Gott; er entschied eben so. Welch ein Anblick für ein anderes, weniger stolzes Auge als das Spenersche wäre diese demüthige, aber gefaßte Heilige gewesen, deren Herz immer wie der Son¬ nenstrahl, am schönsten in der Zerspaltung er¬ schien! --
Aber hier geht die Geschichte in Schleiern! Der Greis befahl ihrem Mädchen zurückzublei¬ ben und nahm sie allein in das stumme Blu¬ menbühl hinüber. Er schloß ihr die Kirche auf, zündete noch eine Kerze auf dem Altare an, damit das wüste Dunkel ihrem scheuen Auge nichts vorspiele, und vollendete, was die Eltern nicht konnten.
Wie er es erzwang, daß sie auf ewig ih¬ rem Albano entsagte, wird von der großen Sphinx des Eides, den sie ihm schwur, bewacht und bedeckt. -- Nur der ferne Mensch, der die schöne Seele verlohr, hatte auf der Stern¬ warte von den Sennen auf die hellen Kirchen¬ fenster geblickt, und hinter ihnen zerrüttende Erscheinungen gefunden, ohne zu wissen daß sie wahr wären und sein Leben entschieden.
Sie gieng kalt über die Auen und Berge
Gott; er entſchied eben ſo. Welch ein Anblick für ein anderes, weniger ſtolzes Auge als das Spenerſche wäre dieſe demüthige, aber gefaßte Heilige geweſen, deren Herz immer wie der Son¬ nenſtrahl, am ſchönſten in der Zerſpaltung er¬ ſchien! —
Aber hier geht die Geſchichte in Schleiern! Der Greis befahl ihrem Mädchen zurückzublei¬ ben und nahm ſie allein in das ſtumme Blu¬ menbühl hinüber. Er ſchloß ihr die Kirche auf, zündete noch eine Kerze auf dem Altare an, damit das wüſte Dunkel ihrem ſcheuen Auge nichts vorſpiele, und vollendete, was die Eltern nicht konnten.
Wie er es erzwang, daß ſie auf ewig ih¬ rem Albano entſagte, wird von der großen Sphinx des Eides, den ſie ihm ſchwur, bewacht und bedeckt. — Nur der ferne Menſch, der die ſchöne Seele verlohr, hatte auf der Stern¬ warte von den Sennen auf die hellen Kirchen¬ fenſter geblickt, und hinter ihnen zerrüttende Erſcheinungen gefunden, ohne zu wiſſen daß ſie wahr wären und ſein Leben entſchieden.
Sie gieng kalt über die Auen und Berge
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0212"n="200"/>
Gott; er entſchied eben ſo. Welch ein Anblick<lb/>
für ein anderes, weniger ſtolzes Auge als das<lb/>
Spenerſche wäre dieſe demüthige, aber gefaßte<lb/>
Heilige geweſen, deren Herz immer wie der Son¬<lb/>
nenſtrahl, am ſchönſten in der Zerſpaltung er¬<lb/>ſchien! —</p><lb/><p>Aber hier geht die Geſchichte in Schleiern!<lb/>
Der Greis befahl ihrem Mädchen zurückzublei¬<lb/>
ben und nahm ſie allein in das ſtumme Blu¬<lb/>
menbühl hinüber. Er ſchloß ihr die Kirche auf,<lb/>
zündete noch eine Kerze auf dem Altare an,<lb/>
damit das wüſte Dunkel ihrem ſcheuen Auge<lb/>
nichts vorſpiele, und vollendete, was die Eltern<lb/>
nicht konnten.</p><lb/><p>Wie er es erzwang, daß ſie auf ewig ih¬<lb/>
rem Albano entſagte, wird von der großen<lb/>
Sphinx des Eides, den ſie ihm ſchwur, bewacht<lb/>
und bedeckt. — Nur der ferne Menſch, der<lb/>
die ſchöne Seele verlohr, hatte auf der Stern¬<lb/>
warte von den Sennen auf die hellen Kirchen¬<lb/>
fenſter geblickt, und hinter ihnen zerrüttende<lb/>
Erſcheinungen gefunden, ohne zu wiſſen daß ſie<lb/>
wahr wären und ſein Leben entſchieden.</p><lb/><p>Sie gieng kalt über die Auen und Berge<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[200/0212]
Gott; er entſchied eben ſo. Welch ein Anblick
für ein anderes, weniger ſtolzes Auge als das
Spenerſche wäre dieſe demüthige, aber gefaßte
Heilige geweſen, deren Herz immer wie der Son¬
nenſtrahl, am ſchönſten in der Zerſpaltung er¬
ſchien! —
Aber hier geht die Geſchichte in Schleiern!
Der Greis befahl ihrem Mädchen zurückzublei¬
ben und nahm ſie allein in das ſtumme Blu¬
menbühl hinüber. Er ſchloß ihr die Kirche auf,
zündete noch eine Kerze auf dem Altare an,
damit das wüſte Dunkel ihrem ſcheuen Auge
nichts vorſpiele, und vollendete, was die Eltern
nicht konnten.
Wie er es erzwang, daß ſie auf ewig ih¬
rem Albano entſagte, wird von der großen
Sphinx des Eides, den ſie ihm ſchwur, bewacht
und bedeckt. — Nur der ferne Menſch, der
die ſchöne Seele verlohr, hatte auf der Stern¬
warte von den Sennen auf die hellen Kirchen¬
fenſter geblickt, und hinter ihnen zerrüttende
Erſcheinungen gefunden, ohne zu wiſſen daß ſie
wahr wären und ſein Leben entſchieden.
Sie gieng kalt über die Auen und Berge
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/212>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.