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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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so irrend und neu, wie zum erstenmale. Er
fühlte recht stark, daß ihn etwas Festeres als
die erste jungfräuliche Blödigkeit, womit ein
Mädchen für die blendende Sonne der Liebe
immer ausser der Morgenröthe noch eine Däm¬
merung und für diese wieder eine erfinden will,
im feurigen Verschmelzen ihrer Seelen störe.

Er fragte, was sie lese; sie stockte bedenkend;
ein schnell heranfliegender Gedanke schien ihr
Herz zu öffnen; sie gab ihm das Buch und sag¬
te, es sey ein französisches Manuskript, nämlich
geschriebene Gebete -- von ihrer Mutter vor meh¬
reren Jahren aufgesetzt -- welche sie mehr rührten
als eigne Gedanken; aber noch immer blickte
durch das zartgewebte Gesicht ein Klosterge¬
danke, der ihr Herz zu verlassen suchte. --
Was konnte Albano dieser Herzens-Psalmistin
vorwerfen, wer kann einer Sängerinn Antwort
geben? -- Eine Betende steht wie eine Un¬
glückliche auf einer hohen, heiligen Stätte, die
unsere Arme nicht erreichen. -- -- Aber wie
schlecht müssen die meisten Gebete seyn, -- da
sie -- obwohl früher als Reize bezaubernd
gleich dem Rosenkranz, der aus wohlriechenden

ſo irrend und neu, wie zum erſtenmale. Er
fühlte recht ſtark, daß ihn etwas Feſteres als
die erſte jungfräuliche Blödigkeit, womit ein
Mädchen für die blendende Sonne der Liebe
immer auſſer der Morgenröthe noch eine Däm¬
merung und für dieſe wieder eine erfinden will,
im feurigen Verſchmelzen ihrer Seelen ſtöre.

Er fragte, was ſie leſe; ſie ſtockte bedenkend;
ein ſchnell heranfliegender Gedanke ſchien ihr
Herz zu öffnen; ſie gab ihm das Buch und ſag¬
te, es ſey ein franzöſiſches Manuſkript, nämlich
geſchriebene Gebete — von ihrer Mutter vor meh¬
reren Jahren aufgeſetzt — welche ſie mehr rührten
als eigne Gedanken; aber noch immer blickte
durch das zartgewebte Geſicht ein Kloſterge¬
danke, der ihr Herz zu verlaſſen ſuchte. —
Was konnte Albano dieſer Herzens-Pſalmiſtin
vorwerfen, wer kann einer Sängerinn Antwort
geben? — Eine Betende ſteht wie eine Un¬
glückliche auf einer hohen, heiligen Stätte, die
unſere Arme nicht erreichen. — — Aber wie
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[25/0037] ſo irrend und neu, wie zum erſtenmale. Er fühlte recht ſtark, daß ihn etwas Feſteres als die erſte jungfräuliche Blödigkeit, womit ein Mädchen für die blendende Sonne der Liebe immer auſſer der Morgenröthe noch eine Däm¬ merung und für dieſe wieder eine erfinden will, im feurigen Verſchmelzen ihrer Seelen ſtöre. Er fragte, was ſie leſe; ſie ſtockte bedenkend; ein ſchnell heranfliegender Gedanke ſchien ihr Herz zu öffnen; ſie gab ihm das Buch und ſag¬ te, es ſey ein franzöſiſches Manuſkript, nämlich geſchriebene Gebete — von ihrer Mutter vor meh¬ reren Jahren aufgeſetzt — welche ſie mehr rührten als eigne Gedanken; aber noch immer blickte durch das zartgewebte Geſicht ein Kloſterge¬ danke, der ihr Herz zu verlaſſen ſuchte. — Was konnte Albano dieſer Herzens-Pſalmiſtin vorwerfen, wer kann einer Sängerinn Antwort geben? — Eine Betende ſteht wie eine Un¬ glückliche auf einer hohen, heiligen Stätte, die unſere Arme nicht erreichen. — — Aber wie ſchlecht müſſen die meiſten Gebete ſeyn, — da ſie — obwohl früher als Reize bezaubernd gleich dem Roſenkranz, der aus wohlriechenden

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/37>, abgerufen am 03.05.2024.