lüfte ihrer geendigten Liebe ließ sie wieder we¬ hen, aber in höherer Stelle, es waren dünne, milde Äther-Zephyre, Blumen-Hauche. -- Sie wußte jetzt zugleich, sie sterbe und liebe Gott. Sie stand wie eine Sonne schon ruhig und fern an ihrem Himmel, aber wie eine Sonne schien sie folgsam um den kleinen Tag ihrer Mutter zu ge¬ hen und wärmte sie sanft. -- Ihre Thränen ent¬ flossen so süß wie Seufzer, wie Abendthau aus Abendroth -- Wie man seelig-wogend sinkt in heitern Träumen, so floß sie mit schwim¬ mendem Körper-Gewand auf dem Todesflusse, lange getragen, langsam angezogen.
Nur ein einziger irrdischer Widerstand hat¬ te bisher den süßen Fall gebrochen -- die heis¬ se Erwartung der kommenden Romeiro, dieser ihr so innig befreundeten Freundin ihrer Freun¬ din Julienne. Endlich erschien ihr diese und ergriff ihre Phantasie zu sehr; denn gerade die Flügel der Phantasie waren an diesem sanften, steten Schwane *) zu stark. Wie stellte sich die
*) Ein Schwan kann mit dem Flügelschlag einen Arm zerbrechen.
lüfte ihrer geendigten Liebe ließ ſie wieder we¬ hen, aber in höherer Stelle, es waren dünne, milde Äther-Zephyre, Blumen-Hauche. — Sie wußte jetzt zugleich, ſie ſterbe und liebe Gott. Sie ſtand wie eine Sonne ſchon ruhig und fern an ihrem Himmel, aber wie eine Sonne ſchien ſie folgſam um den kleinen Tag ihrer Mutter zu ge¬ hen und wärmte ſie ſanft. — Ihre Thränen ent¬ floſſen ſo ſüß wie Seufzer, wie Abendthau aus Abendroth — Wie man ſeelig-wogend ſinkt in heitern Träumen, ſo floß ſie mit ſchwim¬ mendem Körper-Gewand auf dem Todesfluſſe, lange getragen, langſam angezogen.
Nur ein einziger irrdiſcher Widerſtand hat¬ te bisher den ſüßen Fall gebrochen — die heis¬ ſe Erwartung der kommenden Romeiro, dieſer ihr ſo innig befreundeten Freundin ihrer Freun¬ din Julienne. Endlich erſchien ihr dieſe und ergriff ihre Phantaſie zu ſehr; denn gerade die Flügel der Phantaſie waren an dieſem ſanften, ſteten Schwane *) zu ſtark. Wie ſtellte ſich die
*) Ein Schwan kann mit dem Flügelſchlag einen Arm zerbrechen.
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lüfte ihrer geendigten Liebe ließ ſie wieder we¬
hen, aber in höherer Stelle, es waren dünne,
milde Äther-Zephyre, Blumen-Hauche. — Sie
wußte jetzt zugleich, ſie ſterbe und liebe Gott. Sie
ſtand wie eine Sonne ſchon ruhig und fern an
ihrem Himmel, aber wie eine Sonne ſchien ſie
folgſam um den kleinen Tag ihrer Mutter zu ge¬
hen und wärmte ſie ſanft. — Ihre Thränen ent¬
floſſen ſo ſüß wie Seufzer, wie Abendthau aus
Abendroth — Wie man ſeelig-wogend ſinkt
in heitern Träumen, ſo floß ſie mit ſchwim¬
mendem Körper-Gewand auf dem Todesfluſſe,
lange getragen, langſam angezogen.
Nur ein einziger irrdiſcher Widerſtand hat¬
te bisher den ſüßen Fall gebrochen — die heis¬
ſe Erwartung der kommenden Romeiro, dieſer
ihr ſo innig befreundeten Freundin ihrer Freun¬
din Julienne. Endlich erſchien ihr dieſe und
ergriff ihre Phantaſie zu ſehr; denn gerade die
Flügel der Phantaſie waren an dieſem ſanften,
ſteten Schwane *) zu ſtark. Wie ſtellte ſich die
*) Ein Schwan kann mit dem Flügelſchlag einen
Arm zerbrechen.
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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/382>, abgerufen am 24.11.2024.
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