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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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aufgehenden Sonne; zarte jungfräuliche Far¬
ben, liebliche Linien und süße Fülle der Jugend
spielten wie ein Blumenkranz um eine Götter¬
stirn, mit weichen Blüthen um den heiligen
Ernst und mächtigen Willen auf Stirn und
Lippe, und um die dunkle Gluth des großen
Auges. Wie hatten die Bilder über sie gelo¬
gen und diesen Geist und dieses Leben so schwach
ausgesprochen!

Als wollte die Zeit die glänzende Erschei¬
nung würdig umgeben, so schön spielten Him¬
mel und Erde mit allen Strahlen des Lebens
in einander -- liebesdurstig flogen Sterne wie
Himmelsschmetterlinge ins Meer -- der Mond
war über die ungestüme Erdflamme des Vesuv's
weggezogen und bedeckte mit seinem zarten Licht
die frohe Welt, das Meer und die Ufer -- der
Epomeo schwebte mit seinen versilberten Wäl¬
dern und mit der Einsiedelei seines Gipfels hoch
im Nacht-Blau -- darneben lebten die singenden,
tanzenden Menschen mit ihren Gebeten und ih¬
ren Fest-Raketen, die sie in die Höhe warfen.
-- -- Da Linda lange über das Meer nach
dem Vesuv gesehen: redete sie den stillen Al¬

Titan IV. I

aufgehenden Sonne; zarte jungfräuliche Far¬
ben, liebliche Linien und ſüße Fülle der Jugend
ſpielten wie ein Blumenkranz um eine Götter¬
ſtirn, mit weichen Blüthen um den heiligen
Ernſt und mächtigen Willen auf Stirn und
Lippe, und um die dunkle Gluth des großen
Auges. Wie hatten die Bilder über ſie gelo¬
gen und dieſen Geiſt und dieſes Leben ſo ſchwach
ausgeſprochen!

Als wollte die Zeit die glänzende Erſchei¬
nung würdig umgeben, ſo ſchön ſpielten Him¬
mel und Erde mit allen Strahlen des Lebens
in einander — liebesdurſtig flogen Sterne wie
Himmelsſchmetterlinge ins Meer — der Mond
war über die ungeſtüme Erdflamme des Veſuv's
weggezogen und bedeckte mit ſeinem zarten Licht
die frohe Welt, das Meer und die Ufer — der
Epomeo ſchwebte mit ſeinen verſilberten Wäl¬
dern und mit der Einſiedelei ſeines Gipfels hoch
im Nacht-Blau — darneben lebten die ſingenden,
tanzenden Menſchen mit ihren Gebeten und ih¬
ren Feſt-Raketen, die ſie in die Höhe warfen.
— — Da Linda lange über das Meer nach
dem Veſuv geſehen: redete ſie den ſtillen Al¬

Titan IV. I
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[129/0141] aufgehenden Sonne; zarte jungfräuliche Far¬ ben, liebliche Linien und ſüße Fülle der Jugend ſpielten wie ein Blumenkranz um eine Götter¬ ſtirn, mit weichen Blüthen um den heiligen Ernſt und mächtigen Willen auf Stirn und Lippe, und um die dunkle Gluth des großen Auges. Wie hatten die Bilder über ſie gelo¬ gen und dieſen Geiſt und dieſes Leben ſo ſchwach ausgeſprochen! Als wollte die Zeit die glänzende Erſchei¬ nung würdig umgeben, ſo ſchön ſpielten Him¬ mel und Erde mit allen Strahlen des Lebens in einander — liebesdurſtig flogen Sterne wie Himmelsſchmetterlinge ins Meer — der Mond war über die ungeſtüme Erdflamme des Veſuv's weggezogen und bedeckte mit ſeinem zarten Licht die frohe Welt, das Meer und die Ufer — der Epomeo ſchwebte mit ſeinen verſilberten Wäl¬ dern und mit der Einſiedelei ſeines Gipfels hoch im Nacht-Blau — darneben lebten die ſingenden, tanzenden Menſchen mit ihren Gebeten und ih¬ ren Feſt-Raketen, die ſie in die Höhe warfen. — — Da Linda lange über das Meer nach dem Veſuv geſehen: redete ſie den ſtillen Al¬ Titan IV. I

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/141>, abgerufen am 02.05.2024.