Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

das ist meine Hand -- wie bist Du so schön!"
-- Der unsichtbare Engel, der ihre erste Liebe
geheiligt, der ihr Leben begleitet hatte, schim¬
merte wieder wie ein aufgegangener Mond
über das ganze dunkle Sterben und der Glanz
verschmolz die kleine Mainacht leise mit dem
großen Frühlingsmorgen der andern Welt.

Nun lehnte die verschleierte Nonne des
Himmels ganz still an der Mutter -- Der To¬
desengel stand unsichtbar und zornig unter sei¬
nen Opfern -- Mit großen Flügeln hieng die
Todes-Eule der Angst sich über die Menschen-
Augen und hackte mit schwarzem Schnabel in
die Brust herab und man hörte nichts in der
Stille als die Eule -- Düster wälzten sich des
Ritters melancholische Augen in ihren tiefen
Höhlen zwischen der stillen Braut und dem stil¬
len Sohne hin und her; und Gaspard und der
Würgengel schaueten einander finster an. --

Da klang aus Lianens Harfe ein heller,
hoher Ton lang in die Stille; die Parze, die
an ihrem Leben spann, kannte das Zeichen,
hielt innen und stand auf, und die Schwester
mit der Scheere kam. Lianens Finger hörten

das iſt meine Hand — wie biſt Du ſo ſchön!“
— Der unſichtbare Engel, der ihre erſte Liebe
geheiligt, der ihr Leben begleitet hatte, ſchim¬
merte wieder wie ein aufgegangener Mond
über das ganze dunkle Sterben und der Glanz
verſchmolz die kleine Mainacht leiſe mit dem
großen Frühlingsmorgen der andern Welt.

Nun lehnte die verſchleierte Nonne des
Himmels ganz ſtill an der Mutter — Der To¬
desengel ſtand unſichtbar und zornig unter ſei¬
nen Opfern — Mit großen Flügeln hieng die
Todes-Eule der Angſt ſich über die Menſchen-
Augen und hackte mit ſchwarzem Schnabel in
die Bruſt herab und man hörte nichts in der
Stille als die Eule — Düſter wälzten ſich des
Ritters melancholiſche Augen in ihren tiefen
Höhlen zwiſchen der ſtillen Braut und dem ſtil¬
len Sohne hin und her; und Gaſpard und der
Würgengel ſchaueten einander finſter an. —

Da klang aus Lianens Harfe ein heller,
hoher Ton lang in die Stille; die Parze, die
an ihrem Leben ſpann, kannte das Zeichen,
hielt innen und ſtand auf, und die Schweſter
mit der Scheere kam. Lianens Finger hörten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0400" n="388"/>
das i&#x017F;t meine Hand &#x2014; wie bi&#x017F;t Du &#x017F;o &#x017F;chön!&#x201C;<lb/>
&#x2014; Der un&#x017F;ichtbare Engel, der ihre er&#x017F;te Liebe<lb/>
geheiligt, der ihr Leben begleitet hatte, &#x017F;chim¬<lb/>
merte wieder wie ein aufgegangener Mond<lb/>
über das ganze dunkle Sterben und der Glanz<lb/>
ver&#x017F;chmolz die kleine Mainacht lei&#x017F;e mit dem<lb/>
großen Frühlingsmorgen der andern Welt.</p><lb/>
          <p>Nun lehnte die ver&#x017F;chleierte Nonne des<lb/>
Himmels ganz &#x017F;till an der Mutter &#x2014; Der To¬<lb/>
desengel &#x017F;tand un&#x017F;ichtbar und zornig unter &#x017F;ei¬<lb/>
nen Opfern &#x2014; Mit großen Flügeln hieng die<lb/>
Todes-Eule der Ang&#x017F;t &#x017F;ich über die Men&#x017F;chen-<lb/>
Augen und hackte mit &#x017F;chwarzem Schnabel in<lb/>
die Bru&#x017F;t herab und man hörte nichts in der<lb/>
Stille als die Eule &#x2014;&#x017F;ter wälzten &#x017F;ich des<lb/>
Ritters melancholi&#x017F;che Augen in ihren tiefen<lb/>
Höhlen zwi&#x017F;chen der &#x017F;tillen Braut und dem &#x017F;til¬<lb/>
len Sohne hin und her; und Ga&#x017F;pard und der<lb/>
Würgengel &#x017F;chaueten einander fin&#x017F;ter an. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Da klang aus Lianens Harfe ein heller,<lb/>
hoher Ton lang in die Stille; die Parze, die<lb/>
an ihrem Leben &#x017F;pann, kannte das Zeichen,<lb/>
hielt innen und &#x017F;tand auf, und die Schwe&#x017F;ter<lb/>
mit der Scheere kam. Lianens Finger hörten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[388/0400] das iſt meine Hand — wie biſt Du ſo ſchön!“ — Der unſichtbare Engel, der ihre erſte Liebe geheiligt, der ihr Leben begleitet hatte, ſchim¬ merte wieder wie ein aufgegangener Mond über das ganze dunkle Sterben und der Glanz verſchmolz die kleine Mainacht leiſe mit dem großen Frühlingsmorgen der andern Welt. Nun lehnte die verſchleierte Nonne des Himmels ganz ſtill an der Mutter — Der To¬ desengel ſtand unſichtbar und zornig unter ſei¬ nen Opfern — Mit großen Flügeln hieng die Todes-Eule der Angſt ſich über die Menſchen- Augen und hackte mit ſchwarzem Schnabel in die Bruſt herab und man hörte nichts in der Stille als die Eule — Düſter wälzten ſich des Ritters melancholiſche Augen in ihren tiefen Höhlen zwiſchen der ſtillen Braut und dem ſtil¬ len Sohne hin und her; und Gaſpard und der Würgengel ſchaueten einander finſter an. — Da klang aus Lianens Harfe ein heller, hoher Ton lang in die Stille; die Parze, die an ihrem Leben ſpann, kannte das Zeichen, hielt innen und ſtand auf, und die Schweſter mit der Scheere kam. Lianens Finger hörten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/400
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/400>, abgerufen am 23.11.2024.