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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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"Und ich bin ja so weich!" sagte die Un¬
schuldige. Beide waren bisher am Fenster vor
dem aus Lilar herschwellenden finstern Gewit¬
ter gestanden. Sie kehrte sich schnell um --
denn sie konnte seit ihrer Erblindung, wo eine
dunkle Wolke gegen sie zu fliegen geschienen,
keine mehr lange ansehen -- und Albano's ho¬
he Gestalt, mit dem ganzen glühendlebendigen
Gesicht und mit den Seelen-Augen stand
vom Abendlicht erhellet vor ihr. Sie legte mit
der spielenden Hand, die er frei ließ, sein
dunkles Haar aus der trotzigen Stirn sanfter
an die Seiten, strich die gedrängte Augenbrah¬
me glatter und sagte, als sein Blick wie eine
Sonne stach, und sein Mund sich ernst schloß:
"o freudig, freudig soll künftig einmal dies
schöne Angesicht lächeln!" Er lächelte, aber
schmerzlich. "Und dann will ich noch seeliger
seyn als heute!" sagte sie, und erschrak, denn
ein Blitz fuhr über sein ernstes Gesicht wie
über ein zackiges Gebürge und zeigte es wie das
des Kriegsgottes von Kriegsflammen erleuchtet.

Er schied schnell; ließ sich nicht halten;
sprach von Wetterkühlen, gieng ins Wetter

„Und ich bin ja ſo weich!“ ſagte die Un¬
ſchuldige. Beide waren bisher am Fenſter vor
dem aus Lilar herſchwellenden finſtern Gewit¬
ter geſtanden. Sie kehrte ſich ſchnell um —
denn ſie konnte ſeit ihrer Erblindung, wo eine
dunkle Wolke gegen ſie zu fliegen geſchienen,
keine mehr lange anſehen — und Albano's ho¬
he Geſtalt, mit dem ganzen glühendlebendigen
Geſicht und mit den Seelen-Augen ſtand
vom Abendlicht erhellet vor ihr. Sie legte mit
der ſpielenden Hand, die er frei ließ, ſein
dunkles Haar aus der trotzigen Stirn ſanfter
an die Seiten, ſtrich die gedrängte Augenbrah¬
me glatter und ſagte, als ſein Blick wie eine
Sonne ſtach, und ſein Mund ſich ernſt ſchloß:
„o freudig, freudig ſoll künftig einmal dies
ſchöne Angeſicht lächeln!“ Er lächelte, aber
ſchmerzlich. „Und dann will ich noch ſeeliger
ſeyn als heute!“ ſagte ſie, und erſchrak, denn
ein Blitz fuhr über ſein ernſtes Geſicht wie
über ein zackiges Gebürge und zeigte es wie das
des Kriegsgottes von Kriegsflammen erleuchtet.

Er ſchied ſchnell; ließ ſich nicht halten;
ſprach von Wetterkühlen, gieng ins Wetter

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[41/0053] „Und ich bin ja ſo weich!“ ſagte die Un¬ ſchuldige. Beide waren bisher am Fenſter vor dem aus Lilar herſchwellenden finſtern Gewit¬ ter geſtanden. Sie kehrte ſich ſchnell um — denn ſie konnte ſeit ihrer Erblindung, wo eine dunkle Wolke gegen ſie zu fliegen geſchienen, keine mehr lange anſehen — und Albano's ho¬ he Geſtalt, mit dem ganzen glühendlebendigen Geſicht und mit den Seelen-Augen ſtand vom Abendlicht erhellet vor ihr. Sie legte mit der ſpielenden Hand, die er frei ließ, ſein dunkles Haar aus der trotzigen Stirn ſanfter an die Seiten, ſtrich die gedrängte Augenbrah¬ me glatter und ſagte, als ſein Blick wie eine Sonne ſtach, und ſein Mund ſich ernſt ſchloß: „o freudig, freudig ſoll künftig einmal dies ſchöne Angeſicht lächeln!“ Er lächelte, aber ſchmerzlich. „Und dann will ich noch ſeeliger ſeyn als heute!“ ſagte ſie, und erſchrak, denn ein Blitz fuhr über ſein ernſtes Geſicht wie über ein zackiges Gebürge und zeigte es wie das des Kriegsgottes von Kriegsflammen erleuchtet. Er ſchied ſchnell; ließ ſich nicht halten; ſprach von Wetterkühlen, gieng ins Wetter

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/53>, abgerufen am 24.11.2024.