Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

ster umarmest: so bin ich eifersüchtig und möchte
Deine Schwester seyn, und Dein Freund Schop¬
pe und Dein Vater und alles was Du liebst,
und Dein Ich, wenn Du es liebtest und Dein
ganzer Himmel und Dein ganzes Du im Ich,
Dein Ich im Du.

Ich will Euch einiges von meiner Geschichte
erzählen. Still gieng ich lange über die Erde
-- ich sah die Höfe, die Nazionen und Länder
und fand, daß die meisten Menschen nur
Leute sind. Was gieng es mich an? Man
sage gar von nichts, das ist bös, sondern nur,
das ist dumm -- und denke nicht mehr daran.
Was ich nicht liebe, existirt für mich auch nicht und
anstatt lange zu hassen oder zu verachten, hab'
ichs vergessen. Ich wurde für stolz und phan¬
tastisch gescholten und konnt' es niemand recht
machen. Aber ich bewahrte und nährte mein
Inneres, denn kein Ideal darf aufgegeben wer¬
den, sonst erlischt das heilige Feuer des Lebens
und Gott stirbt ohne Auferstehung. -- Ich sah
die Männer und fand immer bloß den Unter¬
schied unter ihnen, daß die einen fein, verstän¬
dig und zart waren ohne Enthusiasmus und

ſter umarmeſt: ſo bin ich eiferſüchtig und möchte
Deine Schweſter ſeyn, und Dein Freund Schop¬
pe und Dein Vater und alles was Du liebſt,
und Dein Ich, wenn Du es liebteſt und Dein
ganzer Himmel und Dein ganzes Du im Ich,
Dein Ich im Du.

Ich will Euch einiges von meiner Geſchichte
erzählen. Still gieng ich lange über die Erde
— ich ſah die Höfe, die Nazionen und Länder
und fand, daß die meiſten Menſchen nur
Leute ſind. Was gieng es mich an? Man
ſage gar von nichts, das iſt bös, ſondern nur,
das iſt dumm — und denke nicht mehr daran.
Was ich nicht liebe, exiſtirt für mich auch nicht und
anſtatt lange zu haſſen oder zu verachten, hab'
ichs vergeſſen. Ich wurde für ſtolz und phan¬
taſtiſch geſcholten und konnt' es niemand recht
machen. Aber ich bewahrte und nährte mein
Inneres, denn kein Ideal darf aufgegeben wer¬
den, ſonſt erliſcht das heilige Feuer des Lebens
und Gott ſtirbt ohne Auferſtehung. — Ich ſah
die Männer und fand immer bloß den Unter¬
ſchied unter ihnen, daß die einen fein, verſtän¬
dig und zart waren ohne Enthuſiasmus und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0203" n="191"/>
&#x017F;ter umarme&#x017F;t: &#x017F;o bin ich eifer&#x017F;üchtig und möchte<lb/>
Deine Schwe&#x017F;ter &#x017F;eyn, und Dein Freund Schop¬<lb/>
pe und Dein Vater und alles was Du lieb&#x017F;t,<lb/>
und Dein Ich, wenn Du es liebte&#x017F;t und Dein<lb/>
ganzer Himmel und Dein ganzes Du im Ich,<lb/>
Dein Ich im Du.</p><lb/>
          <p>Ich will Euch einiges von meiner Ge&#x017F;chichte<lb/>
erzählen. Still gieng ich lange über die Erde<lb/>
&#x2014; ich &#x017F;ah die Höfe, die Nazionen und Länder<lb/>
und fand, daß die mei&#x017F;ten <hi rendition="#g">Men&#x017F;chen</hi> nur<lb/><hi rendition="#g">Leute</hi> &#x017F;ind. Was gieng es mich an? Man<lb/>
&#x017F;age gar von nichts, das i&#x017F;t bös, &#x017F;ondern nur,<lb/>
das i&#x017F;t dumm &#x2014; und denke nicht mehr daran.<lb/>
Was ich nicht liebe, exi&#x017F;tirt für mich auch nicht und<lb/>
an&#x017F;tatt lange zu ha&#x017F;&#x017F;en oder zu verachten, hab'<lb/>
ichs verge&#x017F;&#x017F;en. Ich wurde für &#x017F;tolz und phan¬<lb/>
ta&#x017F;ti&#x017F;ch ge&#x017F;cholten und konnt' es niemand recht<lb/>
machen. Aber ich bewahrte und nährte mein<lb/>
Inneres, denn kein Ideal darf aufgegeben wer¬<lb/>
den, &#x017F;on&#x017F;t erli&#x017F;cht das heilige Feuer des Lebens<lb/>
und Gott &#x017F;tirbt ohne Aufer&#x017F;tehung. &#x2014; Ich &#x017F;ah<lb/>
die Männer und fand immer bloß den Unter¬<lb/>
&#x017F;chied unter ihnen, daß die einen fein, ver&#x017F;tän¬<lb/>
dig und zart waren ohne Enthu&#x017F;iasmus und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[191/0203] ſter umarmeſt: ſo bin ich eiferſüchtig und möchte Deine Schweſter ſeyn, und Dein Freund Schop¬ pe und Dein Vater und alles was Du liebſt, und Dein Ich, wenn Du es liebteſt und Dein ganzer Himmel und Dein ganzes Du im Ich, Dein Ich im Du. Ich will Euch einiges von meiner Geſchichte erzählen. Still gieng ich lange über die Erde — ich ſah die Höfe, die Nazionen und Länder und fand, daß die meiſten Menſchen nur Leute ſind. Was gieng es mich an? Man ſage gar von nichts, das iſt bös, ſondern nur, das iſt dumm — und denke nicht mehr daran. Was ich nicht liebe, exiſtirt für mich auch nicht und anſtatt lange zu haſſen oder zu verachten, hab' ichs vergeſſen. Ich wurde für ſtolz und phan¬ taſtiſch geſcholten und konnt' es niemand recht machen. Aber ich bewahrte und nährte mein Inneres, denn kein Ideal darf aufgegeben wer¬ den, ſonſt erliſcht das heilige Feuer des Lebens und Gott ſtirbt ohne Auferſtehung. — Ich ſah die Männer und fand immer bloß den Unter¬ ſchied unter ihnen, daß die einen fein, verſtän¬ dig und zart waren ohne Enthuſiasmus und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/203
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/203>, abgerufen am 24.11.2024.