Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

nen Bruder vor." Hoch erröthend gieng ihnen
die edle Gestalt entgegen und umarmte ohne
ein Wort die liebe Freundin. Als ihr Auge Al¬
bano wiederfand, wurde sie so betroffen, daß
sie die Hand zurückzuziehen suchte, die er küßte;
denn sie hatte gestern kaum nur dämmernd sein
schönes Auge und seine edle Stirn und den
Mund der Liebe gesehen; und dieser blühende
Mensch stand, von doppelter Rührung beseelt,
so hell und still und ernst vor ihr, voll edler,
rechter Liebe. Ihr Herz wäre gern an seines
gefallen; wenigstens ihre Hand gab sie ihm
in seine wieder und wünschte ihm Glück zu die¬
sem Morgen. Die nahe Antwort: "und zum
gestrigen Abend," konnt' er nicht über die Lippe
bringen, aus eigner verschämter Scheu, Lob zu
geben wie zu nehmen. "Endlich ist der dritte
Mann zum Reise-Kollegium gefunden (sagte
Julienne). Denn Du mußt in einigen Tagen
gleich fort, nach Pestiz mußt Du mit, Albano.',
"Ich mit, Schwester? (sagt' er) ich wollte ei¬
nen Monat bleiben, in einige Tage aber ist
der Besuch des Vesuvs, Herkulanums und
Neapels zusammengedrängt." -- Er wunderte

nen Bruder vor.“ Hoch erröthend gieng ihnen
die edle Geſtalt entgegen und umarmte ohne
ein Wort die liebe Freundin. Als ihr Auge Al¬
bano wiederfand, wurde ſie ſo betroffen, daß
ſie die Hand zurückzuziehen ſuchte, die er küßte;
denn ſie hatte geſtern kaum nur dämmernd ſein
ſchönes Auge und ſeine edle Stirn und den
Mund der Liebe geſehen; und dieſer blühende
Menſch ſtand, von doppelter Rührung beſeelt,
ſo hell und ſtill und ernſt vor ihr, voll edler,
rechter Liebe. Ihr Herz wäre gern an ſeines
gefallen; wenigſtens ihre Hand gab ſie ihm
in ſeine wieder und wünſchte ihm Glück zu die¬
ſem Morgen. Die nahe Antwort: „und zum
geſtrigen Abend,“ konnt' er nicht über die Lippe
bringen, aus eigner verſchämter Scheu, Lob zu
geben wie zu nehmen. „Endlich iſt der dritte
Mann zum Reiſe-Kollegium gefunden (ſagte
Julienne). Denn Du mußt in einigen Tagen
gleich fort, nach Peſtiz mußt Du mit, Albano.'‚
„Ich mit, Schweſter? (ſagt' er) ich wollte ei¬
nen Monat bleiben, in einige Tage aber iſt
der Beſuch des Veſuvs, Herkulanums und
Neapels zuſammengedrängt.“ — Er wunderte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0163" n="151"/>
nen Bruder vor.&#x201C; Hoch erröthend gieng ihnen<lb/>
die edle Ge&#x017F;talt entgegen und umarmte ohne<lb/>
ein Wort die liebe Freundin. Als ihr Auge Al¬<lb/>
bano wiederfand, wurde &#x017F;ie &#x017F;o betroffen, daß<lb/>
&#x017F;ie die Hand zurückzuziehen &#x017F;uchte, die er küßte;<lb/>
denn &#x017F;ie hatte ge&#x017F;tern kaum nur dämmernd &#x017F;ein<lb/>
&#x017F;chönes Auge und &#x017F;eine edle Stirn und den<lb/>
Mund der Liebe ge&#x017F;ehen; und die&#x017F;er blühende<lb/>
Men&#x017F;ch &#x017F;tand, von doppelter Rührung be&#x017F;eelt,<lb/>
&#x017F;o hell und &#x017F;till und ern&#x017F;t vor ihr, voll edler,<lb/>
rechter Liebe. Ihr Herz wäre gern an &#x017F;eines<lb/>
gefallen; wenig&#x017F;tens ihre Hand gab &#x017F;ie ihm<lb/>
in &#x017F;eine wieder und wün&#x017F;chte ihm Glück zu die¬<lb/>
&#x017F;em Morgen. Die nahe Antwort: &#x201E;und zum<lb/>
ge&#x017F;trigen Abend,&#x201C; konnt' er nicht über die Lippe<lb/>
bringen, aus eigner ver&#x017F;chämter Scheu, Lob zu<lb/>
geben wie zu nehmen. &#x201E;Endlich i&#x017F;t der dritte<lb/>
Mann zum Rei&#x017F;e-Kollegium gefunden (&#x017F;agte<lb/>
Julienne). Denn Du mußt in einigen Tagen<lb/>
gleich fort, nach Pe&#x017F;tiz mußt Du mit, Albano.'&#x201A;<lb/>
&#x201E;Ich mit, Schwe&#x017F;ter? (&#x017F;agt' er) ich wollte ei¬<lb/>
nen Monat bleiben, in einige Tage aber i&#x017F;t<lb/>
der Be&#x017F;uch des Ve&#x017F;uvs, Herkulanums und<lb/>
Neapels zu&#x017F;ammengedrängt.&#x201C; &#x2014; Er wunderte<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[151/0163] nen Bruder vor.“ Hoch erröthend gieng ihnen die edle Geſtalt entgegen und umarmte ohne ein Wort die liebe Freundin. Als ihr Auge Al¬ bano wiederfand, wurde ſie ſo betroffen, daß ſie die Hand zurückzuziehen ſuchte, die er küßte; denn ſie hatte geſtern kaum nur dämmernd ſein ſchönes Auge und ſeine edle Stirn und den Mund der Liebe geſehen; und dieſer blühende Menſch ſtand, von doppelter Rührung beſeelt, ſo hell und ſtill und ernſt vor ihr, voll edler, rechter Liebe. Ihr Herz wäre gern an ſeines gefallen; wenigſtens ihre Hand gab ſie ihm in ſeine wieder und wünſchte ihm Glück zu die¬ ſem Morgen. Die nahe Antwort: „und zum geſtrigen Abend,“ konnt' er nicht über die Lippe bringen, aus eigner verſchämter Scheu, Lob zu geben wie zu nehmen. „Endlich iſt der dritte Mann zum Reiſe-Kollegium gefunden (ſagte Julienne). Denn Du mußt in einigen Tagen gleich fort, nach Peſtiz mußt Du mit, Albano.'‚ „Ich mit, Schweſter? (ſagt' er) ich wollte ei¬ nen Monat bleiben, in einige Tage aber iſt der Beſuch des Veſuvs, Herkulanums und Neapels zuſammengedrängt.“ — Er wunderte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/163
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/163>, abgerufen am 07.05.2024.