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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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Schoppe und setzte dazu: er habe gesagt, hier
müsse der Meister aus Gegengefälligkeit selber
ein Werk loben, das ihn so partheiisch und
kräftig lobe, wie noch kein anderes Werk von
ihm. Sie erklärte diese Verschiedenheit seines
Pinsels aus einer Ursache, die er ihr selber fast
wörtlich gesagt: er habe nehmlich in seiner frü¬
hesten Jugend ihre Mutter so lange geliebt,
als er sie gesehen und hernach niemand weiter
und darum hab' er, da sie ihr ähnlich sey, sie
con amore gemahlt und wirklich etwas zu lei¬
sten gesucht.

"O redlicher alter Mensch!" sagte Albano,
und konnte sich kaum der Thränen aus Augen,
die so oft glücklich waren, erwehren; aber nur
aus heiligem Freundschafts-Schmerz. Denn es
fuhr nun durch ihn -- wie ein Wetterstrahl
durch den hellsten Himmel -- die durch alles,
durch Schoppens Tagebuch und Linda's Worte
und Rabettens Brief gewisse Vermuthung, daß
Linda die Seele sey, die der sonderbare Mensch
verborgen geliebt. Ein scharfer Schmerz schnitt
eilig aber tief durch seine Stirn; und er über¬
wand sich bloß durch seine jetzige jüngere Fri¬

Schoppe und ſetzte dazu: er habe geſagt, hier
müſſe der Meiſter aus Gegengefälligkeit ſelber
ein Werk loben, das ihn ſo partheiiſch und
kräftig lobe, wie noch kein anderes Werk von
ihm. Sie erklärte dieſe Verſchiedenheit ſeines
Pinſels aus einer Urſache, die er ihr ſelber faſt
wörtlich geſagt: er habe nehmlich in ſeiner frü¬
heſten Jugend ihre Mutter ſo lange geliebt,
als er ſie geſehen und hernach niemand weiter
und darum hab' er, da ſie ihr ähnlich ſey, ſie
con amore gemahlt und wirklich etwas zu lei¬
ſten geſucht.

„O redlicher alter Menſch!“ ſagte Albano,
und konnte ſich kaum der Thränen aus Augen,
die ſo oft glücklich waren, erwehren; aber nur
aus heiligem Freundſchafts-Schmerz. Denn es
fuhr nun durch ihn — wie ein Wetterſtrahl
durch den hellſten Himmel — die durch alles,
durch Schoppens Tagebuch und Linda's Worte
und Rabettens Brief gewiſſe Vermuthung, daß
Linda die Seele ſey, die der ſonderbare Menſch
verborgen geliebt. Ein ſcharfer Schmerz ſchnitt
eilig aber tief durch ſeine Stirn; und er über¬
wand ſich bloß durch ſeine jetzige jüngere Fri¬

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[154/0166] Schoppe und ſetzte dazu: er habe geſagt, hier müſſe der Meiſter aus Gegengefälligkeit ſelber ein Werk loben, das ihn ſo partheiiſch und kräftig lobe, wie noch kein anderes Werk von ihm. Sie erklärte dieſe Verſchiedenheit ſeines Pinſels aus einer Urſache, die er ihr ſelber faſt wörtlich geſagt: er habe nehmlich in ſeiner frü¬ heſten Jugend ihre Mutter ſo lange geliebt, als er ſie geſehen und hernach niemand weiter und darum hab' er, da ſie ihr ähnlich ſey, ſie con amore gemahlt und wirklich etwas zu lei¬ ſten geſucht. „O redlicher alter Menſch!“ ſagte Albano, und konnte ſich kaum der Thränen aus Augen, die ſo oft glücklich waren, erwehren; aber nur aus heiligem Freundſchafts-Schmerz. Denn es fuhr nun durch ihn — wie ein Wetterſtrahl durch den hellſten Himmel — die durch alles, durch Schoppens Tagebuch und Linda's Worte und Rabettens Brief gewiſſe Vermuthung, daß Linda die Seele ſey, die der ſonderbare Menſch verborgen geliebt. Ein ſcharfer Schmerz ſchnitt eilig aber tief durch ſeine Stirn; und er über¬ wand ſich bloß durch ſeine jetzige jüngere Fri¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/166>, abgerufen am 27.11.2024.