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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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Sprachlos wandten sich die Menschen von
dem Westen nach dem Ufer um. Die Schiffer
fiengen wieder an zu sprechen. "Mache, (bat
Linda ihre Freundinn leise,) daß Dein Bruder
sich immer nach Abend wendet." Sie erfüllte
die Bitte, ohne deren Grund sogleich zu erra¬
then. Immer sah Linda in sein schön beglänz¬
tes Angesicht. "Bitt' ihn wieder, (sagte sie
zum zweitenmal,) es dämmert zu sehr und
meine kranken Augen sehen ohne Licht so übel."
Es geschah nicht; denn sie stiegen sogleich ans
Ufer. Die Erde zitterte ihnen, da sie sie betra¬
ten, als ein Sangboden der seeligen Stunde
nach. Albano war in sprachloser Rührung auf
das geliebte Angesicht geheftet, das er bald wie¬
der verlassen sollte: "ich schreibe Ihnen," sagte
sie unaufgefodert mit einem so rührenden Wi¬
derrufe der vorigen Drohung, daß er sich, wär'
er nicht unter fremden Augen gewesen, dank¬
trunken auf ihre Hand, an ihr edles Herz ge¬
stürzet hätte. Das Scheiden und das Ende ei¬
nes harmonischen Tages wurde schwer, worin
der Ton jeder einzelnen Minute wieder ein
Dreiklang gewesen. Jetzt schied Dian schon.

Sprachlos wandten ſich die Menſchen von
dem Weſten nach dem Ufer um. Die Schiffer
fiengen wieder an zu ſprechen. „Mache, (bat
Linda ihre Freundinn leiſe,) daß Dein Bruder
ſich immer nach Abend wendet.“ Sie erfüllte
die Bitte, ohne deren Grund ſogleich zu erra¬
then. Immer ſah Linda in ſein ſchön beglänz¬
tes Angeſicht. „Bitt' ihn wieder, (ſagte ſie
zum zweitenmal,) es dämmert zu ſehr und
meine kranken Augen ſehen ohne Licht ſo übel.“
Es geſchah nicht; denn ſie ſtiegen ſogleich ans
Ufer. Die Erde zitterte ihnen, da ſie ſie betra¬
ten, als ein Sangboden der ſeeligen Stunde
nach. Albano war in ſprachloſer Rührung auf
das geliebte Angeſicht geheftet, das er bald wie¬
der verlaſſen ſollte: „ich ſchreibe Ihnen,“ ſagte
ſie unaufgefodert mit einem ſo rührenden Wi¬
derrufe der vorigen Drohung, daß er ſich, wär'
er nicht unter fremden Augen geweſen, dank¬
trunken auf ihre Hand, an ihr edles Herz ge¬
ſtürzet hätte. Das Scheiden und das Ende ei¬
nes harmoniſchen Tages wurde ſchwer, worin
der Ton jeder einzelnen Minute wieder ein
Dreiklang geweſen. Jetzt ſchied Dian ſchon.

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[169/0181] Sprachlos wandten ſich die Menſchen von dem Weſten nach dem Ufer um. Die Schiffer fiengen wieder an zu ſprechen. „Mache, (bat Linda ihre Freundinn leiſe,) daß Dein Bruder ſich immer nach Abend wendet.“ Sie erfüllte die Bitte, ohne deren Grund ſogleich zu erra¬ then. Immer ſah Linda in ſein ſchön beglänz¬ tes Angeſicht. „Bitt' ihn wieder, (ſagte ſie zum zweitenmal,) es dämmert zu ſehr und meine kranken Augen ſehen ohne Licht ſo übel.“ Es geſchah nicht; denn ſie ſtiegen ſogleich ans Ufer. Die Erde zitterte ihnen, da ſie ſie betra¬ ten, als ein Sangboden der ſeeligen Stunde nach. Albano war in ſprachloſer Rührung auf das geliebte Angeſicht geheftet, das er bald wie¬ der verlaſſen ſollte: „ich ſchreibe Ihnen,“ ſagte ſie unaufgefodert mit einem ſo rührenden Wi¬ derrufe der vorigen Drohung, daß er ſich, wär' er nicht unter fremden Augen geweſen, dank¬ trunken auf ihre Hand, an ihr edles Herz ge¬ ſtürzet hätte. Das Scheiden und das Ende ei¬ nes harmoniſchen Tages wurde ſchwer, worin der Ton jeder einzelnen Minute wieder ein Dreiklang geweſen. Jetzt ſchied Dian ſchon.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/181>, abgerufen am 25.11.2024.