winkeln schlug als sey es Staub, weil sie dach¬ te, Nachts kann ich weinen genug -- sehr trockne Augen; und das Alles, um der belaste¬ ten Mutter nicht zu neuer Last zu seyn. Aber diese, wie Mütter so leicht, verwechselte die scheue liebende Stille mit dem Anbruche der Verstockung; und als Liane in unschuldiger Ab¬ sicht des Trostes sich Karolinens Bild aus Lilar wollte bringen lassen, galt auch diese Unschuld für Verhärtung und wurde mit einer elterli¬ chen gestraft und erwiedert; nämlich mit der Erlaubniß, zu schicken. Nur foderte die Mi¬ nisterin die französischen Gebete von ihr zurück, als sey sie nicht werth, diese ihrem jetzigen Herzen unterzulegen. Nie ist der Mensch klei¬ ner als wenn er strafen und plagen will, ohne zu wissen wie.
Da jeder der regiert, er sitze auf einem Lehr- oder Fürstenstuhl, oder wie Eltern auf beiden, dem Fußbewohner desselben den vori¬ gen Gehorsam, sobald er ihn einmal aus¬ setzt, nicht als Milderung seiner Schuld an¬ schreibt, sondern als Vergrößerung: so that es die Ministerin auch gegen ihr von jeher so
winkeln ſchlug als ſey es Staub, weil ſie dach¬ te, Nachts kann ich weinen genug — ſehr trockne Augen; und das Alles, um der belaſte¬ ten Mutter nicht zu neuer Laſt zu ſeyn. Aber dieſe, wie Mütter ſo leicht, verwechſelte die ſcheue liebende Stille mit dem Anbruche der Verſtockung; und als Liane in unſchuldiger Ab¬ ſicht des Troſtes ſich Karolinens Bild aus Lilar wollte bringen laſſen, galt auch dieſe Unſchuld für Verhärtung und wurde mit einer elterli¬ chen geſtraft und erwiedert; nämlich mit der Erlaubniß, zu ſchicken. Nur foderte die Mi¬ niſterin die franzöſiſchen Gebete von ihr zurück, als ſey ſie nicht werth, dieſe ihrem jetzigen Herzen unterzulegen. Nie iſt der Menſch klei¬ ner als wenn er ſtrafen und plagen will, ohne zu wiſſen wie.
Da jeder der regiert, er ſitze auf einem Lehr- oder Fürſtenſtuhl, oder wie Eltern auf beiden, dem Fußbewohner deſſelben den vori¬ gen Gehorſam, ſobald er ihn einmal aus¬ ſetzt, nicht als Milderung ſeiner Schuld an¬ ſchreibt, ſondern als Vergrößerung: ſo that es die Miniſterin auch gegen ihr von jeher ſo
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winkeln ſchlug als ſey es Staub, weil ſie dach¬
te, Nachts kann ich weinen genug — ſehr
trockne Augen; und das Alles, um der belaſte¬
ten Mutter nicht zu neuer Laſt zu ſeyn. Aber
dieſe, wie Mütter ſo leicht, verwechſelte die
ſcheue liebende Stille mit dem Anbruche der
Verſtockung; und als Liane in unſchuldiger Ab¬
ſicht des Troſtes ſich Karolinens Bild aus Lilar
wollte bringen laſſen, galt auch dieſe Unſchuld
für Verhärtung und wurde mit einer elterli¬
chen geſtraft und erwiedert; nämlich mit der
Erlaubniß, zu ſchicken. Nur foderte die Mi¬
niſterin die franzöſiſchen Gebete von ihr zurück,
als ſey ſie nicht werth, dieſe ihrem jetzigen
Herzen unterzulegen. Nie iſt der Menſch klei¬
ner als wenn er ſtrafen und plagen will, ohne
zu wiſſen wie.
Da jeder der regiert, er ſitze auf einem
Lehr- oder Fürſtenſtuhl, oder wie Eltern auf
beiden, dem Fußbewohner deſſelben den vori¬
gen Gehorſam, ſobald er ihn einmal aus¬
ſetzt, nicht als Milderung ſeiner Schuld an¬
ſchreibt, ſondern als Vergrößerung: ſo that
es die Miniſterin auch gegen ihr von jeher ſo
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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/142>, abgerufen am 25.11.2024.
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