern¬<lb/>
den fliegenden Wirbel ſah: ſchwebten die Zitro¬<lb/>
nen, welche die Leiche ſowohl als die Braut<lb/>
bekommt, vor dem bewegten Geiſt. Die Rüh¬<lb/>
rung iſt voll Gleichniſſe; Liane ſollte einſt, dacht'<lb/>
er, in das Zitronenland und in die niedrigen<lb/>
Wälder, wo der Schnee der Blüthen und das<lb/>
Gold der Früchte zwiſchen Grün und Blau zu¬<lb/>ſammenſpielen, ziehen, und erquickt geneſen;<lb/>
nun hält ſie die Zitrone in der erkalteten Hand,<lb/>
und ſie wurde nicht erquickt.</p><lb/><p>Er blickte umher und glaubte in einer frem¬<lb/>
den Welt zu ſtehen; im Himmelsblau rauſchte<lb/>
wie ein Geiſt ein unſichtbarer Sturm ohne<lb/>
Wolken — lange Hügel-Reihen funkelten be¬<lb/>
wegt mit rothen Früchten und rothen Blättern,<lb/>
aus den bunten Bäumen wurden glühende<lb/>
Äpfel geworfen und der Sturm flog von Gi¬<lb/>
pfel zu Gipfel und herunter auf die Erde und<lb/>
rauſchte durch den langen aufgewühlten Strom<lb/>
hinab. Wie wenn Geiſter um die Erde ſpiel¬<lb/>
ten oder auf ihr erſcheinen wollten, ſo ſeltſam<lb/>ſchien die helle Gegend bewegt und beleuchtet.<lb/>
Da war Albano unbewußt in eine dunkle Baum¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[9/0021]
ſchlungen ward. Indem er in die ſchimmern¬
den fliegenden Wirbel ſah: ſchwebten die Zitro¬
nen, welche die Leiche ſowohl als die Braut
bekommt, vor dem bewegten Geiſt. Die Rüh¬
rung iſt voll Gleichniſſe; Liane ſollte einſt, dacht'
er, in das Zitronenland und in die niedrigen
Wälder, wo der Schnee der Blüthen und das
Gold der Früchte zwiſchen Grün und Blau zu¬
ſammenſpielen, ziehen, und erquickt geneſen;
nun hält ſie die Zitrone in der erkalteten Hand,
und ſie wurde nicht erquickt.
Er blickte umher und glaubte in einer frem¬
den Welt zu ſtehen; im Himmelsblau rauſchte
wie ein Geiſt ein unſichtbarer Sturm ohne
Wolken — lange Hügel-Reihen funkelten be¬
wegt mit rothen Früchten und rothen Blättern,
aus den bunten Bäumen wurden glühende
Äpfel geworfen und der Sturm flog von Gi¬
pfel zu Gipfel und herunter auf die Erde und
rauſchte durch den langen aufgewühlten Strom
hinab. Wie wenn Geiſter um die Erde ſpiel¬
ten oder auf ihr erſcheinen wollten, ſo ſeltſam
ſchien die helle Gegend bewegt und beleuchtet.
Da war Albano unbewußt in eine dunkle Baum¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/21>, abgerufen am 29.03.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.