Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

geliebet hätte, o wie sehr; so war es als sag'
etwas in ihm, "jetzt hast Du Deinen ersten
Schmerz
auf der Welt!"

Wie bei dem Erdbeben Thüren springen und
Glocken schlagen: so riß bei dem Gedanken: er¬
ster Schmerz, seine Seele auseinander und har¬
te Thränen schlugen nieder. Aber er wunderte
sich, daß er sich weinen hörte und trocknete
erzürnt das Gesicht am kalten Moose ab.

Schwächer, nicht härter trat er in das zau¬
berische mit glimmenden Edelsteinen beworfene
Land heraus und unter die trunkener entgegen¬
hüpfenden Töne, die die Seele wegreißen und
aufheben und auf Höhen stellen wollten, damit
sie in weite Frühlinge des Lebens hinunter¬
schauete! Hier auf diesem sonst seeligen Boden
sah er die zerrissene, zertretene Perlenschnur sei¬
ner künftigen Tage liegen. "O, wie wir an die¬
sem Abende hätten seelig seyn können" dacht' er
und sah ins helle Laubhüttenfest, in das ver¬
goldete aber lebendige Laubwerk -- in den grü¬
nen umherirrenden Widerschein, vom Nacht¬
winde gewiegt -- und in das Lauffeuer bren¬

geliebet hätte, o wie ſehr; ſo war es als ſag'
etwas in ihm, „jetzt haſt Du Deinen erſten
Schmerz
auf der Welt!“

Wie bei dem Erdbeben Thüren ſpringen und
Glocken ſchlagen: ſo riß bei dem Gedanken: er¬
ſter Schmerz, ſeine Seele auseinander und har¬
te Thränen ſchlugen nieder. Aber er wunderte
ſich, daß er ſich weinen hörte und trocknete
erzürnt das Geſicht am kalten Mooſe ab.

Schwächer, nicht härter trat er in das zau¬
beriſche mit glimmenden Edelſteinen beworfene
Land heraus und unter die trunkener entgegen¬
hüpfenden Töne, die die Seele wegreißen und
aufheben und auf Höhen ſtellen wollten, damit
ſie in weite Frühlinge des Lebens hinunter¬
ſchauete! Hier auf dieſem ſonſt ſeeligen Boden
ſah er die zerriſſene, zertretene Perlenſchnur ſei¬
ner künftigen Tage liegen. „O, wie wir an die¬
ſem Abende hätten ſeelig ſeyn können“ dacht' er
und ſah ins helle Laubhüttenfeſt, in das ver¬
goldete aber lebendige Laubwerk — in den grü¬
nen umherirrenden Widerſchein, vom Nacht¬
winde gewiegt — und in das Lauffeuer bren¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0190" n="178"/>
geliebet hätte, o wie &#x017F;ehr; &#x017F;o war es als &#x017F;ag'<lb/>
etwas in ihm, &#x201E;jetzt ha&#x017F;t Du Deinen <hi rendition="#g">er&#x017F;ten<lb/>
Schmerz</hi> auf der Welt!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Wie bei dem Erdbeben Thüren &#x017F;pringen und<lb/>
Glocken &#x017F;chlagen: &#x017F;o riß bei dem Gedanken: er¬<lb/>
&#x017F;ter Schmerz, &#x017F;eine Seele auseinander und har¬<lb/>
te Thränen &#x017F;chlugen nieder. Aber er wunderte<lb/>
&#x017F;ich, daß er &#x017F;ich weinen hörte und trocknete<lb/>
erzürnt das Ge&#x017F;icht am kalten Moo&#x017F;e ab.</p><lb/>
          <p>Schwächer, nicht härter trat er in das zau¬<lb/>
beri&#x017F;che mit glimmenden Edel&#x017F;teinen beworfene<lb/>
Land heraus und unter die trunkener entgegen¬<lb/>
hüpfenden Töne, die die Seele wegreißen und<lb/>
aufheben und auf Höhen &#x017F;tellen wollten, damit<lb/>
&#x017F;ie in weite Frühlinge des Lebens hinunter¬<lb/>
&#x017F;chauete! Hier auf die&#x017F;em &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;eeligen Boden<lb/>
&#x017F;ah er die zerri&#x017F;&#x017F;ene, zertretene Perlen&#x017F;chnur &#x017F;ei¬<lb/>
ner künftigen Tage liegen. &#x201E;O, wie wir an die¬<lb/>
&#x017F;em Abende hätten &#x017F;eelig &#x017F;eyn können&#x201C; dacht' er<lb/>
und &#x017F;ah ins helle Laubhüttenfe&#x017F;t, in das ver¬<lb/>
goldete aber lebendige Laubwerk &#x2014; in den grü¬<lb/>
nen umherirrenden Wider&#x017F;chein, vom Nacht¬<lb/>
winde gewiegt &#x2014; und in das Lauffeuer bren¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[178/0190] geliebet hätte, o wie ſehr; ſo war es als ſag' etwas in ihm, „jetzt haſt Du Deinen erſten Schmerz auf der Welt!“ Wie bei dem Erdbeben Thüren ſpringen und Glocken ſchlagen: ſo riß bei dem Gedanken: er¬ ſter Schmerz, ſeine Seele auseinander und har¬ te Thränen ſchlugen nieder. Aber er wunderte ſich, daß er ſich weinen hörte und trocknete erzürnt das Geſicht am kalten Mooſe ab. Schwächer, nicht härter trat er in das zau¬ beriſche mit glimmenden Edelſteinen beworfene Land heraus und unter die trunkener entgegen¬ hüpfenden Töne, die die Seele wegreißen und aufheben und auf Höhen ſtellen wollten, damit ſie in weite Frühlinge des Lebens hinunter¬ ſchauete! Hier auf dieſem ſonſt ſeeligen Boden ſah er die zerriſſene, zertretene Perlenſchnur ſei¬ ner künftigen Tage liegen. „O, wie wir an die¬ ſem Abende hätten ſeelig ſeyn können“ dacht' er und ſah ins helle Laubhüttenfeſt, in das ver¬ goldete aber lebendige Laubwerk — in den grü¬ nen umherirrenden Widerſchein, vom Nacht¬ winde gewiegt — und in das Lauffeuer bren¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/190
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/190>, abgerufen am 17.05.2024.