Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

sehr er Beide immer Egoistinnen (wie die al¬
ten Heiden die Christen Atheisten) innerlich
schelte.

Die Ministerin, gewohnt mit dem Minister
in keiner Ehe weniger zu leben als in der der
Seelen -- wie Voltaire die Freundschaft defi¬
nirt -- sagte blos zu Lianen: Für wen leid'
ich so? -- Ach ich weiß es, antwortete Sie de¬
müthig. Und so entließ er Beide voll tiefster
Leiden und dachte nachher an seine Geschäfte.

Dieser allseitige Jammer wurde durch et¬
was größer, was ihn hätte kleiner machen sol¬
len. Der Minister ärgerte sich, daß er täglich
den Geschmack der Weiber mitten im Zorne
zu Rathe ziehen mußte über sein -- Äußeres.
Er wollte am Vermählungsfeste -- seiner Ge¬
liebten wegen -- ein wahrer Paradiesvogel,
ein Paradeur, eine Venus a belles Vesses seyn.
Von jeher macht' er gern die Doppelrolle des
Staats- und Hofmanns und wollte, um Stolz
und Eitelkeit zusammen zu kaufen zu einem
Diogenes-Aristipp verwachsen. -- Aber etwas
davon war nicht Eitelkeit, sondern der männliche
Plagegeist der Ordnungs- und Rechtshaberei

ſehr er Beide immer Egoiſtinnen (wie die al¬
ten Heiden die Chriſten Atheiſten) innerlich
ſchelte.

Die Miniſterin, gewohnt mit dem Miniſter
in keiner Ehe weniger zu leben als in der der
Seelen — wie Voltaire die Freundſchaft defi¬
nirt — ſagte blos zu Lianen: Für wen leid'
ich ſo? — Ach ich weiß es, antwortete Sie de¬
müthig. Und ſo entließ er Beide voll tiefſter
Leiden und dachte nachher an ſeine Geſchäfte.

Dieſer allſeitige Jammer wurde durch et¬
was größer, was ihn hätte kleiner machen ſol¬
len. Der Miniſter ärgerte ſich, daß er täglich
den Geſchmack der Weiber mitten im Zorne
zu Rathe ziehen mußte über ſein — Äußeres.
Er wollte am Vermählungsfeſte — ſeiner Ge¬
liebten wegen — ein wahrer Paradiesvogel,
ein Paradeur, eine Venus à belles Vesses ſeyn.
Von jeher macht' er gern die Doppelrolle des
Staats- und Hofmanns und wollte, um Stolz
und Eitelkeit zuſammen zu kaufen zu einem
Diogenes-Ariſtipp verwachſen. — Aber etwas
davon war nicht Eitelkeit, ſondern der männliche
Plagegeiſt der Ordnungs- und Rechtshaberei

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0153" n="141"/>
&#x017F;ehr er Beide immer Egoi&#x017F;tinnen (wie die al¬<lb/>
ten Heiden die Chri&#x017F;ten Athei&#x017F;ten) innerlich<lb/>
&#x017F;chelte.</p><lb/>
          <p>Die Mini&#x017F;terin, gewohnt mit dem Mini&#x017F;ter<lb/>
in keiner Ehe weniger zu leben als in der der<lb/>
Seelen &#x2014; wie Voltaire die Freund&#x017F;chaft defi¬<lb/>
nirt &#x2014; &#x017F;agte blos zu Lianen: Für wen leid'<lb/>
ich &#x017F;o? &#x2014; Ach ich weiß es, antwortete Sie de¬<lb/>
müthig. Und &#x017F;o entließ er Beide voll tief&#x017F;ter<lb/>
Leiden und dachte nachher an &#x017F;eine Ge&#x017F;chäfte.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;er all&#x017F;eitige Jammer wurde durch et¬<lb/>
was größer, was ihn hätte kleiner machen &#x017F;ol¬<lb/>
len. Der Mini&#x017F;ter ärgerte &#x017F;ich, daß er täglich<lb/>
den Ge&#x017F;chmack der Weiber mitten im Zorne<lb/>
zu Rathe ziehen mußte über &#x017F;ein &#x2014; Äußeres.<lb/>
Er wollte am Vermählungsfe&#x017F;te &#x2014; &#x017F;einer Ge¬<lb/>
liebten wegen &#x2014; ein wahrer Paradiesvogel,<lb/>
ein Paradeur, eine <hi rendition="#aq">Venus à belles Vesses</hi> &#x017F;eyn.<lb/>
Von jeher macht' er gern die Doppelrolle des<lb/>
Staats- und Hofmanns und wollte, um Stolz<lb/>
und Eitelkeit zu&#x017F;ammen zu kaufen zu einem<lb/>
Diogenes-Ari&#x017F;tipp verwach&#x017F;en. &#x2014; Aber etwas<lb/>
davon war nicht Eitelkeit, &#x017F;ondern der männliche<lb/>
Plagegei&#x017F;t der Ordnungs- und Rechtshaberei<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[141/0153] ſehr er Beide immer Egoiſtinnen (wie die al¬ ten Heiden die Chriſten Atheiſten) innerlich ſchelte. Die Miniſterin, gewohnt mit dem Miniſter in keiner Ehe weniger zu leben als in der der Seelen — wie Voltaire die Freundſchaft defi¬ nirt — ſagte blos zu Lianen: Für wen leid' ich ſo? — Ach ich weiß es, antwortete Sie de¬ müthig. Und ſo entließ er Beide voll tiefſter Leiden und dachte nachher an ſeine Geſchäfte. Dieſer allſeitige Jammer wurde durch et¬ was größer, was ihn hätte kleiner machen ſol¬ len. Der Miniſter ärgerte ſich, daß er täglich den Geſchmack der Weiber mitten im Zorne zu Rathe ziehen mußte über ſein — Äußeres. Er wollte am Vermählungsfeſte — ſeiner Ge¬ liebten wegen — ein wahrer Paradiesvogel, ein Paradeur, eine Venus à belles Vesses ſeyn. Von jeher macht' er gern die Doppelrolle des Staats- und Hofmanns und wollte, um Stolz und Eitelkeit zuſammen zu kaufen zu einem Diogenes-Ariſtipp verwachſen. — Aber etwas davon war nicht Eitelkeit, ſondern der männliche Plagegeiſt der Ordnungs- und Rechtshaberei

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/153
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/153>, abgerufen am 24.11.2024.