Schönwäsche und Schutt in sich verbarg, ver¬ sehen worden; er halte ihn belehrt, daß sie kalt wie ein erhaben-geschliffnes Eisstück, nie selber, sondern nur andere schmelzen wolle; daß sie zu den seltnern Koketten gehöre, welche wie die süßen Weine durch Wärme sauer werden, und nur durch Kälte süßer; und daß sie daher eine der schlimmsten Angewohnheiten -- die jedem die ärgsten Händel mache -- an sich habe. Es war nämlich folgende: sie hatte ein Herz und wollte es nie wie ein todtes Kapital in der Brust leiden sondern es sollte sich verzinsen und umlaufen -- Der Liebhaber wurde deshalb anfangs von Tag zu Tag aufgeweckter und heitrer, dann von Stund zu Stund -- Er wu߬ te alle Holzwege, Hohlwege, Diebsgänge und kürzere Fußsteige in diesem Liebesgarten ordent¬ lich auswendig und wollte die Schäfer-Viertel¬ stunde auf seiner Repetiruhr voraussagen, wo er anlangen würde in der Laube -- Es war ihm gar nicht unbekannt (sondern komisch), was es bedeute, daß er bei ihr von Sentenzen zu Blicken, von diesen zum Händekuß, dann zum Mundkuß gelangte, worauf er sich im Wisthon¬
Schönwäſche und Schutt in ſich verbarg, ver¬ ſehen worden; er halte ihn belehrt, daß ſie kalt wie ein erhaben-geſchliffnes Eisſtück, nie ſelber, ſondern nur andere ſchmelzen wolle; daß ſie zu den ſeltnern Koketten gehöre, welche wie die ſüßen Weine durch Wärme ſauer werden, und nur durch Kälte ſüßer; und daß ſie daher eine der ſchlimmſten Angewohnheiten — die jedem die ärgſten Händel mache — an ſich habe. Es war nämlich folgende: ſie hatte ein Herz und wollte es nie wie ein todtes Kapital in der Bruſt leiden ſondern es ſollte ſich verzinſen und umlaufen — Der Liebhaber wurde deshalb anfangs von Tag zu Tag aufgeweckter und heitrer, dann von Stund zu Stund — Er wu߬ te alle Holzwege, Hohlwege, Diebsgänge und kürzere Fußſteige in dieſem Liebesgarten ordent¬ lich auswendig und wollte die Schäfer-Viertel¬ ſtunde auf ſeiner Repetiruhr vorausſagen, wo er anlangen würde in der Laube — Es war ihm gar nicht unbekannt (ſondern komiſch), was es bedeute, daß er bei ihr von Sentenzen zu Blicken, von dieſen zum Händekuß, dann zum Mundkuß gelangte, worauf er ſich im Wiſthon¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0324"n="312"/>
Schönwäſche und Schutt in ſich verbarg, ver¬<lb/>ſehen worden; er halte ihn belehrt, daß ſie kalt<lb/>
wie ein erhaben-geſchliffnes Eisſtück, nie ſelber,<lb/>ſondern nur andere ſchmelzen wolle; daß ſie zu<lb/>
den ſeltnern Koketten gehöre, welche wie die<lb/>ſüßen Weine durch Wärme ſauer werden, und<lb/>
nur durch Kälte ſüßer; und daß ſie daher eine<lb/>
der ſchlimmſten Angewohnheiten — die jedem<lb/>
die ärgſten Händel mache — an ſich habe. Es<lb/>
war nämlich folgende: ſie hatte ein Herz und<lb/>
wollte es nie wie ein todtes Kapital in der<lb/>
Bruſt leiden ſondern es ſollte ſich verzinſen und<lb/>
umlaufen — Der Liebhaber wurde deshalb<lb/>
anfangs von Tag zu Tag aufgeweckter und<lb/>
heitrer, dann von Stund zu Stund — Er wu߬<lb/>
te alle Holzwege, Hohlwege, Diebsgänge und<lb/>
kürzere Fußſteige in dieſem Liebesgarten ordent¬<lb/>
lich auswendig und wollte die Schäfer-Viertel¬<lb/>ſtunde auf ſeiner Repetiruhr vorausſagen, wo<lb/>
er anlangen würde in der Laube — Es war<lb/>
ihm gar nicht unbekannt (ſondern komiſch), was<lb/>
es bedeute, daß er bei ihr von Sentenzen zu<lb/>
Blicken, von dieſen zum Händekuß, dann zum<lb/>
Mundkuß gelangte, worauf er ſich im Wiſthon¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[312/0324]
Schönwäſche und Schutt in ſich verbarg, ver¬
ſehen worden; er halte ihn belehrt, daß ſie kalt
wie ein erhaben-geſchliffnes Eisſtück, nie ſelber,
ſondern nur andere ſchmelzen wolle; daß ſie zu
den ſeltnern Koketten gehöre, welche wie die
ſüßen Weine durch Wärme ſauer werden, und
nur durch Kälte ſüßer; und daß ſie daher eine
der ſchlimmſten Angewohnheiten — die jedem
die ärgſten Händel mache — an ſich habe. Es
war nämlich folgende: ſie hatte ein Herz und
wollte es nie wie ein todtes Kapital in der
Bruſt leiden ſondern es ſollte ſich verzinſen und
umlaufen — Der Liebhaber wurde deshalb
anfangs von Tag zu Tag aufgeweckter und
heitrer, dann von Stund zu Stund — Er wu߬
te alle Holzwege, Hohlwege, Diebsgänge und
kürzere Fußſteige in dieſem Liebesgarten ordent¬
lich auswendig und wollte die Schäfer-Viertel¬
ſtunde auf ſeiner Repetiruhr vorausſagen, wo
er anlangen würde in der Laube — Es war
ihm gar nicht unbekannt (ſondern komiſch), was
es bedeute, daß er bei ihr von Sentenzen zu
Blicken, von dieſen zum Händekuß, dann zum
Mundkuß gelangte, worauf er ſich im Wiſthon¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/324>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.