der Freiheit so wenig erntet, nicht vollends in das enge dreißigjährige Gehege der Ehe ban¬ nen. Bei Gott! für den erbärmlichen erpreßten Sinnen-Rausch hab' ich schon bisher und un¬ ter ihm mehr ausgestanden als er werth ist.
Nicht Das, was ich gestern bei Dir gelesen, giebt mir diesen Entschluß -- das frage Rabet¬ ten über ihn -- und meine Freimüthigkeit ge¬ gen Dich ist ein willkührliches Opfer, da die My¬ sterie unter zweien hätte ohne mich eine bleiben können: sondern ich will nicht von Dir verkannt seyn, gerade von Dir, der Du, bei so wenigen Reflexen deines Innern, so leicht nachtheilig vergleichst und nicht merkst, daß Du meine Schwester in Lilar gerade so, nur mit geisti¬ gern Armen, opfertest und ihre Augen und Freuden in den Orkus warfst. Ich tadle Dich nicht; das Schicksal macht den Mann zum Un¬ ter-Schicksal des Weibes. Die Leidenschaften sind poetische Freiheiten, die sich die moralische nimmt. Du hieltest mich doch nicht für zu gut, ich bin Alles, wofür du mich nahmest, nur aber noch mehr dazu; und das Mehr-Dazu fehlt Dir noch selber.
der Freiheit ſo wenig erntet, nicht vollends in das enge dreißigjährige Gehege der Ehe ban¬ nen. Bei Gott! für den erbärmlichen erpreßten Sinnen-Rauſch hab' ich ſchon bisher und un¬ ter ihm mehr ausgeſtanden als er werth iſt.
Nicht Das, was ich geſtern bei Dir geleſen, giebt mir dieſen Entſchluß — das frage Rabet¬ ten über ihn — und meine Freimüthigkeit ge¬ gen Dich iſt ein willkührliches Opfer, da die My¬ ſterie unter zweien hätte ohne mich eine bleiben können: ſondern ich will nicht von Dir verkannt ſeyn, gerade von Dir, der Du, bei ſo wenigen Reflexen deines Innern, ſo leicht nachtheilig vergleichſt und nicht merkſt, daß Du meine Schweſter in Lilar gerade ſo, nur mit geiſti¬ gern Armen, opferteſt und ihre Augen und Freuden in den Orkus warfſt. Ich tadle Dich nicht; das Schickſal macht den Mann zum Un¬ ter-Schickſal des Weibes. Die Leidenſchaften ſind poetiſche Freiheiten, die ſich die moraliſche nimmt. Du hielteſt mich doch nicht für zu gut, ich bin Alles, wofür du mich nahmeſt, nur aber noch mehr dazu; und das Mehr-Dazu fehlt Dir noch ſelber.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0299"n="287"/>
der Freiheit ſo wenig erntet, nicht vollends in<lb/>
das enge dreißigjährige Gehege der Ehe ban¬<lb/>
nen. Bei Gott! für den erbärmlichen erpreßten<lb/>
Sinnen-Rauſch hab' ich ſchon bisher und un¬<lb/>
ter ihm mehr ausgeſtanden als er werth iſt.</p><lb/><p>Nicht Das, was ich geſtern bei Dir geleſen,<lb/>
giebt mir dieſen Entſchluß — das frage Rabet¬<lb/>
ten über ihn — und meine Freimüthigkeit ge¬<lb/>
gen Dich iſt ein willkührliches Opfer, da die My¬<lb/>ſterie unter zweien hätte ohne mich eine bleiben<lb/>
können: ſondern ich will nicht von Dir verkannt<lb/>ſeyn, gerade von Dir, der Du, bei ſo wenigen<lb/>
Reflexen deines Innern, ſo leicht nachtheilig<lb/>
vergleichſt und nicht merkſt, daß Du meine<lb/>
Schweſter in Lilar gerade ſo, nur mit geiſti¬<lb/>
gern Armen, opferteſt und ihre Augen und<lb/>
Freuden in den Orkus warfſt. Ich tadle Dich<lb/>
nicht; das Schickſal macht den Mann zum Un¬<lb/>
ter-Schickſal des Weibes. Die Leidenſchaften<lb/>ſind poetiſche Freiheiten, die ſich die moraliſche<lb/>
nimmt. Du hielteſt mich doch nicht für zu gut,<lb/>
ich bin Alles, wofür du mich nahmeſt, nur aber<lb/>
noch <hirendition="#g">mehr dazu</hi>; und das Mehr-Dazu fehlt<lb/>
Dir noch ſelber.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[287/0299]
der Freiheit ſo wenig erntet, nicht vollends in
das enge dreißigjährige Gehege der Ehe ban¬
nen. Bei Gott! für den erbärmlichen erpreßten
Sinnen-Rauſch hab' ich ſchon bisher und un¬
ter ihm mehr ausgeſtanden als er werth iſt.
Nicht Das, was ich geſtern bei Dir geleſen,
giebt mir dieſen Entſchluß — das frage Rabet¬
ten über ihn — und meine Freimüthigkeit ge¬
gen Dich iſt ein willkührliches Opfer, da die My¬
ſterie unter zweien hätte ohne mich eine bleiben
können: ſondern ich will nicht von Dir verkannt
ſeyn, gerade von Dir, der Du, bei ſo wenigen
Reflexen deines Innern, ſo leicht nachtheilig
vergleichſt und nicht merkſt, daß Du meine
Schweſter in Lilar gerade ſo, nur mit geiſti¬
gern Armen, opferteſt und ihre Augen und
Freuden in den Orkus warfſt. Ich tadle Dich
nicht; das Schickſal macht den Mann zum Un¬
ter-Schickſal des Weibes. Die Leidenſchaften
ſind poetiſche Freiheiten, die ſich die moraliſche
nimmt. Du hielteſt mich doch nicht für zu gut,
ich bin Alles, wofür du mich nahmeſt, nur aber
noch mehr dazu; und das Mehr-Dazu fehlt
Dir noch ſelber.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/299>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.