Er konnte sie nun lieben als einen wehrenden Engel vor dem Paradiese, wie viel mehr als einen gebenden in ihm! -- Aber schwer ists ei¬ nem Manne, fühlte der Jüngling, im weibli¬ chen Herzen, zumal in diesem, Absicht von In¬ stinkt, Ideen von Gefühlen, rein zu sondern, und an diesem dunkeln, vollen Himmel alle Sterne zu zählen und zu reihen. -- Jede Härte, jede unscheinbare Knospe gieng zuletzt als Blume auf; und ihr Werth breitete sich wie der Frühling stückweise aus; indeß ge¬ wöhnlich von andern Mädchen ein Reisender, der sie besucht, sogleich beim ersten Abschiede abends eine kleine vollständige Blumenlese al¬ ler ihrer Reize und Künste fortnimmt, wie ein Brocken-Passagier im Wirthshause einen nied¬ lichen Straus überkommt, aus den Moosarten gebunden, welche der Berg trägt.
Er glaubte, sie sey nun bei den Eltern, und folgte nicht als zerrender Knabe, sondern als einstimmiger Mann dem Riesen des Schick¬ sals nach. Im Garten herrschte Regenwetter, die Aussaat jedes starken Gewitters, das immer wie ein Krieg den Kriegsschauplatz verdirbt.
Er konnte ſie nun lieben als einen wehrenden Engel vor dem Paradieſe, wie viel mehr als einen gebenden in ihm! — Aber ſchwer iſts ei¬ nem Manne, fühlte der Jüngling, im weibli¬ chen Herzen, zumal in dieſem, Abſicht von In¬ ſtinkt, Ideen von Gefühlen, rein zu ſondern, und an dieſem dunkeln, vollen Himmel alle Sterne zu zählen und zu reihen. — Jede Härte, jede unſcheinbare Knoſpe gieng zuletzt als Blume auf; und ihr Werth breitete ſich wie der Frühling ſtückweiſe aus; indeß ge¬ wöhnlich von andern Mädchen ein Reiſender, der ſie beſucht, ſogleich beim erſten Abſchiede abends eine kleine vollſtändige Blumenleſe al¬ ler ihrer Reize und Künſte fortnimmt, wie ein Brocken-Paſſagier im Wirthshauſe einen nied¬ lichen Straus überkommt, aus den Moosarten gebunden, welche der Berg trägt.
Er glaubte, ſie ſey nun bei den Eltern, und folgte nicht als zerrender Knabe, ſondern als einſtimmiger Mann dem Rieſen des Schick¬ ſals nach. Im Garten herrſchte Regenwetter, die Ausſaat jedes ſtarken Gewitters, das immer wie ein Krieg den Kriegsſchauplatz verdirbt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0065"n="53"/>
Er konnte ſie nun lieben als einen wehrenden<lb/>
Engel <hirendition="#g">vor</hi> dem Paradieſe, wie viel mehr als<lb/>
einen gebenden <hirendition="#g">in</hi> ihm! — Aber ſchwer iſts ei¬<lb/>
nem Manne, fühlte der Jüngling, im weibli¬<lb/>
chen Herzen, zumal in dieſem, Abſicht von In¬<lb/>ſtinkt, Ideen von Gefühlen, rein zu ſondern,<lb/>
und an dieſem dunkeln, vollen Himmel alle<lb/>
Sterne zu zählen und zu reihen. — Jede<lb/>
Härte, jede unſcheinbare Knoſpe gieng zuletzt<lb/>
als Blume auf; und ihr Werth breitete ſich<lb/>
wie der Frühling ſtückweiſe aus; indeß ge¬<lb/>
wöhnlich von andern Mädchen ein Reiſender,<lb/>
der ſie beſucht, ſogleich beim erſten Abſchiede<lb/>
abends eine kleine vollſtändige Blumenleſe al¬<lb/>
ler ihrer Reize und Künſte fortnimmt, wie ein<lb/>
Brocken-Paſſagier im Wirthshauſe einen nied¬<lb/>
lichen Straus überkommt, aus den Moosarten<lb/>
gebunden, welche der Berg trägt.</p><lb/><p>Er glaubte, ſie ſey nun bei den Eltern,<lb/>
und folgte nicht als zerrender Knabe, ſondern<lb/>
als einſtimmiger Mann dem Rieſen des Schick¬<lb/>ſals nach. Im Garten herrſchte Regenwetter,<lb/>
die Ausſaat jedes ſtarken Gewitters, das immer<lb/>
wie ein Krieg den Kriegsſchauplatz verdirbt.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[53/0065]
Er konnte ſie nun lieben als einen wehrenden
Engel vor dem Paradieſe, wie viel mehr als
einen gebenden in ihm! — Aber ſchwer iſts ei¬
nem Manne, fühlte der Jüngling, im weibli¬
chen Herzen, zumal in dieſem, Abſicht von In¬
ſtinkt, Ideen von Gefühlen, rein zu ſondern,
und an dieſem dunkeln, vollen Himmel alle
Sterne zu zählen und zu reihen. — Jede
Härte, jede unſcheinbare Knoſpe gieng zuletzt
als Blume auf; und ihr Werth breitete ſich
wie der Frühling ſtückweiſe aus; indeß ge¬
wöhnlich von andern Mädchen ein Reiſender,
der ſie beſucht, ſogleich beim erſten Abſchiede
abends eine kleine vollſtändige Blumenleſe al¬
ler ihrer Reize und Künſte fortnimmt, wie ein
Brocken-Paſſagier im Wirthshauſe einen nied¬
lichen Straus überkommt, aus den Moosarten
gebunden, welche der Berg trägt.
Er glaubte, ſie ſey nun bei den Eltern,
und folgte nicht als zerrender Knabe, ſondern
als einſtimmiger Mann dem Rieſen des Schick¬
ſals nach. Im Garten herrſchte Regenwetter,
die Ausſaat jedes ſtarken Gewitters, das immer
wie ein Krieg den Kriegsſchauplatz verdirbt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/65>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.