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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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kleine Ziele, die man täglich erreicht, sich über
das Hohe tröstet, das wie ein Gottes-Thron
in der Höhe liegt.

Da kam ich gerade in dieser stillen Wo¬
che
des Lebens an den Eissee in Montanvert.
An pittoresken Bergen, Ebenen, Klüften hatt'
ich mich in Spanien satt gesehen, und an Eis¬
bergen in der Schweiz. Aber ein Eismeer in
dieser Höhe, ein einsames uraltes blaugrünes
Meer von rothen Felsen umstanden, eine breite
Wüste voll reger aufstehender Wellen im Sturm,
die ein plötzlicher Tod, ein Medusenhaupt so
mitten im Leben starr und fest gemacht! Es
schlug ein Gewitter, mir sonst furchtbar, da¬
mals mit Flammen den Berg herauf, ich merkt'
es kaum, meine Seele hieng sinnend an der
Stille eines versteinerten Sturms, an der Ruhe
des -- Eises! Ich erschrack, weinte ungewöhn¬
lich den Berg herab und in derselben Woche
legt' ich das ökonomische Spielwerk bei Seite
und reisete fort.

Ich machte aber keine Wettergebete, sondern
wohnte drunten ohne Klage in der Regenschlucht
eines dunkeln kalten Daseyns. Da brachte mich

Titan IV. N

kleine Ziele, die man täglich erreicht, ſich über
das Hohe tröſtet, das wie ein Gottes-Thron
in der Höhe liegt.

Da kam ich gerade in dieſer ſtillen Wo¬
che
des Lebens an den Eisſee in Montanvert.
An pittoresken Bergen, Ebenen, Klüften hatt'
ich mich in Spanien ſatt geſehen, und an Eis¬
bergen in der Schweiz. Aber ein Eismeer in
dieſer Höhe, ein einſames uraltes blaugrünes
Meer von rothen Felſen umſtanden, eine breite
Wüſte voll reger aufſtehender Wellen im Sturm,
die ein plötzlicher Tod, ein Meduſenhaupt ſo
mitten im Leben ſtarr und feſt gemacht! Es
ſchlug ein Gewitter, mir ſonſt furchtbar, da¬
mals mit Flammen den Berg herauf, ich merkt'
es kaum, meine Seele hieng ſinnend an der
Stille eines verſteinerten Sturms, an der Ruhe
des — Eiſes! Ich erſchrack, weinte ungewöhn¬
lich den Berg herab und in derſelben Woche
legt' ich das ökonomiſche Spielwerk bei Seite
und reiſete fort.

Ich machte aber keine Wettergebete, ſondern
wohnte drunten ohne Klage in der Regenſchlucht
eines dunkeln kalten Daſeyns. Da brachte mich

Titan IV. N
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[193/0205] kleine Ziele, die man täglich erreicht, ſich über das Hohe tröſtet, das wie ein Gottes-Thron in der Höhe liegt. Da kam ich gerade in dieſer ſtillen Wo¬ che des Lebens an den Eisſee in Montanvert. An pittoresken Bergen, Ebenen, Klüften hatt' ich mich in Spanien ſatt geſehen, und an Eis¬ bergen in der Schweiz. Aber ein Eismeer in dieſer Höhe, ein einſames uraltes blaugrünes Meer von rothen Felſen umſtanden, eine breite Wüſte voll reger aufſtehender Wellen im Sturm, die ein plötzlicher Tod, ein Meduſenhaupt ſo mitten im Leben ſtarr und feſt gemacht! Es ſchlug ein Gewitter, mir ſonſt furchtbar, da¬ mals mit Flammen den Berg herauf, ich merkt' es kaum, meine Seele hieng ſinnend an der Stille eines verſteinerten Sturms, an der Ruhe des — Eiſes! Ich erſchrack, weinte ungewöhn¬ lich den Berg herab und in derſelben Woche legt' ich das ökonomiſche Spielwerk bei Seite und reiſete fort. Ich machte aber keine Wettergebete, ſondern wohnte drunten ohne Klage in der Regenſchlucht eines dunkeln kalten Daſeyns. Da brachte mich Titan IV. N

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/205>, abgerufen am 02.05.2024.