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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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Alles erschien dem Grafen, der ohne die
Übergänge und Mitteltinten der Gewohnheit
und Phantasie aus dem vorigen Lichte der
Freundschaft in diese Abenddämmerung gefüh¬
ret wurde, noch schwärzer als es war. Neben
die flache Wunde, die sein Familienstolz in der
gemißhandelten Schwester empfieng, kam die
tiefe giftige, daß Roquairol ihn mit sich und
Lianens Zerstörung mit Rabettens ihrer ver¬
glich. "Bösewicht!" knirschte er; auch die klein¬
ste Ähnlichkeit schien ihm eine Verläumdung.

Allerdings hatte Roquairol an ihm sich
verrechnet und seine poetische Selbst-Verdamm¬
niß zu sehr auf Rechnung eines poetischen Rich¬
terspruchs aufgesetzt. Wie man im Geräusche
unwissend lauter spricht, so wußte er, wenn die
Phantasie mit ihren Katarakten um ihn braus¬
te, nicht recht was er rief und wie stark. Da
er oft doch weniger Schwärze an sich fand als
er schilderte: so setzt' er voraus, der Andere fin¬
de dann sogar noch weniger als er selber. Auch
hatt' er im poetischen und sündigen Taumel
sich am Ende das moralische Zifferblatt selber
beweglich gemacht, daß es mit dem Zeiger

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Alles erſchien dem Grafen, der ohne die
Übergänge und Mitteltinten der Gewohnheit
und Phantaſie aus dem vorigen Lichte der
Freundſchaft in dieſe Abenddämmerung gefüh¬
ret wurde, noch ſchwärzer als es war. Neben
die flache Wunde, die ſein Familienſtolz in der
gemißhandelten Schweſter empfieng, kam die
tiefe giftige, daß Roquairol ihn mit ſich und
Lianens Zerſtörung mit Rabettens ihrer ver¬
glich. „Böſewicht!“ knirſchte er; auch die klein¬
ſte Ähnlichkeit ſchien ihm eine Verläumdung.

Allerdings hatte Roquairol an ihm ſich
verrechnet und ſeine poetiſche Selbſt-Verdamm¬
niß zu ſehr auf Rechnung eines poetiſchen Rich¬
terſpruchs aufgeſetzt. Wie man im Geräuſche
unwiſſend lauter ſpricht, ſo wußte er, wenn die
Phantaſie mit ihren Katarakten um ihn brauſ¬
te, nicht recht was er rief und wie ſtark. Da
er oft doch weniger Schwärze an ſich fand als
er ſchilderte: ſo ſetzt' er voraus, der Andere fin¬
de dann ſogar noch weniger als er ſelber. Auch
hatt' er im poetiſchen und ſündigen Taumel
ſich am Ende das moraliſche Zifferblatt ſelber
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[291/0303] Alles erſchien dem Grafen, der ohne die Übergänge und Mitteltinten der Gewohnheit und Phantaſie aus dem vorigen Lichte der Freundſchaft in dieſe Abenddämmerung gefüh¬ ret wurde, noch ſchwärzer als es war. Neben die flache Wunde, die ſein Familienſtolz in der gemißhandelten Schweſter empfieng, kam die tiefe giftige, daß Roquairol ihn mit ſich und Lianens Zerſtörung mit Rabettens ihrer ver¬ glich. „Böſewicht!“ knirſchte er; auch die klein¬ ſte Ähnlichkeit ſchien ihm eine Verläumdung. Allerdings hatte Roquairol an ihm ſich verrechnet und ſeine poetiſche Selbſt-Verdamm¬ niß zu ſehr auf Rechnung eines poetiſchen Rich¬ terſpruchs aufgeſetzt. Wie man im Geräuſche unwiſſend lauter ſpricht, ſo wußte er, wenn die Phantaſie mit ihren Katarakten um ihn brauſ¬ te, nicht recht was er rief und wie ſtark. Da er oft doch weniger Schwärze an ſich fand als er ſchilderte: ſo ſetzt' er voraus, der Andere fin¬ de dann ſogar noch weniger als er ſelber. Auch hatt' er im poetiſchen und ſündigen Taumel ſich am Ende das moraliſche Zifferblatt ſelber beweglich gemacht, daß es mit dem Zeiger T 2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/303>, abgerufen am 03.12.2024.